© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

„Abends mag man kaum aus dem Haus gehen“
Israel: Illegale Einwanderer bevölkern den Lewinsky-Park von Tel Aviv und sorgen für Unmut in der Bevölkerung / In der Negev-Wüste entstehen Internierungslager
Hinrich Rohbohm

Der Spielplatz ist eigentlich für Kinder gedacht. Doch Kinder sieht man im Lewinsky-Park von Tel Aviv nicht. Schwarze sitzen auf den Kinderschaukeln. Sie stehen in Gruppen vor der Rutsche, schlafen auf Parkbänken, Dächern oder auf dem Rasen. In den Bäumen hängen Decken, Hosen, Hemden sowie Schlaf- und Rucksäcke. Einige haben Matratzen dabei, die sie mitten in den Park gelegt haben. Ein Einkaufswagen steht verlassen im Park herum. In ihm stapeln sich leere Wasserflaschen. Der Lewinsky-Park hat sich zum Schlaf- und Wohnzimmer für illegale afrikanische Einwanderer entwickelt. Und fungiert gleichzeitig als eine Art illegale Arbeitsvermittlung.

Denn die Einwanderer suchen hier vor allem eines: Arbeit. Sie stammen zumeist aus Somalia, Eritrea und dem Sudan. Laut offizieller Statistik sollen es gut 60.000 sein, die sich derzeit in Israel aufhalten. Doch die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.

Sie kommen über den Sinai, über die ägyptisch-israelische Grenze. Menschenschmuggler bringen sie ins Land, kassieren dafür bis zu 3.000 Euro pro Person, indem sie die Flüchtlinge auf LKW-Pritschen verfrachten und über die Grenze lotsen. In der israelischen Negev-Wüste werden sie dann meist von der israelischen Armee aufgegriffen und kommen zunächst in ein Internierungslager. Später werden sie ins Landesinnere abgeschoben, landen zumeist in Eilat oder Tel Aviv.

„Die Einreise war überhaupt nicht schwierig“, sagt Kigan. Der 38jährige stammt aus Eritrea. Wie die meisten ist er trotz der angespannten Lage in den Herkunftsländern nicht aus politischen Gründen geflohen. Jedoch habe die Regierungspolitik des in China in kommunistischer Ideologie und Guerilla-Kriegsführung ausgebildeten Diktators Isayas Afewerki und dessen marxistischer Partei Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit dazu geführt, daß der Lebensstandard in seinem Land rapide gesunken sei und es praktisch kaum noch Arbeit gebe. „Deswegen bin ich zunächst in den Sudan gegangen“, erzählt er. Doch auch dort sei die Lage nicht besser gewesen. Nach einer Odyssee quer durch den Sudan und Ägypten sei er schließlich vor sechs Monaten nach Israel gekommen. Obwohl er hier ist und die Nächte unter freiem Himmel im Park verbringen muß, ist er von dem Land begeistert.

„Ich habe zwei Monate lang Arbeit gehabt und gut verdient“, schwärmt er. 25 Schekel die Stunde habe man ihm in einem Restaurant als Hilfskraft gezahlt, umgerechnet etwa sechs Euro. Dafür sammelte er Müll ein, säuberte die sanitären Anlagen und betätigte sich als Tellerwäscher. Was er mit dem verdienten Geld angefangen hat, möchte er nicht verraten. Auch ein Foto von ihm ist nicht drin. Er möchte nicht, daß man ihn hier so sitzen sieht, seine Familie könnte ja vielleicht das Foto sehen, meint er. Der wahre Grund dürfte ein anderer sein: Denn wenn Kidan Arbeit bekommt, dann nur auf illegalem Weg. Eine Arbeitserlaubnis besitzen die meisten nicht. Aber es kommen immer wieder Israelis am Lewinsky-Park vorbei, um billige Arbeitskräfte anzuheuern. Illegal. Und meistens für die Tourismusbranche.

„In Eilat machen die Afrikaner inzwischen gut ein Drittel der Bevölkerung aus“, weiß eine 30 Jahre alte Israelin aus dem Norden von Tel Aviv zu berichten. Die 57.000 Einwohner zählende Stadt liegt am Roten Meer, am äußersten Südzipfel Israels. Weil der Ort als Touristenhochburg gilt, gibt es dort für die Flüchtlinge besonders viele Arbeitsmöglichkeiten.

Doch auch in Tel Aviv sind viele von ihnen in touristischen Betrieben anzutreffen. Sie arbeiten als Putzfrauen in Hotels, als Müllaufsammler am Strand und in Restaurants oder verdienen sich ein paar Schekel mit dem Aufstellen und Abbauen von Sonnenschirmen für Touristen. „Wenn die Polizei zur Kontrolle kommt, laufen sie sofort weg und tauchen unter“, schildert die 30jährige, die selbst einmal Augenzeugin eines solchen Vorfalls war. „Am Abend fangen sie dann an, Alkohol zu trinken“, berichtet ein älterer Anwohner am Lewinsky-Park. Dann werde es ungemütlich. Es wird lauter, Bürger würden dann angepöbelt und bestohlen, Drogen verkauft und konsumiert. „Abends mag man kaum noch aus dem Haus gehen. Den Lewinsky-Park meide ich abends inzwischen“, verrät er.

Nachdem zwei junge Israelinnen von Afrikanern vergewaltigt worden waren, platzte zahlreichen Israelis der Kragen. Eine Demonstration gegen Flüchtlinge war eskaliert, Schaufenster von afrikanischen Ladenbesitzern eingeschlagen, Brandanschläge auf Flüchtlingswohnungen verübt und Schwarze tätlich angegriffen worden. Einige Anwohner bezeichneten die Illegalen als „Krebsgeschwür“. Selbst in Regierungskreisen werden sie als „Infiltranten“ bezeichnet.

Auch Aktivisten der ehemaligen Kach-Bewegung (siehe Infokasten) machen gegen die Flüchtlinge mobil, organisieren Demonstrationen in den ärmeren südlichen Vierteln von Tel Aviv, bei denen es nicht selten zu Auseinandersetzungen mit Afrikanern und Zusammenstößen mit der Polizei kommt.

„Das ist natürlich nicht in Ordnung. Aber es ist doch klar, daß so etwas passiert, wenn nichts gegen die Afrikaner unternommen wird“, meint ein israelischer Ladenbesitzer, der ein kleines Café in der Nähe des Busbahnhofs betreibt. Andere Anwohner reagieren drastischer. „Denen müßte man die Genitalien entfernen“, reagiert ein auf den Vergewaltigungsvorfall angesprochener jüngerer Anwohner äußerst aufgebracht. „Wir sind hier nicht in Afrika. Wenn die Regierung nicht bald etwas unternimmt, dann werden wir Bürger das selbst regeln“, kündigt er an.

Eine ältere Frau bleibt gelassen. „Die Täter müssen bestraft werden. Aber so etwas passiert doch in anderen Ländern auch. Ich fühle mich in Tel Aviv deshalb nicht unsicher. Wirtschaftlich können wir aber diese Masseneinwanderung nicht verkraften“, sagt sie. So seien ihr zahlreiche Fälle bekannt, in denen junge Israelis nach ihrer Militärzeit keine Jobs in der Gastronomie mehr erhalten hätten, da die mit Afrikanern besetzt seien.

Die Regierung will das Flüchtlingsproblem nun offenbar entschlossener angehen. Israels Innenminister Eli Yishai sieht bereits Wohlstand und Existenz seines Staates gefährdet. 3.000 Flüchtlinge wurden inzwischen wegen illegaler Einreise verhaftet, allein 1.500 Sudanesen sollen jetzt abgeschoben werden. Der Oberste Gerichtshof hatte hierfür jüngst grünes Licht gegeben. Weitere 35.000 Flüchtlinge aus Eritrea sollen folgen, sobald das Außen- und das Justizministerium hierfür die Genehmigung erteilen. Wer freiwillig geht, erhält eine Geldprämie von 1.000 Euro, wer es nicht tut, erhält eine Gefängnisstrafe. Doch gleichzeitig kommen derzeit bis zu 2.000 Flüchtlinge pro Monat ins Land. Noch. Denn an der Grenze zu Ägypten wird bereits eine hohe Betonmauer errichtet, die dem Flüchtlingsstrom Einhalt gebieten soll. Wenn die Grenzbefestigung fertiggestellt ist, soll sie vom Gazastreifen bis nach Eilat am Roten Meer reichen. In der Negev-Wüste entstehen zudem Internierungslager für bis zu 12.000 Migranten. Zeltlager, umzäunt mit Stacheldraht. „Jetzt ist alles anders“, hat auch Kigan bereits in Erfahrung gebracht. Er wollte, daß seine Familie später nachkommt. „Aber das wird jetzt immer schwieriger“, ahnt er.

Die Illegalen im Lewinsky-Park sind alarmiert. Sie sind mißtrauisch geworden. Kaum einer mag reden. Man will nicht auffallen. Und schon gar nicht möchte man fotografiert werden. Die Angst vor der Abschiebung greift längst um sich. Ein 26 Jahre alter Sudanese ist zunächst dennoch auskunftsbereit. Ob er Englisch spreche? „Ja, kein Problem.“ Er beginnt, über seine Situation in Tel Aviv zu erzählen. Doch schon nach wenigen Minuten eilt einer seiner Landsleute herbei. Die beiden unterhalten sich kurz in ihrer Heimatsprache. Dann erklärt der 26jährige: „I don’t speak English.“ Es ist das Ende der Unterhaltung.

 

Kach-Partei

Die Kach-Bewegung ist eine von dem Rabbiner Martin David Kahane gegründete radikalzionistische Organisation, deren Ziel die Errichtung eines großisraelischen Staates (Eretz Israel) ist. Ihr zentrales politisches Anliegen ist die Ausweisung der Palästinenser sowie der arabischen Staatsbürger Israels aus den israelischen Territorien. In den vergangenen Monaten wurde die Bewegung auch gegen die afrikanischen Flüchtlinge aktiv. Dabei rechtfertigt sie die Anwendung von Gewalt als Mittel des politischen Kampfes. Weil sie auch Anschläge unterstützt hatte, wurde sie als Partei verboten. Als Untergrundorganisation existiert sie jedoch weiter. Eines ihrer früheren Mitglieder ist der für die Nationale Union in der Knesset sitzende Abgeordnete Michael Ben-Ari.

Foto: Lewinsky-Park im Zentrum Tel Avivs: Während sich Hoteliers über die billigen Hilfskräfte freuen, versucht die Politik mittels Rückkehrhilfen und rigider Abschiebepolitik der Einwanderung aus Afrika Paroli zu bieten

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