© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Die Seelennot eines Verstrickten
Günter Brakelmann porträtiert den 20.-Juli-Widerstandskämpfer Peter Yorck von Wartenburg
Herbert Ammon

Ich bin der Überzeugung, daß eine europäische Einigung unter deutscher Führung im Zuge der Zeit liegt, aber sich nur verwirklichen läßt auf dem gemeinsamen Boden der abendländischen Vergangenheit, die im wesentlichen geprägt ist durch Hellenismus, Christentum und die Schöpfungen des deutschen Geistes.“ Die Worte, protokolliert in den sogenannten Kaltenbrunner-Berichten, stammen nicht von dem Georgianer Stauffenberg, sondern von dessen Vetter Peter Yorck von Wartenburg.

Über Yorck schrieb 1995 der heute in Bern lehrende Christian Gerlach in dem für den Begleitband der „Wehrmachtsausstellung“ verfaßten Aufsatz „Männer des 20. Juli und der Krieg gegen die Sowjetunion“: „Ein anderer prominenter Widerständler leistete in Berlin einen kleinen Beitrag zur Idee der Schaffung ‘toter Zonen’. (...) Yorck von Wartenburg scheint überdies eine Art Multifunktionär, was Plünderungsorganisationen anging, gewesen zu sein.“ Mit der Selbstgewißheit der Nachgeborenen mokierte sich Gerlach (Jahrgang 1963) über anfängliche – im Kreisauer Kreis maßgeblich von Helmuth James Graf von Moltke vorgetragene – Bedenken bezüglich eines Attentats auf Hitler: „In anderen Fällen scheint sein Gewissen kleine Ausnahmen zugelassen zu haben. Um so erstaunlicher die Tatsache, daß Yorck nach seiner Verhaftung zu Protokoll gab, nicht allein die Verfolgung der Juden, sondern auch ‘das Vorgehen, welches wir zeitweise in den besetzten Gebieten an den Tag legten’, habe ihn zu seiner Oppositionshaltung bewogen.“

Von einer Biographie über Peter Graf Yorck von Wartenburg, dem neben Moltke bekanntesten „Kreisauer“, wäre zu erwarten, daß sie sich mit derlei Suggestionen („Widerstand – wogegen?“) auseinandersetzte. Eine solche Kritik ist bei Günter Brakelmann, Emeritus für christliche Sozialethik und Zeitgeschichte an der Universität Bochum, indes nicht zu finden. Sollte dies allein am dürftigen Quellenbestand liegen? Nach der Verhaftung ihres Mannes verbrannte dessen Frau Marion (1904–2007) alle verfänglichen Briefe. Brakelmann, Verfasser einer Moltke-Biographie (JF 13/07) und Herausgeber von Dokumenten des Kreisauer Kreises, konnte aus einer anscheinend nicht sehr ergiebigen Briefsammlung von Nachfahren der Familie des Diplomaten Hans-Adolf von Moltke und dessen Gattin Davida, der Schwester Yorcks, schöpfen. Als er, von der 2010 gestorbenen Moltke-Witwe Freya auf die gleichrangige Bedeutung Yorcks hingewiesen, ans Werk ging, waren die meisten Zeitzeugen längst nicht mehr am Leben.

Wo es um fundierte Aussagen ginge, betont der Biograph in politisch-protestantischem Duktus die „Verstrickungen“, denen auch Yorck, seit dem 15. Juli 1942 im Wirtschaftsstab Ost der Wehrmacht, ausgesetzt gewesen sei. Als Beleg dienen zwei Anmerkungen aus Gerlachs 1999 in Buchform erschienener Dissertation („Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941–1944“) sowie ein Hinweis auf den Sammelband „Der militärische Widerstand gegen Hitler im Lichte neuer Kontroversen“ (2010). Sodann heißt es über „die tiefe schuldhafte Verstrickung“ von Männern im Widerstand bei Brakelmann: „Auch wenn sie sich im einen oder anderen Fall widerständig verhielten oder Einzelmaßnahmen boykottierten, waren sie in ein ‘System kalkulierter Morde’ integriert. Und sie wußten, daß die angestrebte Befreiungstat eines Attentats und eines gelungenen Staatsstreichs nicht die nachträgliche Exkulpation für ihre Mitverantwortung am deutschen Irrweg bedeutet hätte. Die blutigen Hände waren nicht reinzuwaschen. Alles schrie nach Vergebung und Neuanfang. – Im Falle Yorcks wird man in aller Vorsicht vermuten dürfen usw.“

Derlei Sätze machen das Buch zur anstrengenden Lektüre. Brakelmann behilft sich über Seiten hin mit ins Spekulative abgleitenden Interpretationen, etwa eines Briefes Yorcks an seine Mutter, die 1872 zu Jagsthausen geborene Sophie Freiin von Berlichingen, in dem er zum 3. Oktober 1943 seinen Besuch in Klein-Oels, ankündigte. Dort fand alljährlich zusammen mit dem Erntedankfest ein Familientreffen zum Gedenken des berühmten Vorfahren statt. Der Held der Befreiungskriege, der in Tauroggen (31. Dezember 1812) als ungehorsamer General noch seinen Kopf riskiert hatte, wurde 1814 beim Einzug in Paris von König Friedrich Wilhelm III. „unter Beilegung des Namens Yorck von Wartenburg“ – ein Bezug auf die Schlacht bei Wartenburg an der Elbe (3. Oktober 1813) – in den Grafenstand erhoben. Bei seinem Abschied (Dezember 1815) empfing er die säkularisierte Malteserkommende in Niederschlesien als Dotation.

In besagtem Brief schrieb Peter Yorck  über seine „Seelennot“ angesichts der sich staatlicherseits vertiefenden Kluft „zwischen Gott und Staat“. Dazu Brakelmann: Die „Mutter wird es verstanden haben“, da sie die drei Treffen in Kreisau „mitbekommen haben wird. (...) Wenn auch nicht über die Einzelheiten unterrichtet, wußte sie wohl um die konspirative Tätigkeit ihrer Kinder.“ Vier Seiten zuvor ist zu erfahren, daß die Mutter um jene Zeit „trotz allem noch an einen Endsieg glaubte“.

Das Freundschaftsverhältnis Yorck-Moltke setzte nach Einladung Yorcks an Moltke am 16. Januar 1940 ein. Ausführlich behandelt Brakelmann die sich allmählich annähernden Staatsauffassungen des angelsächsisch-liberal geprägten Moltke und des stärker vom deutsch-idealistischen Staatsverständnis herkommenden Yorck. Erhellend sind Beziehungen Yorcks zu dem Breslauer Nationalökonomen Günter Schmölders sowie Kontakte mit den Freiburger Ökonomen Adolf Lampe und Walter Eucken. Richtig ist, daß die Vertreter der Freiburger Schule zu den Mitbegründern des Konzepts der „Sozialen Marktwirtschaft“ zählen. Wie aber passen deren liberale Konzepte zu den christlich-kommunitaristischen Ideen der Kreisauer?        

Der Autor neigt einerseits zum Glatthobeln von historisch-faktischen Unebenheiten, andererseits zur moralisch getönten Zuspitzung. Von den Protestanten unter den Kreisauern habe keiner in Beziehung zu DNVP, NSDAP oder völkischen Kreisen gestanden. Das gilt nicht für Fritz-Dietlof von der Schulenburg („Fritzi“) den Verbindungsmann zum militärischen Widerstand und zu Yorcks Vetter Stauffenberg. Selbst „der demokratische Graf“ Yorck, der unter Protektion des „alten Kämpfers“ Josef Wagner den Parteieintritt verweigerte, hatte vor 1933 die DNVP, sodann die NSDAP gewählt. Ein Satz über die Hintergründe der Verhaftung 1942 des auch von Moltke geschätzten Gauleiters von Schlesien und Reichspreiskommissars Wagner wäre nützlich gewesen: Als gläubiger Katholik warnte er seine Tochter vor der Heirat mit einem SS-Führer. 

Beleuchtet wird der juristisch ausgetragene Bruderzwist zwischen Peter und seinem älteren Bruder Paul, der ob seiner Liaison und späten Heirat 1940  mit einer katholischen, zweimal geschiedenen Schauspielerin als Oberhaupt des Fideikommisses Klein-Oels untragbar geworden war. Laut Brakelmann von nationalrevolutionären Sentiments beseelt, war Paul 1932 in NSDAP und SA eingetreten. Auf Klein-Oels fanden Parteifeste statt. Nach den Morden in der „Affäre Röhm“ 1934 sandte der SA-Mann seine Uniform an Hitler nach Berlin. Paul Yorck (1902–2002), von der Widerstandstätigkeit des Bruders anscheinend nichts wissend, wurde am 21. Juli 1944 verhaftet und im April 1945 aus dem KZ Sachsenhausen befreit.

In den eingangs zitierten Sätzen klingen die Worte des patriotischen Eides nach, den die Verschwörer in der Wohnung der Stauffenbergs am Vorabend des Attentats ablegten – eine der großen Szenen in der Tragödie des 20. Juli. Im Buch bleibt sie unerwähnt. Am 22. November 2002 hielt Brakelmann bei der Enthüllung einer polnisch-deutschen Gedenktafel für Peter Yorck eine Rede. Klein-Oels (Olesnica Mala) liegt etwa 15 Kilometer westlich von Brieg, wo Yorck als Gerichtsreferendar tätig war. Autor und Lektor, dem noch andere Ungenauigkeiten entgangen sind, verorten Brieg (Brzeg) „45 Kilometer nördlich der schlesischen Hauptstadt“ Breslau.

Günter Brakelmann: Peter Yorck von Wartenburg 1904–1944. Eine Biographie. Verlag C.H. Beck, München 2012, gebunden, 336 Seiten,  24,95 Euro

Foto: Peter Graf Yorck von Wartenburg (r.) mit General Friedrich von Rabenau (M.) und Joachim von Moltke in Kreisau 1942; Yorck vor dem Volksgerichtshof am 5. August 1944: Kluft zwischen Gott und Staat

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