© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

Einmal Mann sein! Bitte!
Wenn Frauen ihr Geschlecht ablegen wollen: „Man for a Day“ im Kino
Ellen Kositza

Unsere Gesellschaft sei immer noch patriarchalisch strukturiert und geprägt, schimpfen Feministinnen. Das sei der Grund, warum Frauen nicht – oder nur vereinzelt – durchdringen: in der Politik, in der Geschäftswelt, in Diskussionen.

Mittlerweile gibt es eine Männerrechtsbewegung, und auch viele nicht dezidiert männerbewegte Menschen halten solche Klagen sich benachteiligt fühlender Frauen für grotesk: Wem, wenn nicht Frauen, wird traditionell die Tür offengehalten? Für welches Geschlecht richten Institutionen eigene „Beauftragte“ ein, und wo gäbe es ein Ministerium für Männer? Wo hätten wir Männerquoten, wo wären sie wünschenswert?

Diejenigen, die das aktuell marktgängige Konzept „Gender“ befürworten, sagen in etwa: Die reine Anatomie sei vernachlässigenswert, die biologischen Tatsachen (vor allem die Auswirkungen der Hormonwirtschaft) seien überwindbar, die Neurophysiologie (vor allem die Hirnaktivität) sei vielfältig deutbar, womöglich arbeite das weibliche Hirn gar effektiver. Summa summarum sei das, was wir unter geschlechtlicher Zugehörigkeit verstanden haben, ein soziales Konstrukt, eine Rolle, die wir spielen – und eben auch ablegen können.

Diane Torr, Jahrgang 1948, reüssiert seit Jahrzehnten als Gender-Aktivistin. Weltweit arrangiert die Performance-Künstlerin Arbeitstagungen, die Frauen in Männerrollen schlüpfen lassen. Die großstädtische Nische, in der sich Torr bewegt, nennt sich „queer“. In ihrem Fall sind es meist Lesben mit „männlicher Fühlung“, die solche Kurse buchen, um als „Drag King“, wie es in der Homo-Szene heißt, zu punkten. Anzug, Krawatte und ein angeklebter Bart: Das allein macht noch keinen Mann, es fehlen Auftritt, Gestik und Stimme. Regisseurin Katharina Peters hat für ihren Film ziemlich normale Frauen gesucht, die in Berlin von ihrer Freundin Diane zum temporären Mannsein angeleitet werden wollten. Die Sache ist natürlich kein reiner Witz, es geht um Bewußtseinserweiterung, die Privatheit des Geschlechts wird letztlich politisch gedeutet.

Susi ist eine der Protagonistinnen der Gruppe, sie ist die jüngste, hat zahlreiche Miß-Wahlen gewonnen. Die Haare trägt sie blondiert, die Augenbrauen zum Strich gezupft, die Fingernägel schichtspezifisch manikürt. Erfahrungen mit Männern hat sie eher schlechte, auch gewaltsame. Eine andere ist Theresa. Die Mutter dreier Söhne wurde von ihrem Mann verlassen und tut sich schwer, ihren Kindern alleinerziehend ein „Rollenvorbild“ zu präsentieren. Dann wäre da noch Eva-Marie, eine sehr weiblich und melancholisch wirkende Karrierefrau, privat trägt sie gern Dirndl. Sie berät unter anderem die Grünen-Politikerin Claudia Roth und sieht sich in der „Frauenfalle“ sitzen. In einem Ausschnitt sehen wir sie, wie sie die Roth zu einem Auftritt begleitet. Eva Marie schwärmt kopfschüttelnd: „So auftreten, so reden können – einfach aus dem Stehgreif!“

Unter Diane Torrs Anleitung werden die Frauen nun in mehreren Tagen Männer auf der Straße beobachten und sich auf je einen Typ Mann fokussieren, den sie darstellen wollen. Susi mutiert zum dümmlich coolen Hiphopper Andi in Schlabberklamotten; Augenbrauen und ein Bartflaum werden ihr angeklebt. Aus Theresa wird der distinguierte Walter Schmittke vom Institut für Klimafolgenforschung, und aus Eva-Marie Christian, ein nachdenklicher Bohemien. Ein Heidenspaß!

Die Mannwerdung der Damen ist mit dieser Klamotte längst nicht abgeschlossen. Torr erklärt, wie Männer ihre Schritte setzen, sprich: Raum einnehmen, wie sie die Blickrichtung ändern (stets geht der ganze Kopf mit, kein vorauseilender Blick), wie sie einen Stuhl tragen, Platz nehmen und sitzen, die Hand zum Gruß reichen, wie sie sprechen (klar, lauter; und die Stimme senkt sich zum Ende einer Aussage deutlich) und welche Minimalfloskeln sie nicht nutzen. Vor allem: kein grundloses Lächeln! Derart gewappnet und gestählt bestreiten die Frauen nun ihren Gang durch die Stadt; Susi/Andi besucht mit einer weiteren Teilnehmerin sogar eine Strip-Bar.

Torr möchte mit dieser Versuchsanordnung erreichen, „daß Frauen etwas über ihr weibliches Verhalten und über das der Männer lernen, daß sie das sogenannte natürliche, normale Verhalten, das wir erlernt haben, leichter abbauen und neue Möglichkeiten entdecken können“. Wer je einen solchen Kurs besucht hat, weiß, wie anhaltend tief eine solche Lektion sitzt! Um diese kleinen Unterschiede zu wissen, sie benennen und über sie staunen zu können, ist das eine. Daß Katharina Peters Film auf dieser – ja keineswegs harmlosen – Ebene des Denkanstoßes bleibt, macht ihn sympathisch. Diane Torrs Ansatz freilich reicht weiter und beinhaltet politisch-gesellschaftliche Implikationen, für sie entbehrt das Dasein als Mann oder Frau jeder Schicksalhaftigkeit. Alles sei machbar, findet sie. Sie wolle „die Gendertheorie auf einer körperlichen Ebene vollenden.“

Zurück zum Ausgangsgedanken: Warum sind jene Kurse, die Frauen das Mannsein lehren, so beliebt? Warum, wenn Frauen doch (nach Meinung vieler Männer) ein leichteres Leben führen, gibt es keine geschlechtlich umgekehrten Lehrgänge? Es gibt sie. Neuerdings. Man denke an einen berüchtigten Aphorismus Friedrich Nietzsches: „Des Mannes ist hier wenig: darum vermännlichen sich ihre Weiber.“ Und vice versa, möchte man heute anfügen.

Foto: Dokumentarfilm über die Drag-King-Pionierin Diane Torr und das Rollenverständnis der Geschlechter

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