© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Grüße aus Jerusalem
Ultras an die Waffen
Philipp Gracht

Theokratie oder Demokratie: Um nichts weniger geht es dieser Tage in Israel, da sich das Land streitet, ob auch die Haredim, die Ultra-Orthodoxen, Dienst an der Waffe tun sollen. Staatsgründer Ben Gurion hatte sie 1948 davon großzügig ausgenommen. Der Verzicht auf vierhundert Rekruten im Jahr schien verkraftbar.

Die demographische Lage hat sich seither verändert: Über 70.000 junge Thora-Schüler umgingen durch das Tal-Gesetz im vergangenen Jahr den dreijährigen Wehrdienst. Der Oberste Gerichtshof hat diese Regelung im Februar zum 1. August für nichtig erklärt. Seither ist guter Rat teuer, und in Israel wird eine neue Schlacht des schwelenden Kulturkampfes zwischen der Bevölkerungsmehrheit und der wachsenden religiösen Minderheit der Haredim geschlagen.

Säkularer Glaube an die IDF, der ins mythisch überhöhte israelischen Armee, waffen- und technikstarrender Garant von Israels Unabhängigkeit und Freiheit, steht gegen den alten Glauben an den Bundesgott Jahwe und sein Wort. Der demokratische Nationalstaat, dessen Merkmal seit der levée en masse der Französischen Revolution die Wehrpflicht ist, trifft auf den Gehorsam gegen ein höheres Gesetz. Die Zumutung für das fromme Bewußtsein, vom Staat verpflichtet zu werden, an der Waffe zu dienen statt über Gottes Wort zu sinnen, kann man sich derweil gar nicht groß genug vorstellen: Nach orthodoxem jüdischem Glauben ist die Welt um der Tora willen geschaffen. Ihre Befolgung wie ihr ehrfürchtiges Studium sind der Daseinsgrund Israels.

Die Führer der ultraorthodoxen Koalitionsparteien Schas und Vereinigtes Thorajudentum VTJ zeigen sich deshalb auch maximal widerständig – im Falle der VTJ scheint ein Bruch der Koalition wahrscheinlich. Fromme demonstrierten: Lieber gingen sie ins Gefängnis, als Gott den Gehorsam zu verweigern. Auf der anderen Seite steht das andere Israel, repräsentiert von Kadima, der größten Partei im Regierungsbündnis: säkular, westlich, egalitär. 20.000 von ihnen gingen am Samstag in Tel Aviv auf die Straße: „Ein Volk, ein Wehrdienst“ war ihr Slogan. Premier Netanjahu hat das nicht überhört. Nach einer taktischen 180-Grad-Wende hat er am Sonntag bekanntgegeben, daß alle an der Waffe dienen müßten. Die Regierung trifft eben am Ende die passende Entscheidung, nachdem sie alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hat.

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