© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

Jón Gnarr machte mit einer Spaßpartei Politik – und ist heute stärkste Kraft
Handtücher für alle!
Auðunn Arnórsson

Stellen Sie sich vor, statt Klaus Wowereit wäre Horst Schlemmer alias Hape Kerkeling Regierender Bürgermeister von Berlin. Unmöglich? Nicht in Island, wo der Komiker, Schauspieler, ehemalige Punkrocker und Autodidakt Jón Gnarr nun seit zwei Jahren die Hauptstadt Reykjavík regiert, in der immerhin gut ein Drittel der Isländer lebt. Mit absurden Wahlkampfsprüchen wie „Vorwärts Allerlei!“ avancierte die von Gnarr gegründete Spaßformation „Besti flokkurinn“, zu deutsch die „beste Partei“, im Sommer 2010 mit fast 35 Prozent zur stärksten Partei in der Hauptstadt. Dabei handelte es sich ursprünglich nur um einen eilig zusammengetrommelten Haufen von Gnarrs Freunden aus der Popkultur- und Künstlerszene Reykjavíks, allesamt ohne jegliche politische Erfahrung. Und obendrein verzichtete die Jokus-Truppe natürlich auf unnötigen Ballast, wie etwa ein Parteiprogramm, und forderte statt dessen lieber schlaue Lösungen für die wirklich drängenden Probleme, etwa: „Kostenlose Badetücher in allen Schwimmbädern!“

Seitdem aber haben sich die Anti-Politiker der Parodie-Partei politisch bewähren müssen – in Koalition mit den Sozialdemokraten mit unerwartetem Erfolg. Zwar fiel die „beste Partei“ bei Umfragen inzwischen auf rund 22 Prozent, doch angesichts der Krisenzeiten und unpopulärer, aber notwendiger Sparmaßnahmen ist der Wert dennoch beachtlich. Noch mehr überrasche ihn jedoch, so Gnarr in Interviews, daß seine Politik-Dilettanten überhaupt so lange durchgehalten haben, statt wieder Musik und Theater zu machen.

2011 empfing er übrigens eine Delegation der Berliner Piratenpartei. Pikanterweise sind allerdings die meisten Vertreter der „besten Partei“ Künstler, die von Urheberrechten leben.

Geboren wurde Jón Gnarr 1967 in Reykjavík. Mit 14 schmiß er die Schule, wurde Punker und schrieb mit 19 den Roman „Die Stadt der Mitternachtssonne“. Seine Karriere als Komiker begann er beim staatlichen Radio mit der wöchentlichen Burleske „Hotel Volkswagen“, die Geschichte eines Automechanikers, der aus Liebe zu VW nach Deutschland zieht.

Inzwischen hat Gnarr daraus ein Schauspiel gemacht, das im März am Stadttheater uraufgeführt wurde. Diesmal geht es aber nicht nur um absurden Humor, sondern darum, sich mit dem Thema Verantwortung auseinanderzusetzen. Denn kein leitender Politiker, Beamter oder Banker des Kladderadatschs von 2008 hatte damals Verantwortung für Islands Krise übernommen. „Bis zum Crash habe ich mich nicht für Politik interessiert“, gibt Gnarr zu, „die Politiker machten ihr Ding, ich meins.“ Dann aber wurde ihm klar, Politik ist eine „zu ernste Sache, als daß man sie den Politikern überlassen könnte“, erklärte er 2009 die Gründung seiner Partei. Und inzwischen will er sich nicht mehr damit begnügen, nur Bürgermeister zu bleiben.

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