© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Besser als das Dschungelcamp
Kriegsberichterstatter Billy Six über das Bundeswehrseminar für Journalisten in Krisengebieten
Billy Six

Nein, das wahre Leben ist nicht wie im Film“, so Oberstleutnant Volker Dewenter. Der Reserveoffizier steht heute wieder „Gewehr bei Fuß“, um seinen Zuhörern die Gefahren in Kriegsgebieten näherzubringen. Zweimal im Jahr findet er statt – der Lehrgang „Schutz und Verhalten in Krisenregionen“ für Journalisten. Das Seminar der Bundeswehr ist eine Lehre aus dem Tod zweier deutscher Reporter im Kosovo 1999. 15 „Neulinge“ sind diesmal anwesend. Ort des Geschehens: die „Rommel-Kaserne“ von Hammelburg, auf halbem Wege zwischen Fulda und Würzburg gelegen. 

„Wenn es ‘klack’ macht, dann geht das Ding sofort hoch“, so Dewenter. Keine Minenexplosion könne dadurch hinausgezögert werden, daß man auf dem aktivierten Sprengsatz stehenbleibe. Und über Leonardo di Caprios Schießkünste in „Blood Diamond“  bliebe nur zu sagen, daß Dauerfeuer mit fehlendem Gehörschutz wohl kaum ohne Dauerschädigung bleiben würde. Obendrein – ein Auto, das wäre nun überhaupt kein Schutz vor Kugeln.

Es ist die Mischung aus Theorie und Praxis, gepaart mit Zeugenaussagen und Erste-Hilfe-Schulung, welche den Kurs anschaulich und lehrreich macht. Genügend Gestaltungsraum bietet der rund 4.000 Hektar große Truppenübungsplatz allemal: Ein ausgedehntes Tal als Schießplatz, weite Waldgebiete und sogar Bonnland, ein 1938/1965 abgesiedeltes Dorf, welches nun als Übungsgelände für Straßenkämpfe dient.

Tückischer Hinterhalt: Woher der Schuß kam, läßt sich noch erahnen. Doch keiner der Teilnehmer hat eine Chance, etwas zu sehen: Der Schütze feuert (mit Platzpatronen) durch ein Dachfenster – und steht doch mitten im dunklen Raum. „Runter auf den Boden! Verbindung zur Gruppe halten. Die Lage aufklären. Zu einem sicheren Platz krauchen. Und schließlich die Situation weiter erkunden“, so der Ausbilder. Nicht gut wäre es übrigens, mit dem Kopf direkt an der Mauerkante um die Ecke zu schielen; im Falle eines Streifschusses würden gefährliche Splitter umherfliegen. Besser: Einen Meter Abstand zur Wand schaffen – und dann gucken. Wenig später: Von oben fällt eine Handgranate herab – die Gruppe wäre tot! Wegrennen nütze eh nichts, heißt es. Die Explosion folgt dem Wurf schon nach drei bis fünf Sekunden. Die einzige Rettung, wieder einmal … flach auf den Bauch legen, Ohren schützen und Mund öffnen (zum Druckausgleich). Die meisten Splitter würden quer durch die Luft fliegen, und für den Rest gilt eine neue Erkenntnis: „Man muß akzeptieren, daß es Schäden geben wird. Sie zu minimieren, ist das Ziel. Überleben das A und O.“

Fallen und Tretminen: „Von den Leuten in Afghanistan kann man wirklich viel lernen“, so der Experte für diverse Sprengfallen. Ein „Horror-Haus“: ein Sprengsatz über der Tür, ein einladender Sitz mit Kurzschlußvorrichtung, einbalsamierte Waffen in der Lehmwand. Nicht zu überbieten: das lebensgefährliche Waschbecken, fließendes Wasser aus dem Hahn löst unterhalb des Abflusses eine Reihe Würfelzucker auf, mit denen der Schalthebel einer Granate fixiert ist … Nicht nur unbekannte Gebäude, auch Freiflächen abseits der asphaltierten Straßen sollten tunlichst gemieden werden: Noch Jahrzehnte nach einem Krieg kann die Verseuchung mit Minen ein Problem darstellen.

Produktionskosten eines Anti-Personen-Sprengkörpers: drei bis dreißig US-Dollar. Fürs Räumen sind dagegen schon 200 bis 1.000 US-Dollar zu investieren. Die Journalisten finden auf einem präparierten Übungsplatz nur gut die Hälfte aller Minen-Attrappen. Klein und farblich angepaßt sind viele der heimtückischen Vorrichtungen. Dies gilt auch für auslösende Fäden, die fein gesponnen durch das Gras gezogen sind. Der einzige Weg der Befreiung aus dem Todesfeld: das langsame Vortasten mit einer Stricknadel – im 30-Grad-Winkel in den Boden gestochen.

Bombenanschlag: Die Schreie sind perfekt. Als Zivilisten verkleidete Zeitsoldaten spielen Opfer eines schweren Sprengstoffattentats. „Europäisches Gutmenschen-Denken ist nun völlig fehl am Platze“, so Oberstleutnant Dewenter. Erfahrungsgemäß gebe es anschließend noch eine zweite oder gar dritte Explosion – um auch die Helfer in den Tod zu reißen. „Rufen Sie Hilfe. Lassen Sie die Arbeit von geschulten Experten machen. Und helfen Sie notfalls nur außerhalb der Gefahrenzone!“ Vorführung einer kontrollierten 10-Kilogramm-Sprengung aus dem nahen Schützengraben: Die Druckwelle ist atemberaubend. Und erst recht die Vorstellung der hundertfachen Kraft bei manch echter Attacke.

Kontrollposten: Ein fingierterÜberfall im Wald; russisch schreiende Männer in wilden Uniformen zwingen die Gruppe auf den Boden. Eine halbe Ewigkeit auf den Knien, die Hände im Nacken. Das Klacken von Waffen soll die Nervosität erhöhen. Im Zelt des Anführers: Filmblut und eine bedrohliche Axt. Sie wollen Geld. Widerstand? Zwecklos! Auch wenn’s nicht ganz so dicke kommt: Alle Papiere schon im Vorfeld der Fahrzeugprüfung zu sammeln, macht einen „verdächtigen“ Griff nach unten überflüssig. Und damit auch Mißverständnisse.

Geiselnahme: Die härteste aller Übungen – vier Stunden Geiselhaft. Das Augenlicht – abgedunkelt. Der Aufenthaltsort – unbekannt. Schikanen ohne Ende. Die Knochen schmerzen. Die Stimme ist heiser – von den ständigen Kommando-Antworten. Der einzelne darf jederzeit abbrechen. Der zivil gekleidete Bundeswehr-Psychologe: „Beim Zugriff steht auch der Täter unter Streß. Spielen Sie nicht den Helden, wenn die Chancen nicht offenkundig gut stehen!“ Der menschliche Körper sei indes unheimlich belastungsfähig. Atem- und Entspannungstechniken sowie positives Denken oder positive Selbstinstruktion wären der Schlüssel, die Situation von einer Minute zur nächsten zu ertragen. Eine Karikatur wird an die Wand projiziert: „Toll, endlich mal ’nen Wolf“, sagt sich das Kaninchen. Ein Rat ist dem Geistesanalytiker noch wichtig: „Sagen Sie stets die Wahrheit. Ihre erfundenen Geschichten kriegen Sie nach Tagen des Schlafentzugs nicht mehr zusammen.“ Und im Netz lasse sich ohnehin alles zusammentragen.

Nach fünf militärisch-langen Tagen gibt Hauptfeldwebel Türk sein Resümee: „Scham und Routine sind die größten Todbringer. Es gibt kein richtig oder falsch. Es gibt nur zweckmäßiges Handeln.“

Journalistenseminar. Kontakt über  VN-Ausbildungszentrum Bundeswehr in Hammelburg. Nächstes Seminar 26.–30. November

 www.vnausbzbw.de

 

Traumatisierung von Kriegsreportern

Nach der Traumtisierung von Kriegsheimkehrern rückt nun auch die von Reportern in den Fokus der Öffentlichkeit. Eine der Speerspitzen in der Debatte darüber ist die Psychologin Anke Weidmann. In einem Interview mit dem Onlinemagazin Medienmonitor im Juni betonte sie, Journalisten kämen mit „sehr schwerwiegenden, sehr grausamen Ereignissen in Berührung“, was „Spuren hinterlasse“. Betroffene Kriegsberichterstatter litten – ähnlich wie Soldaten – unter Schlafstörungen oder dem „ungewollten Wiedererleben“. 

Aber: Das Datenmaterial ist dünn. Es gibt keine Zahlen zu diesem Phänomen. Die wenigen Studien, die sich mit dem Thema befassen, liefern keine Auskunft darüber, wie es um die Psyche der untersuchten Journalisten vor ihrem Einsatz bestellt war. Und nur eine stellte einen Vergleich zwischen Kriegsberichterstattern und ihren „Schreibtisch-Kollegen“ an. (bs)

Jeder Journalist kann Probleme bekommen. Interview mit Anke Weidmann

 www.medien-monitor.com

Foto: Ausbildung für den Ernstfall: Journalisten, die in Kriegsgebiete reisen, werden in Hammelburg vorbereitet

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