© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012

Übrig blieben dummdeutsche Biersäufer
Anti-Sarrazin-Propaganda: Wie sich Multikulti-Lobbyisten ein „Deutschland ohne Ausländer“ vorstellen
Michael Paulwitz

Ein Buch, das auf über 250 Seiten eine Forderung widerlegen will, die von niemandem ernsthaft erhoben wird, könnte man überflüssig nennen und seine Autoren töricht. Weniger wohlwollend handelt es sich um eine Propagandaschrift und bei den Verfassern um Demagogen. Damit wäre das „Deutschland ohne Ausländer“ betitelte „Szenario“ der beiden FR-Journalisten Pitt von Bebenburg und Matthias Thieme im Grunde bereits auf den Punkt gebracht.

Eine neue „rechtspopulistische Regierung“, so die Ausgangsannahme, hätte also zu einem Stichtag die Ausweisung aller „Ausländer“ angeordnet und mit diesem Millionen-Exodus eine Katastrophe heraufbeschworen: Deutschland versänke in Dreck und Kulturlosigkeit, weil es an ausländischen Putzfrauen, Sterneköchen und Opernsängern fehlte, die Wirtschaft bräche zusammen, weil ihr die ausländischen Fließbandarbeiter und Autodesigner, Prostituierten, Dönerbudengründer und internationalen Topmanager ausgingen, dem Wohnungsmarkt fehlten die Mieter, den Hochschulen die Studenten, der Bundesliga die internationalen Profis, und Deutschland wäre international isoliert, weil es von ausländischen Touristen und internationalen Institutionen gemieden und geächtet würde. Sogar Deutsche-Bank-Chef Anshu Jain müßte man nach dieser Logik ausweisen, munkeln die Autoren, und die Banken würden einfach abwandern, denn die folgen immer den „Höchstqualifizierten“ ihres Faches, egal wo die sind; an dieser Stelle läßt sich immerhin erahnen, in wessen Interesse Bebenburg und Thieme so eifrig dem Einreißen aller Zuwanderungsschranken das Wort reden.

„Aber ihr geht doch auch gern zum Italiener“, lautete schon in den Achtzigern das einfältige Totschlagargument, das Rosa-Brille-Multikulturalisten jedem Hinweis auf Immigrations-Fehlentwicklungen entgegenzuhalten pflegten. Bebenburg und Thieme walzen es mit ihrem absurden Szenario auf Buchformat aus. Weil sich viele Deutsche „weniger Ausländer“ wünschen – und dabei in der Regel ganz bestimmte, problematische Gruppen im Blick haben –, unterstellen die beiden Volkspädagogen, die unterschiedslose Ausweisung aller wäre mehrheitsfähig; so geht Demagogie. Ihre „Rechtspopulisten“ sind eine vage Nazi-Karikatur aus dem Abziehbilderbuch des Gutmenschen; auch wenn immer wieder mal von Haider und Le Pen geraunt wird, bleiben sie genauso Projektion wie „die Ausländer“, die von den Autoren unterschiedslos in einen Topf geworfen und zunächst allein an der Staatsbürgerschaft identifiziert werden.

Da würden sich die „Rechtspopulisten“ aber wundern, wie viele „Ausländer“ immer noch da wären, wenn man alle Fremdpaßinhaber wegschickte, trumpfen die Autoren auf; als wüßten andere nicht sehr wohl, wie viele eingebürgerte – und trotzdem nicht integrierte – Einwanderer es hierzulande gibt.Integrationsverweigerung und Parallelgesellschaften kommen bei Bebenburg und Thieme allerdings genausowenig vor wie die überproportionalen Sozialhilfe-, Schulabbrecher-, Arbeitslosigkeits- oder Kriminalitätsanteile bestimmter Einwanderergruppen, vor allem bei den hier erst geborenen Generationen. Derlei störende Phänomene werden im undifferenzierten „Migranten“-Begriff der Multikulturalismus-Lobby aufgelöst, den auch die Autoren zugrunde legen.

Trotzdem bedarf es einer gehörigen Portion Akrobatik, einen „positiven Finanzierungsbeitrag“ der ausländischen Bevölkerung zu den deutschen Staatsfinanzen zu errechnen; den im Buch zitierten Studien gelingt das Kunststück, indem die durch Beitragsleistung erworbenen hohen Rentenansprüche der Einheimischen mit reinen staatlichen Transferleistungen in einen Topf geworfen und einwanderungsbedingte höhere staatliche Infrastrukturausgaben ausgeblendet werden. Die ausführlich zitierte Studie von Holger Bonin hat Thilo Sarrazin längst zerpflückt, weil sie weder die gesamte Migrationsbevölkerung einbezieht noch nach den verschiedenen und äußerst heterogenen Einwanderergruppen differenziert.

Nicht zufällig ist das Kapitel „Kriminalität ohne Ausländer“ eines der kürzesten und dürrsten. Nach altem Soziologenbrauch werden solange Äpfel mit Birnen verglichen und Sondereffekte aus dem Hut gezogen und herausgerechnet, bis die Ausländerkriminalität sogar noch unter der Rate der Einheimischen liegt; und die Ursachen von Ausländerkriminalität werden allein in „sozialen“ Verhältnissen verortet, als hätten die mit ethnisch und kulturell bedingten Mentalitäten nicht das geringste zu tun.

Reihenweise werden Kronzeugen vornehmlich aus Kreisen der Multikulti-Lobby aufgeboten, die brav bestätigen, wie „grauenhaft“ ein Deutschland ohne Ausländer doch wäre. Ausgerechnet Günter Wallraff, der allen Ernstes als „Experte“ interviewt wird, darf zum Schluß noch einmal sagen, wer mit den ominösen „Rechtspopulisten“ gemeint ist, die das seltsame Werk widerlegen soll: der Gottseibeiuns Sarrazin! Der soll sich angeblich ein Deutschland ganz ohne „Migranten“ wünschen, ziehen Bebenburg und Thieme den Anlaß ihres Buches aus einem überinterpretierten Halbsatz in „Deutschland schafft sich ab“ an den Haaren herbei.

Die Intention ist durchsichtig: Differenzierte und kritische Einwanderungsdiskurse sollen mit einer Materialschlacht von mehr oder weniger weit hergeholten Argumenten schon im Ansatz lächerlich gemacht werden, damit sie nicht politisch wirksam werden. Daß Sarrazin selbst sehr genau unterscheidet und eben nicht, wie die beiden FR-Journalisten, vietnamesische Abiturienten und russische Hochschüler mit türkischen Sozialhilfeempfängern und arabischen Haßpredigern in einem Migrantentopf zusammenrührt, wird mit unwissenschaftlicher Arroganz dreist ignoriert. Bereits das Differenzieren von Einwanderern nach Nützlichkeit, daß die bösen „Rechtspopulisten“ also wohl doch nicht alle Ausländer ausweisen, sondern die produktiven „behalten“ würden, soll allerdings auch wieder „ausländerfeindlich“ sein – obwohl doch angeblich Einwanderung sowieso nur Nutzen bringen soll.

Aber wen kümmern solche logischen Widersprüche, wenn Multikulti- und Einwanderungslobbyisten für ihresgleichen schreiben. Klischee reiht sich an Klischee – nach der Massenausweisung klärt die eingebürgerte türkische Studentin die vormittags schon Bier saufenden arbeitslosen deutschen Dachdecker über die „Neuen Deutschen“ auf; Naika Foroutan, die Vorzeige-Soziologin dieser Spezies, die sich in der Sarrazin-Debatte durch unqualifizierte Kritikversuche blamiert hat, darf im zitierten „Experten“-Reigen natürlich auch nicht fehlen, der für den Fall einer rigideren Einwanderungspolitik unverhohlen mit „Bürgerkrieg“ droht.

Mit einem breiten Mainstream-Chor von Jubelrezensionen für das Sarrazin-Bashing der in der Integrationsindustrie bestens vernetzten Autoren dürfte für den Verlag, der sonst sein Geld mit MBA-, Karriere- und Managerliteratur verdient, die Kasse schon gestimmt haben. Auf der anderen Hochzeit tanzt man aber auch ganz gern: Für Oktober kündigt der Verlag mit dem Prädikat „Gleiche Zielgruppe und Leserschaft wie ‘Deutschland schafft sich ab’“ einen „ultimativen Faktencheck“ an, der enthüllen soll, „wie wir von Politik und Wirtschaft für dumm verkauft werden“. Na denn.

Pitt von Bebenburg, Matthias Thieme: Deutschland ohne Ausländer. Ein Szenario. Redline Verlag, München 2012, gebunden, 272 Seiten, 19,99 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen