© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012

„Faktisch unmöglich gemacht“
Leidenschaftlich wirbt die Nobelpreisträgerin Nüsslein-Volhard für grüne Gentechnik / Kritiker warnen vor Effizienz-Denken
Christoph Keller

Als Kontrahentin in der Diskussion um Gentechnologien steigt die Biochemikerin Christiane Nüsslein-Volhard nicht ohne Vorbelastungen in den Ring. Hat die Direktorin des Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie (MPIEB) doch 1998, drei Jahre nach ihrem Nobelpreis für Forschungen zur genetischen Steuerung der Embryonalentwicklung, mit dem Bayer-Manager Peter Stadler und dem Kölner Genetiker Klaus Rajewski eine Biotechnologiefirma gegründet, die sich auf die Entwicklung von gentechnisch hergestellten Medikamenten spezialisierte. Seit 2008 ist Artemis Pharmaceuticals Teil des US-Pharmariesen Taconic Farms.

Offenbar bittere Erfahrungen dieses Ausflugs in die kommerzialisierte Genforschung machen den mitunter polemischen Unterton verständlich, den die insoweit keineswegs altersmilde 70jährige in einem Streitgespräch mit der Gentechnik-Kritikerin Angelika Hilbeck (ETH Zürich) anschlägt (Nachrichten aus der Chemie, 6/12). Freimütig räumt die Nobelpreisträgerin ein, daß es sie aufregt, mit welcher „Unvernunft“ die grüne Gentechnik, die die Züchtung leistungsfähiger und umweltverträglicher Feldfrüchte ermögliche, „in Forschung und Praxis politisch bekämpft“ werde. In Deutschland, wo man auf eine ruhmreiche Tradition agrarwissenschaftlicher Grundlagenforschung zurückblicke, finde an den Max-Planck-Instituten praktisch keine anwendungsbezogene Forschung mehr statt, nicht einmal am MPI für Züchtungsforschung, wo die Methode, fremde Gene in Pflanzen zu übertragen, von Jeff Schell entwickelt worden ist. So klinke man sich aus einem Wettbewerb aus, der nirgendwo unter vergleichbaren Hindernissen leide.

„Fanatische Umweltschützer“ hätten nicht nur die Forschungsfreiheit massiv eingeschränkt. Sie hätten auch ein Klima der Angst erzeugt, so daß Gentechnik kaum noch auf öffentliche Akzeptanz rechnen dürfe. Dies wirke sich unmittelbar auf die Gesetzgebung aus, die den Anbau gentechnisch veränderter Feldfrüchte hierzulande „faktisch unmöglich macht“. Warnend erinnert Nüsslein-Volhard an eine ähnlich fatale Ausbremsung von Forschung durch die Politik. Tübinger Biochemiker hätten in den USA den Weg zur gentechnischen Produktion von Humaninsulin bereitet, die 1982 begann.

In Deutschland habe Hoechst 14 Jahre benötigt, um dafür eine Herstellungsgenehmigung zu erhalten. Aus diesen Fehlern der „roten Gentechnik“ (Medizin) sollte die grüne lernen, stattdessen würden sie hier nur wiederholt. Nach Nüsslein-Volhards Überzeugung verzichte man mit risikoloser Gentechnik darauf, Probleme der Welternährung anzupacken, optimierte Nahrungsmittel zu erzeugen und einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, da gentechnisch modifizierte Pflanzen den Einsatz von Herbiziden und Pestiziden erübrigen.

Die über biologische Schädlingsbekämpfung promovierte Angelika Hilbeck meint hier die Achillesferse in der Argumentation der Tübinger Professorin zu entdecken. Insektenresistente Pflanzen helfen vielleicht, den Spritzmittelverbrauch zu senken. Aber die Insektizidproduktion werde nur in die Pflanze verlegt. Zudem sei Nüsslein-Volhard einseitig dem Effizienz-Denken verhaftet, das auch in grüner, angeblich ökologisch verträglicher Gentechnik dominiere.

Letztlich gehe es darum, die tradierte industrielle Landwirtschaft technisch aufzurüsten, um mit noch präziseren Methoden Ertragssteigerungen zu erzielen. Der geringste Anteil dieser Agrarrohstoffe fließe dabei in die Lebensmittelproduktion, sondern komme der Tierproduktion zu. Neuerdings werde die Technik auch für die keineswegs umweltneutrale Energiegewinnung aus pflanzlichen Rohstoffen verwandt.

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