© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Ein literarischer Außenseiter
Schreiben ist keine Sozialarbeit: Vor 25 Jahren verstarb der Schriftsteller Jörg Fauser / Warum es sich lohnt, ihn wieder oder neu zu entdecken
Ansgar Lange

Was wollte Jörg Fauser in der Nacht nach seinem 43. Geburtstag auf der Autobahn A94 bei München, als er volltrunken von einem Lastkraftwagen überrollt wurde? War es Selbstmord? Dies deuten Matthias Penzel und Ambros Waibel in ihrer Fauser-Biographie „Rebell im Cola-Hinterland“ an, in dem sie einen Satz aus der Feder von Gottfried Benn zitieren: „Die meisten Selbstmorde sind Spontanhandlungen, oft unter Alkoholeinwirkung, selten vorher bedacht.“ Fauser, am 16. Juli 1944 im Taunus geboren, war bekannt für seine regelmäßigen Zechgelage.

Doch der „deutsche Bukowski“ war auch regelmäßiger Bordellgänger. Und so spekulierte Wolf Wondratschek über den einsamen Tod auf der Autobahn mit folgenden Worten: „Er war aus dem Puff rausgeworfen worden – zwischen München und dem Flughafen Riem im Gewerbegebiet –, dort draußen gibt es kein Taxi, und dann ist er auf der Autobahn Richtung München gegangen, betrunken.“

Wer früh und unter ungeklärten Umständen stirbt, um dessen Tod ranken sich Legenden. Bleiben wir bei den Fakten. Der Ex-Junkie konnte schreiben wie kaum ein anderer deutscher Autor – zupackend, witzig, schnell, mit einem illusionslosen Blick auf die Wirklichkeit, geschult an amerikanischen Größen wie William S. Burroughs, Charles Bukowski, Raymond Chandler und Dashiell Hammett.

Bücher wie „Marlon Brando – der versilberte Rebell“, „Der Scheemann“ (verfilmt mit Marius Müller-Westernhagen), „Rohstoff“ oder „Das Schlangenmaul“ werden bleiben. Seine Werke sind allesamt im Berliner Alexander Verlag und bei Diogenes erhältlich. Anders als die „sozialliberalen Kleinbürger“ (Martin Compart) unter den deutschen Autoren, die Fauser verachtete, kannte er das Leben. Nach seinem Abitur folgten verschiedene Auslandsaufenthalte (er lebte 1967/68 ein Jahr im Istanbuler Drogenviertel Tophane) und Tätigkeiten als Angestellter und Arbeiter (wie sein Vorbild Bukowski, der zum Beispiel bei der Post jobbte).

Fauser war nicht nur Buchautor, sondern auch Journalist. Er schrieb für Männermagazine wie Lui, interviewte Bukowski für den Playboy, schrieb für linksalternative Stadtteilzeitschriften und Hochglanzmagazine wie Transatlantik.

Im Jahr 1986 lieferte er diese kurze Selbstbeschreibung: „Keine Stipendien, keine Preise, keine Gelder der öffentlichen Hand, keine Jurys, keine Gremien, kein Mitglied eines Berufsverbands, keine Akademie, keine Clique; verheiratet, aber sonst unabhängig.“ Fauser, der einen „amerikanischen“ Ton in die deutsche Literatur brachte, paßte nicht ins hiesige Kulturestablishment, nach den Worten seines Freundes Martin Compart eine „Vollidiotenbranche voller Gestalten, die mit einer Halbautomatik russisches Roulette spielen würden“.

Peter Apfl hat in einem ausführlichen Porträt auch die politischen Wendungen Fausers beschrieben. Fauser sympathisierte mit der terroristischen Rote Armee Fraktion und mit den Black Panthers, er bekam den Frankfurter Häuserkampf Anfang der siebziger Jahre direkt mit, doch eigentlich mied er die politische Praxis. Schließlich trat er sogar der SPD bei, was er seinem Vater, dem bekannten Bildenden Künstler Arthur Fauser, verschwieg. In der Nachrüstungsdebatte stand er auf seiten der Regierung Schmidt gegen die Friedensbewegung.

In seinem autobiographischen Roman „Rohstoff“ beschreibt Fauser den Drogenrausch am Bosporus, als Anarchist in den Kommunen von Berlin und als Hausbesetzer in seiner Heimat Frankfurt am Main. Dies mag auf den ersten Blick nicht unbedingt der Stoff sein, der Konservative in Ekstase versetzt. Großen Spaß macht aber, wie der Nonkonformist Fauser gegen alles Spießige, Bornierte und Verengte der deutschen Linken anschreibt. So findet sein Alter ego Harry Gelb LSD, sexuelle Libertinage und den Beat-Poeten William S. Burroughs ganz nett. Doch nebenbei schätzt er auch die Lektüre der („rechten“) Illustrierten Quick, zwei kleine Helle, ein Schnitzel und die Ergebnisse der Landtagswahl in Baden-Württemberg.

Zuwider sind dem Möchtegernschriftsteller Gelb diese „Love&Peace-Früchtchen mit ihren Schlafsäcken, ihren Gitarren, ihrem dummen Gefasel von Woodstock, Togetherness, Karma“: „Ich habe diesen Typen nie über den Weg getraut. Sie waren alle nur hinter billigen Ficks her, besonders die, die es ständig mit dem Bewußtsein hatten. Om. Mit Vaters Scheck durch die ‘Dritte Welt’, finanziert von Karies, Standard Oil und der Rüstungsindustrie, und dann aber über die Askese predigen, den Sojakeim, Ying-Yang und die kosmischen Strahlen.“

Fauser legt offen, wie sich diese linke Spinnerszene seit den sechziger Jahren an den Fleischtöpfen der deutschen Sozialstaats- und Kulturbürokratie laben konnte. Frühere Happening-Künstler veranstalten Meditationskreise und Schweigeübungen, um die Aggressionen in der Drogenszene abzubauen.

Auf die Frage von Hellmuth Karasek, ob er sich als Publizist bezeichne, antwortete Fauser: „Ich bin Geschäftsmann. Ich vertreibe Produkte, die ich herstelle, und das ist ein Geschäft. Writing is my business.“ Jedes Land hat den Literaturkanon, den es verdient. Also, Fauser lesen. Und dazu ein Schnitzel und ein Bier.

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