© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ist der Ruf erst ruiniert
Paul Rosen

Je weniger die Leute davon wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie“, wußte schon Reichskanzler Otto von Bismarck. Über die Lebensmittelherstellung machen sich viele Leute nach zahlreichen Skandalen keine Illusionen mehr. Auch die Betrachtung der Politik wird immer nüchterner. Spätestens das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens, das den Bundestag in ganzen 57 Sekunden Beratungszeit passierte, dürfte selbst wenig an Politik Interessierten die Augen geöffnet haben, welche Sorg- und Ahnungslosigkeit viele Abgeordnete prägt.

Das Meldegesetz mag eine Kleinigkeit im Vergleich zu den Milliarden-Paketen zur Euro-Rettung sein, aber an den Kleinigkeiten wird deutlich, wie Politik funktioniert oder – besser gesagt – nicht funktionieren sollte. Der Gesetzentwurf wurde an einem Mittwoch bei der abschließenden Beratung im Innenausschuß von den Koalitionsfraktionen verändert, so daß Daten praktisch frei verkäuflich gewesen wären. Einen Tag später, ohne mündliche Debatte und bei nur einem guten Dutzend anwesender Abgeordneter im Plenarsaal, wurde das Gesetz verabschiedet.

Die übrigen Abgeordneten dürften vor Großbildschirmen gesessen und sich ein Fußballspiel der Europameisterschaft angeschaut haben. Auch Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU), die sich schon mit Facebook anlegte und sich jetzt die Banken wegen hoher Dispozinsen vornahm, hatte nichts bemerkt und sich damit als große Windmaschine entpuppt, die nur die schnelle Meldung in den Medien will. Die ertappte Koalition flehte die Opposition an, das Gesetz im Bundesrat zu stoppen. „Berlin ist manchmal wie Schilda“, spottete das Handelsblatt.

Die Abgeordneten haben inzwischen einen angeschlagenen Ruf in der Bevölkerung. Das ist kein Wunder, denn einem Bundestag, der erst vom Verfassungsgericht auf die Wahrnehmung seiner Rechte hingewiesen werden muß, wird nicht mehr viel Vertrauen gegeben. Eine im Stern veröffentlichte Umfrage dokumentiert dies. Für 81 Prozent der Befragten steht fest, daß Abgeordnete angesichts der schwierigen Probleme den Überblick verloren haben, 66 Prozent glauben nicht mehr, daß Abgeordnete ihre Arbeit engagiert und sachgerecht verrichten. 77 Prozent verlangen, daß Abgeordnete in erster Linie ihrem Gewissen folgen sollen – so wie es das Grundgesetz vorschreibt, aber angesichts des Fraktionszwangs schon lange nicht mehr der Realität entspricht.

Nur wenige Mutige wie Klaus-Peter Willsch (CDU), Peter Gauweiler (CSU) und Frank Schäffler (FDP) nehmen die Bestimmung, daß sie dem Gewissen, aber nicht der Parteiführung oder dem Kanzleramt verpflichtet sind, noch ernst. 75 Prozent kritisieren auch die Gespensterdebatten wie beim Meldegesetz, wo Reden nicht gehalten, sondern „zu Protokoll“ gegeben werden.

Wenn man über diese Zahlen nachdenkt, hilft auch Bismarck nicht weiter, der einst meinte: „Es gehört zum deutschen Bedürfnis, beim Biere von der Regierung schlecht zu reden.“ Die Lage ist ernster.

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