© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Geschickter Schachzug
Ukraine: Der Streit um die russische Sprache offenbart die Zerrissenheit des Landes / Janukowitschs Pendel zeigt gen Moskau
Bodo Bost

Nach zwei Jahren im Amt hat der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch nun eines seiner zentralen Wahlversprechen, die Aufwertung der russischen Sprache, umgesetzt. Das Gesetz „Über die Grundlagen der staatlichen Sprachenpolitik“, das die Einführung des Russischen als Regionalsprache in den Gebieten, in denen mindestens zehn Prozent Russischsprachige leben, zum Ziele hat, wurde am 4. Juli von der „Obersten Rada“ mit einer Stimmenmehrheit von 248 der 364 anwesenden Abgeordneten angenommen. Insgesamt hat das Parlament 450 Abgeordnete. 226 Stimmen waren nötig.

Russisch ist die Muttersprache der Mehrheit der Bevölkerung im Osten und Süden des Landes. Wegen des Streits um die Aufwertung ist Parlamentspräsident Wladimir Litwin, der aus der Westukraine stammt, zurückgetreten. Während der Abstimmung kam es vor dem Parlamentsgebäude zu gewaltsamen Demonstrationen von Gegnern der Aufwertung des Russischen, bei denen auch Boxer Vitali Klitschko durch Tränengas verletzt wurde.

Gegner des Präsidenten werfen ihm vor, daß er mit seiner Sprachenpolitik die Spaltung des Landes weiter vertiefen wolle. Analysten hatten zunächst befürchtet, daß Russisch die zweite Amtssprache der Ukraine werden soll. Laut dem verabschiedeten Gesetzentwurf soll die ukrainische Sprache jedoch nach wie vor die einzige Staatssprache bleiben, aber die Sprachen der nationalen Minderheiten sollen mehr Rechte bekommen.

Russisch wird nun den Status einer Regionalsprache in den ukrainischen Gebieten Charkow, Cherson, Dnepropetrowsk, Donezk, Lugansk, Nikolajew, Odessa, Saporoschje, Sumy, Tschernigow, in den Städten Kiew und Sewastopol, auf der Halbinsel Krim bekommen. Diese östlichen und südlichen Teile der Ukraine umfassen etwa die Hälfte des Landes. Drei weitere Sprachen sollen den Status einer Regionalsprache erhalten. Das Krimtatarische auf der Krim, Ungarisch im Gebiet Sakarpatje und Rumänisch im Gebiet Tschernowitz. Die Krim, die seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 bereits eine nicht klar definierte Art von Autonomie genießt, wird also nach der Gesetzesvorlage als einzige Region der Ukraine mit Ukrainisch, Russisch und Krimtatarisch drei Amtssprachen bekommen.

Gegen die Initiative hatte auch die inhaftierte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko scharf protestiert. Ihre Partei kündigte an, im Fall eines Sieges bei der Parlamentswahl am 28. Oktober das Gesetz rückgängig zu machen. Die Gemüter vieler Ukrainer kochten wegen dieses Gesetzes hoch. Ende Mai prügelten sich wegen des Gesetzes die Abgeordneten im Parlament.

Die Unterstützer des Gesetzes können sich diesmal auch auf die vom Europarat verabschiedete Charta der Minderheitensprachen berufen, das den nationalen Minderheiten in Europa das Recht auf den Gebrauch ihrer Muttersprache im Verkehr mit den Behörden ermöglichen soll. Diese Charta ist bereits 2006 von der Ukraine ratifiziert und in Kraft gesetzt worden, von den großen Europarat-Mitgliedern fehlt allerdings noch eine Ratifizierung durch  Frankreich, Italien und Rußland; die Türkei hat die Charta noch gar nicht unterschrieben.

Die westlich orientierte Opposition lehnt das von Präsident Janukowitsch propagierte Gesetz zur Anerkennung von Russisch als sogenannte Minderheitensprache strikt ab. Sie argumentiert vor allem, daß die Stellung des Ukrainischen nach 20 Jahren Unabhängigkeit noch nicht gefestigt genug ist, um als identitätsstiftendes Element seine Rolle zu spielen.

Die Ukraine hatte bis 1991 noch nie einen unabhängigen eigenen Staat gebildet, jahrhundertelang stand das Land unter russischer oder sowjetischer Oberhoheit, Russisch war alleinige Amts- und oft auch Bildungssprache. Allein durch die Herrschaft von Österreich-Ungarn im Gebiet von Lemberg (1772 –1918), wo das Ukrainische Bildungssprache und Sprache der griechisch katholischen Kirche und ihrer Liturgie war, konnte diese Sprache überhaupt überleben. Aus diesem Grunde bildet die Westukraine mit der Hauptstadt Lemberg bis heute das Zentrum der ukrainischen Kultur und Sprache und des ukrainischen Nationalbewußtseins.

Die Opposition argumentiert vor allem, daß Russisch bislang in keiner Weise unterdrückt wurde. Ein großer Teil der Schulen in der Ukraine, allerdings mit abnehmender Tendenz, unterrichten auf russisch. Beide Sprachen sind sehr eng verwandt, alle Ukrainer verstehen im Grunde Russisch, allerdings verstehen nur wenige Russen Ukrainisch.

Letztlich ist Gesetzesinitiative zum jetzigen Zeitpunkt ein geschickter Schachzug Janukowitschs, der Russisch schon seit seiner Präsidentschaft im Jahre 2010 intern aufgewertet hat, indem er den Russen Azarov zum Premierminister ernannt hat. Seitdem wird am Kabinetts-tisch Russisch gesprochen.

Da sich Janukowitsch diesmal sogar auf eine Europarats-Empfehlung berufen kann, ist wenig Ärger von westlicher Seite zu erwarten. Im Gegenteil, mit Rumänisch und Ungarisch sollen in Zukunft auch zwei EU-Sprachen einen offiziellen Status in Teilen der Ukraine erhalten.

Es könnte sogar sein, daß auch in zwei deutsch-böhmischen Sprachinseln der Karpato-Ukraine im Tereschwa- und Mokratal sowie bei Munkatsch, die bis 1945 noch zur Tschechoslowakei gehörten – sollten die Gemeinderäte und nicht die Gebietsräte das Vorschlagsrecht für die zweisprachigen territorialen Einheiten erhalten –, Deutsch zu einer Minderheitensprache der Ukraine wird.

Foto: Anti-Russisch-Demonstration: Die Aufwertung der einen, beinhaltet die Abwertung der anderen Sprache

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