© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

Ein Vorposten Mitteleuropas
Claus Heinrich Gattermann bietet einen kompakten Überblick der Geschichte des künftigen EU-Mitglieds Kroatien
Carl Gustav Ströhm

Am 1. Juli 2013 wird Kroatien Mitglied der Europäischen Union und, so könnte man meinen, ist sogleich auch in seiner Geschichte als Nation im Westen endlich angekommen. Daß aber Kroatien schon immer ein Teil der mitteleuropäischen Kultur und Geschichte war, zeigt das Buch „Kroatien. Zweitausend Jahre Geschichte an der Adria“ von Claus Heinrich Gattermann, welches nicht nur die Kroaten als Nation, sondern vielmehr die Geschichte des historischen Raumes beschreibt.

Gattermann nimmt schon in der Einführung vorweg, daß die Wurzeln Kroatiens zwar im Osten liegen, sich die Kroaten selbst aber als ein westliches Volk verstehen. Er beschreibt einen geographischen Raum, der über die Geschichte von verschiedenen Kulturen, Völkern und Konfessionen bevölkert war, in dem sich letztlich die Kroaten als Nation durchsetzen konnten. Natürlich berücksichtigt das Werk auch die Tatsache, daß Kroatien jahrhundertelang Teil fremder Mächte war und sich erst vor knapp zwanzig Jahren als eigene Nation von Fremdherrschaften befreien konnte. Gerade diese Prägung der fremden Herrschaft, vor allem durch die enge Bindung an Ungarn und später damit an das Haus Habsburg, begründet die Orientierung nach Mitteleuropa.

Seine Geschichte setzt mit der Antike ein, als die Griechen Städte und Handelszentren entlang der Adria bauten, welche die Römer und später die Slawen bzw. Kroaten größtenteils übernahmen und weiterpflegten. Durch das Mittelalter, in dem die Kroaten ein kurzlebiges Königreich gründeten, bis hin zur eigenen Schrift und zudem auch Liturgiesprache, der Glagoliza, blieb das katholische Volk zwischen Adria und Save stets im Kontakt mit dem Westen und bildete auch kirchengeschichtlich die Grenze zur oströmischen Orthodoxie. Mit der Personalunion mit Ungarn und vor allem dem Einfall der Türken beschreibt Gattermann zwei historische Gegebenheiten, welche bis heute die kroatische Geschichte prägen, so etwa die Gründung der Wehrgrenze, welche im Jahre 1995 eine entscheidende Rolle im Unabhängigkeitskrieg Kroatiens spielte.

Ein besonderes Augenmerk wirft der Historiker auf die Beziehung Kroatiens zu Ungarn während der Habsburgermonarchie und vor allem die Bemühungen des kroatischen Adels, sowohl einen Einheitsstaat durch die Vereinigung Dalmatiens mit dem Kernland unter österreichischer Herrschaft zu schaffen, als auch die Loslösung von der ungarischen Herrschaft zu erreichen. Daß diese Bemühungen stets an den falschen oder nicht eingelösten Versprechungen der Habsburger scheiterten und im Jahre 1918 durch die Bedrohung seitens Italiens zu einer zweiten Fremdherrschaft Kroatiens – dieses Mal unter serbischer – Vormacht führte, wird besonders hervorgehoben.

Mit dem historischen Überblick über Kroatien im 20. Jahrhundert behandelt Gattermann das erste und zweite (bzw. Tito-)Jugoslawien und beschreibt das kurzlebige Ustascha-Regime, welches von Hitler während des Zweiten Weltkrieges in Kroatien etabliert wurde. Im letzten Kapitel beschreibt er die Unabhängigkeit Kroatiens und den vierjährigen Krieg (1991–1995), in dem der Autor auch die kroatische Minderheit in Bosnien und der Herzegowina berücksichtigt. Das Buch schließt mit den Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union. Deutlich wird, daß Gattermann dem ahistorischen „Einheitsjugoslawismus“ ebenso wie der nach 1995 im Resteuropa üblichen Abschreibung Kroatiens als einem „Balkanstaat“ skeptisch gegenübersteht.

Dem Autor gelingt es, die Geschichte Kroatiens immer unter Berücksichtigung der sie beeinflussenden mitteleuropäischen Zusammenhänge übersichtlich zu beschreiben, eine Fähigkeit, die er nicht zuletzt bereits mit dem von ihm betreuten Projekt „studia historica“ bewiesen hat, welches aktuelle Forschungsergebnisse anhand kleinerer Essays für eine breite Öffentlichkeit zugänglich macht. Vielleicht, so möchte man kritisieren, beschäftigt sich Gattermann etwas zu intensiv mit der ungarischen Herrschaft und vergißt dabei auch Namen und Ereignisse wie Károly Khuen-Héderváry und seine Magyarisierungspolitik. Oder berücksichtigt Phänomene wie den Illyrismus des 19. Jahrhunderts etwas stiefmütterlich. Trotzdem bietet das Buch einen sehr guten Überblick über die kroatische Geschichte und dient als ideale Einstiegslektüre. Prädikat: lesenswert.

Claus Heinrich Gattermann: Kroatien. Zweitausend Jahre Geschichte an der Adria. Verlag Georg Olms, Hildesheim 2011, broschiert, 186 Seiten, 29,80 Euro

Foto: Hafen von Stari Grad auf der dalmatinischen Insel Hvar: Abschreibung als Balkanstaat ist unpassend

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