© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012

Weder befohlen noch zensiert
Staatsfreie Sphäre: Ausstellung in Ratingen über „Mode im Dritten Reich“
Ellen Kositza

Wir schauen uns um: Was trägt man so? Jeans, in der Überzahl. Knaben tragen gern baumwollene Pullover mit Aufschriften wie Columbia 1977 oder Red Force Label Good, Mädchen tragen häufig rosa. Hätte dies etwas zu bedeuten?

Und die Erwachsenen? Jeans, in der Überzahl. Obenrum? Je nach Mode. Muß man mit? Nein, aber fast alle tun’s, differenziert in drei oder vier Niveaustufen und kleinen individuellen Abweichungen. Wo werden die marktgängigen Textilien hergestellt? Gern in Vietnam, Kambodscha, Polen oder der Türkei, in seltensten Fällen im Absatzland.

Was sagt uns dies über die Inhalte des herrschenden System? Gibt es eine Bekleidungsideologie? Herrscht das System über modische Angelegenheiten? Gibt es Dresscodes? Ein definiertes In- und ein Out-Verdikt? Wenn ja, wäre dies problematisch?

Die Linke spricht von ausbeuterischen Produktionsverhältissen, die Rechte von subtiler Gleichschaltung. Wen aber schert’s, solange der Karren rumpelt und die Masse zufrieden schweigt?

Der befreite Rückblick auf vergangene Zeiten und Zustände hingegen erleichtert Analyse und Urteil. „Glanz und Grauen“ der „Mode im ‘Dritten Reich’“ präsentiert uns eine weitgefaßte Ausstellung des Industriemuseums Textilfabrik Cromford, die noch bis Anfang nächsten Jahres in Ratingen zu besichtigen ist.

Wir schauen und staunen: Von wegen Wolle und Leinen, grau und braun! Allein die Bademode (Wolle!) hinkte den Möglichkeiten hinterher, ansonsten hatte die gut waschbare Kunstfaser längst Einzug gehalten selbst in die (oft beträchtlich improvisierten) Uniformteile der HJ und des BDM. Die Damenmode, ob Alltags- oder Festkleidung, hatte sich abgewandt vom hängenden, „überspielenden“ Stil der Reformbewegung. Dynamische Schnitte, taillenbetont, schmalhüftig und mit vergleichsweise kurzer Rocklänge dominierten in den dreißiger Jahren. Der Uniformstil mit betonten Schultern, markanten Knöpfen, Schnürungen und formaler Strenge fügte sich bestens in den international verbreiteten Chic.

Die Jahrhunderte währende Ära des Kleides als Hauptbekleidungsstück der Frau war – wenigstens in der Tagesmode – in diesen Jahren an ihr Ende gekommen. Die Kombinierbarkeit von Röcken, Blusen und nun auch Pullovern wird zu Recht im Sinne eines Anklangs von Demokratisierung und Individualisierung gesehen: Die schnittige BDM-Kletterweste zum luftigen Tüllrock – so konnte frau durchaus daherkommen. Den auf „Grauen“ verweisenden Ausstellungstitel hat die Trägerin damit höchstens unfreiwillig tangiert.

Den grauenhaften Kontrapunkt zum modischen Glanz der Ära setzt eine prinzipielle Feststellung, die sämtliche Phänomene jener Zeit zwangsläufig klammert. Hier: Juden hatten ihre Oberbekleidung durch den bekannten Stern zu markieren. Und: In der Textilwirtschaft hatten nationale Erwägungen Priorität.

Kleidungsstile aber wurden weder befohlen noch zensiert. In seinem berühmten Aufsatz „Das gespaltene Bewußtsein. Über deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933–1945“ hat der Literaturwissenschaftler Hans Dieter Schäfer vor Jahrzehnten das Notwendige zur Illusion eines durch und durch organisierten nationalsozialistischen Herrschaftssystems gesagt. Schäfers Blick auf die „unpolitische Seite“ (Carl Schmitt), jene staatsfreie Sphäre, die der NS-Staat ausdrücklich garantierte, auf die Konsum- und Zerstreuungsziele der Machthaber sowie den nahezu bruchlos weiterwirkender Amerikanismus erachten die Ausstellungsmacher ohne weitere Auseinandersetzung als unergiebig. Einzugestehen, daß Hitler und seine Mannen dem Modernisierungsschub und der progressiven Individualisierung im Kern nicht entgegenstanden, wäre vermutlich eine moralische Bredouille.

Dennoch sehen wir uns in der Ausstellung Konsumartikeln, Anleitungen, Modeaccesoires und Frauenbildern gegenüber, die keinesfalls die Aura des „Völkischen“ atmen und die wir eher den zwanziger Jahren oder der Adenauer-Zeit zuordnen würden.

Der Prototyp der anorektischen Frau, hochaufgeschossen, mit Wespentaille, knabenhaften Hüften, hauchdünnen Oberarmen und textil verbreiterten Schultern, dominiert sämtliche Modezeichnungen. Einerlei, ob wir die neue linie, das avantgardistische Vorzeigemagazin des Regimes, anschauen oder die runengetränkte Frauen-Warte, das Parteiblatt: Betont völkische Frauenbilder von Weibern mit kräftigen Armen und pausbäckigen Gesichtern sind Mangelware. Selbst wo die Frauen-Warte einmal „sommerlich leichte Kleider für die nicht ganz Schlanken“ vorstellt, entsprechen die vorgeführten Modelle dem gängigen Idealtyp der dezent untergewichtigen Frau.

Nebenbei wurde auch hier für Make-up und Zigaretten geworben, im Konkurrenzblatt die neue linie mit der Fotografie eines entrückt qualmenden Brunhilden-Antlitzes: „Verehrte Raucherin! Wir möchten, daß das Rauchen Ihnen stets Freude bereitet …“ Der „Tagesplan für Ferienleute“ (1937) zeichnet eine dünne Frau, die in aller Entspannung Muße findet, sich im Dreistundentakt entlang modischer Richtlinien neu einzukleiden.

Während noch vor kurzem der Präsident des Welt-Skiverbandes gewarnt hatte, beim Aufprall könne die Gebärmutter einer Skispringerin platzen (erst 2014 wird das Skispringen der Damen olympische Disziplin!), sehen wir auf dem Titel der neuen linie 11/1935 eine skispringende Frau in schnittigem Dress, zuvor eine behoste Walküre mit Bubikopf beim alpinen Klettern.

Die Moderne hat längst Einzug gehalten, und es gab wenig Bemühen seitens des Regimes, diese Einflüsse zurückzudrängen. Das zeigt sich stilistisch wie auch im profanen Bereich der Textilverarbeitung: Die kurze Hose der Hitlerjugend besteht mitnichten aus Naturfasern, die Trillerpfeife der Gruppenführer hängt an einem grellgrünen Plastikband, das gemäß der heute wieder zeitgenössischen „Scoubidou“-Technik geknüpft ist.

Oder nehmen wir die Trachtenmode, die „Salzburgerei“, die keineswegs von sämtlichen maßgeblichen Stellen innerhalb der Partei gutgeheißen wurde. Städtische BDM-Führerinnen wehrten sich inbrünstig gegen den als aufgesetzt empfundenen Dirndl-Stil. Der wiederum kam eher plump denn kokett daher, von den heutigen Preßbusenoberteilen keine Spur, dafür hingegen gechintzte, „geglitzerte“ Schürzen wie aus billigstem Kunststoff. „Wir machen aus uns keine Städterinnen im Bauerngewand!“, proklamierten BDM-Größen selbstbewußt. Bezopfte Heimchen am Herd wollten die maßgeblichen Frauen nicht sein. „Der Gretchentyp ist überwunden!“, verkündete die siebenfache Mutter Magda Goebbels als Ehrenvorsitzende des Berliner Modeinstituts. Aufwendig, teils grotesk hochgetürmte Haare galten als letzter Schrei, bekannt als „Entwarnungsfrisur“, dem Motto „alles nach oben!“ gehorchend. Der Modestil, solange er sich in den Rahmen der Volksgemeinschaft fügte, war „persönliche Angelegenheit der Frau“.

Das mag man als perfide Taktik bewerten oder als Liberalität. Die Ausstellungsmacher jedenfalls wollen Freiräume oder nachgerade klassische Ambivalenzen innerhalb der NS-Ideologie als „Widersprüche“ entlarven: Man pries die aufopferungsvolle Mutter und förderte zugleich die berufstätige Frau.

Goebbels maß anders als Hitler der Mode eine große Bedeutung zu und hätte sie gern als Mittel der Geschmacksbildung und in ihrer Eigenschaft als Kulturträger unter die Befugnisse der Reichskulturkammer gestellt, diese Ideen versandeten aber. Das weitgehende Laissez-faire der Nationalsozialisten in Modefragen läßt sich mit nachgeborener Willkür gleichwohl als „ideologische Lösung“ deuten: Die Aussage, daß sich modische Gepflogenheiten nun nicht mehr zu „weltanschaulichen Gegensätzen“ aufblähen“ lassen und zum „persönlichen Geschmack“ gehören sollten, wird dann als pseudotoleranter Notbehelf ausgestellt.

Erinnert sei an einen Internetauftritt der Piratin Marina Weisband, der zu Beginn ihrer Prominenz Furore machte: Kokett und patent zugleich führte Fräulein Weisband vor, wie sie im Handumdrehen aus einem Herrenhemd ein Cocktailkleid zaubert. Der Impuls ist alt: So mach ich’s mir hieß ein verbreitetes Heftchen, das in der NS-Zeit kursierte: Flugs ist aus „Altmaterial“ und „nur mit Nähnadel und Zwirn“ ein flotter „Haus- und Morgenschuh“ hergestellt! Marika Rökk führte im Film vor, wie sich die patente Frau in der Wirtschaftskrise aus einem Duschvorhang ein Kleid fertigt: Weisband als Rökk rediviva! Der Trick an sich heißt nicht „retro“, er ist frauenkulturgeschichtliches Allgemeingut seit Urzeiten.

Dies ist einer der vielen Punkte, an dem man es als eine uferlose Idee empfinden kann, Phänomene der Alltagsgeschichte, sofern sie sich zwischen 1933 und 1945 ereigneten, willkürlich mit braunen Schattierungen einzutrüben: Wie wäre es mit „Glanz und Grauen des Mittagstisches – Speisefolgen im Dritten Reich“, „Glanz und Grauen der Lust – (un)eheliche Liebe unter dem Hakenkreuz“ oder: „Das Grauen des Glanzes – Hygiene und Haushalt im NS-Regime“? Die Reihe der Ausstellungsdesiderate wäre fortsetzbar.

Ließ sich an der Kleidung ablesen, wer begeistert das Regime unterstützte?, wird auf einer Tafel gefragt. Ja, sagt ein namenloser Zeitzeuge: „Man konnte Kleidung lesen.“ Weitergehend erörtert wird dieser Lesecode nicht. Wir sehen jenseits der Glasscheiben, ganz im Hintergrund, eine Herrengruppe in dunklen Mänteln. Sie sind als konspiratives Dreigestirn aufgestellt; es darf frei assoziiert werden, was die bemäntelten Männer aushecken und inwiefern ihre abzeichenlose Kleidung ihre Absichten verrät.

Die Ausstellung, so heißt es im – nur teilweise klug verfaßten – Begleitbuch, beschränke sich weitgehend auf die Gruppe der „Volksgenossen“, und man fühlt sich bemüßigt, dies zu entschuldigen oder wenigstens zu begründen: In der umfangreichen textilen Sammlung befinde sich „ein einziges Stück, von dem wir ausdrücklich wissen, daß es jüdischer Herkunft ist – ein sichtbares Zeugnis für die Vernichtung jüdischen Lebens und jüdischer Kultur“.

Die Ausstellung „Glanz und Grauen – Mode im Dritten Reich“ ist bis zum 27. Januar 2013 im LVR-Industriemuseum Ratingen, Textilfabrik Cromford, Cromforder Allee 24, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr, zu sehen. Telefon: 0 22 34 / 99 21-555

Die Begleitpublikation zur Ausstellung kostet 9,95 Euro.

www.industriemuseum.lvr.de

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