© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

Ein Leben als Trophäe
Goodbye, Norma Jeane: Vor fünfzig Jahren starb Marilyn Monroe / Verschiedene Mord-Theorien halten sich bis heute
Jan Snyder

Wenige Stars leben noch so lange nach ihrem Tod weiter wie sie. James Dean, Elvis Presley, Marilyn Monroe: Um dieses Dreigestirn aus dem Jenseits haben sich zuerst mythische Verklärung und später eine handfeste Vermarktungsindustrie gebildet. Jeder von ihnen prägte einen Typus: den jungen Rebellen ohne Grund, den energiegeladenen Rock’n’Roller, die verführerische Blondine.

Obwohl vieles an ihr falsch war (Haarfarbe, Nase, Name), gilt Marilyn Monroe ihren Fans auch fünfzig Jahre nach ihrem Tod als Inbegriff der tragischen Heldin, der naiven Unschuld vom Lande, die vom Glanz des Filmgeschäfts angelockt wurde, um dann in den Fängen Hollywoods jämmerlich zu enden. Marilyn, 1926 in Los Angeles als Norma Jeane Baker geboren, war durchaus kein gefallener Unschuldsengel; schon früh wußte sie, ihre Reize einzusetzen und so von älteren Männern das zu bekommen, was sie wollte.

Keinen Zweifel gibt es heute daran, daß die Monroe für ihren raschen Ruhm den Preis zahlte, den vor ihr und nach ihr Hunderte von hoffnungsvollen Starlets mehr oder minder bereitwillig zu geben bereit waren und sind. Doch bis zum Ende ihres kurzen Lebens behielt sie eine Verletzlichkeit, die vor allem ihre weiblichen Fans zu Verbündeten machte. Sie sahen in ihre großen Augen und dachten: „Wir wissen, wie es ist, von Männern benutzt und ausgebeutet zu werden.“

So groß ihr Ruhm war und bis heute ist, so unglücklich verlief ihr Privatleben. Kaputte Kindheit, drei gescheiterte Ehen ohne Nachwuchs, Gewalt, Affären, Drogen, Depressionen. Die von aller Welt begehrte Blondine schien zu keinem Moment in ihrem aufregenden Leben wirklich bei sich angekommen, wirklich glücklich zu sein. Neben dem gnadenlosen Studiosystem der Hollywood-Filmmaschinerie trugen zu Marilyns Unglück vor allem die Männer ihres Lebens bei. Ihre Ehen mit und Arthur Miller entwickelten sich zu Katastrophen – hier der einfältige Baseball-Star, dort der vergeistigte Broadway-Autor. Marilyn war in beiden Fällen mehr Trophäe denn echte Partnerin.

Doch die Ehegatten blieben nicht die einzigen Männer im Leben der Sexbombe. Ihr wurden Affären mit den beiden berühmtesten Kennedy-Brüdern genauso nachgesagt wie mit Frank Sinatra oder einem italienischen Mafiaboß, von Schauspielkollegen ganz zu schweigen. Einige dieser Beziehungen sollten auch eine Rolle spielen, als der strahlende Star am 5. August 1962 plötzlich verlosch.

Genauso zerrissen wie ihr Leben stellten sich die Umstände von Marilyns Tod dar: Der Gerichtsmediziner stellte eine Überdosis zweier Schlafmittel fest. Diese Diagnose schien einzuleuchten, litt die Diva doch bekanntermaßen schon einige Jahre an Depressionen. Doch viele Details ließen die Zweifel an der offiziellen These vom Selbstmord des gemütskranken Stars wachsen.

So hatte die Haushälterin nicht zuerst Polizei oder Krankenwagen an den Tatort bestellt, sondern Marilyns Hausarzt, ihren Psychotherapeuten und – ihr Filmstudio. Erst Stunden später konnten die Beweise am Tatort forensisch gesichert werden, den die Haushälterin zuvor allerdings blitzblank gesäubert hatte. Die Leiche wirkte wie drapiert – keine Spur von Krämpfen, die bei solch einer Todesart zwangsläufig einsetzen. Der Gerichtsmediziner fand anhand der Leberwerte heraus, daß Marilyn 60 bis 90 Tabletten geschluckt haben mußte. Doch in ihrem Magen fanden sich davon keine Spuren. Dafür wies der Darm der Leiche eine violette Verfärbung auf. Wurde die tödliche Dosis etwa mit einem Klistier zugeführt? Hämatome scheinen das zu belegen. Nieren, Magen, Darm und Urin wurden zur weiteren Untersuchung ins Labor geschickt. Doch dort kamen sie nie an. Genauso spurlos verschwanden die Verbindungsnachweise von Marilyns Telefonaten an den letzten Tagen vor ihrem Tod.

Diese unklare Gemengelage läßt schon kurz nach Marilyns Tod Gerüchte und Verschwörungstheorien ins Kraut schießen, sie sei ermordet worden. Von wem? Hartnäckig halten sich bis heute drei Versionen:

Erstens: Es waren die Kennedys. Wenige Stunden, bevor die Leiche Marilyns entdeckt wird, stoppt die Polizei von Los Angeles einen schwarzen Mercedes, der mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt rast. In der Limousine sitzen drei Männer: der Psychotherapeut von Marilyn Monroe, Ralph Greenson, der Schauspieler Peter Lawford, ein guter Freund der Monroe, der am Abend ihres Todes noch mit ihr telefoniert hatte und – nicht zuletzt – der Justizminister der Vereinigten Staaten, Robert F. Kennedy. Dieser Zufall macht den jungen Kennedy bis heute zum Hauptverdächtigen. Sein Motiv, Marilyns Tod zu wünschen, liege darin, daß die launische Geliebte angedroht habe, sowohl die Affäre mit ihm als auch die mit seinem Bruder John („JFK“) publik zu machen. Außerdem habe sie geheime Einzelheiten über die Kuba-Krise gekannt, die ihr die Kennedy-Brüder im Bett zugeflüstert hätten.

Zweitens: Es war die Mafia. Für diese These spricht ein bezeugtes Treffen zwischen dem Mafiaboß Sam Giancana und Marilyn Monroe in einem Spielcasino in Nevada. MM wurde geradezu zu diesem Treffen genötigt, bei der der Gangsterboß das angeblich „dumme Blondchen“ einschüchtern wollte, nichts über die Beziehungen zwischen dem Weißen Haus, Schwarzgeldspenden und der Mafia zu erzählen. Als diese jedoch immer „emanzipierter“ und aufgrund ihres Gemütszustandes immer unberechenbarer wurde, schlug die ehrenwerte Gesellschaft zu.

Drittens: Es war das FBI. FBI-Chef J. Edgar Hoover war ein erklärter Gegner von Robert Kennedy. Die Behörde wußte von den Affären mit Marilyn Monroe und hätte auch keine Probleme gehabt, den Star zu töten, wenn sie damit Geheimnisse schützen und gleichzeitig Robert Kennedy in Mißkredit bringen könnte. Auch die Tatsache, daß Marilyns Tod einen Schatten auf den Strahlemann Kennedy warf, kam Hoover nur gelegen. Benutzte Hoover Marilyns Tod, um sich gegen die Reformen des Justizministers zu wehren?

Abseits aller Hollywoodesker Dramaturgie gibt es die durchaus plausible Theorie, daß die beiden Männer, die Marilyn am Ende ihres Lebens am nächsten standen, auch für ihren Tod verantwortlich sind. Es handelt sich um ihren Hausarzt Hyman Engelberg und ihren Psychotherapeuten Ralph Greenson. Marilyn hatte sich nach ihrer Zeit in New York, in der sie stark unter den Einfluß von Schauspiellehrer Lee Strasberg, Regisseur Elia Kazan und dem Dramatiker Arthur Miller geraten war, ganz der Psychotherapie verschrieben. Sie wurde regelrecht süchtig danach, ihr verkorkstes Leben auf der Behandlungscouch Revue passieren zu lassen.

Nach ihrer Rückkehr nach Los Angeles zog sie sich zurück, wirkte fragiler denn je und wurde zusehends unzuverlässiger. In dieser Zeit begab sie sich in fast völlige Abhängigkeit von Ralph Greenson, den sie zweimal täglich in Anspruch nahm. Greenson (richtiger Name: Romeo Greenschpoon) versuchte sogar, Marilyn, die eine wahrhaft zerrüttete Kindheit und Jugend hatte, in seine eigene Familie aufzunehmen und sie so zu heilen. Doch gleichzeitig setzte er massiv auf die Behandlung mit Barbituraten, die sich MM von dem Prominentenarzt Hyman Engelberg verschreiben ließ. Diese beiden „Experten“ sollen laut einer weiteren Verschwörungstheorie gemeinsam den Tod ihrer berühmten Patientin verschuldet haben.

Denn nachdem Engelberg am Abend des 4. August der unglücklichen Schauspielerin bereits reichlich Nembutal gegeben hatte, soll Greenson Stunden später der Schlafenden über ein Klistier das Schlafmittel Chloralhydrat zugeführt haben. Ob dies als Unfall, ärztlicher Kunstfehler oder – der Kreis schließt sich – als Mordkomplott im Auftrag von CIA, FBI, RFK oder der Mafia zu bewerten ist, muß offenbleiben. Ziemlich sicher läßt sich aber feststellen, daß weder Arzt noch Psychotherapeut der depressiven Marilyn wirklich helfen konnten. Folgerichtig bezeichnet der italienische Psychologieprofessor Luciano Mecacci die Monroe auch als Opfer der Psychoanalyse.

So dunkel Marilyns Todesumstände bleiben, so hell strahlt ihr Stern bis heute. Nur an einer Stelle weist dieser Nachruhm kleine Schmutzflecken auf. Marilyns Erbe wurde bis vor einem Jahr von einer Firma verwaltet, die umstritten ist. Lücken in Marilyns Testament hatten dazu geführt, daß sich die dritte Ehefrau des Schauspielgurus Lee Strasberg, Anna, auf rechtlich unsicherer Grundlage jahrelang am Ruhm der Verstorbenen gesundstoßen konnte. Anfang 2012 erwarb dann eine New Yorker Lizenzagentur die Rechte an dem „Warenzeichen“ Marilyn Monroe. Unter dem prominenten Markennamen sollen nun Unterwäsche und Kosmetik verkauft werden. Außerdem plant man eine Realityshow im US-Fernsehen mit dem Titel „Who is the next face of Marilyn?“ Das hat Marilyn wahrlich nicht verdient.

Foto: Marilyn Monroe in dem Film „Niagara“ (1952): Für ihren raschen Ruhm zahlte sie einen hohen Preis

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