© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Zuviel der Ehre
Handelspolitik: Deutsch-chinesisches Ministertreffen zum Thema Recht und Innovation / Produktpiraterie trotz Patentrechts
Wolfhard H. A. Schmid

Wer große Meister kopiert, erweist ihnen Ehre“, soll Konfuzius einmal gesagt haben, und wenn heute deutsche Unternehmer Messen im Reich der Mitte besuchen, dann sind sie immer wieder erstaunt, wie wörtlich ihre chinesischen Wettbewerber ihren Lehrmeister Kong nehmen. Doch Produktpiraterie war nicht das Leitthema des inzwischen zwölften Symposiums im Rahmen des deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs, das diesmal in München stattfand. Unter Leitung von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und dem Chef des Rechtsamtes des chinesischen Staatsrats, Song Dahan, wurde diesmal das Thema „Bürgerrechte und staatliche Gesetzgebung im digitalen Zeitalter“ behandelt. Dennoch befanden sich unter den Teilnehmern auch viele Rechtsexperten aus der Wirtschaft.

China ist bereits seit über zehn Jahren Mitglied der Welthandelsorganisation WTO. Im Zuge dessen wurden im Bereich von Patent-, Marken- und Urheberrecht einige „westliche“ Prinzipien übernommen, doch bei der Durchsetzung dieser Gesetze hapert es. Anlaß, dies zu ändern, gibt es kaum, denn jeder will dabeisein, wenn ein riesiger Markt mit 1,3 Milliarden potentiellen Käufern erschlossen wird.

Beim Gespräch mit Journalisten wies Leutheusser-Schnarrenberger darauf hin, daß China schon vor 20 Jahren das deutsche Patentrecht als Basis für sein eigenes Patentrecht eingeführt hat. Warum die Rechtspraxis häufig zu wünschen übrigläßt, begründete die Ministerin mit den kulturellen Unterschieden – und man solle nicht vergessen, daß die Volksrepublik trotz ihres liberalen Wirtschaftskurses politisch nach wie vor eine sozialistische Gesellschaft sei.

Einen Blick in die Praxis lieferte der Besuch der Symposiumteilnehmer in der Büttenpapierfabrik Gmund am Tegernsee, wo auf historischen Maschinen hochwertigste Spezialpapiere hergestellt werden. Ganz bewußt hält der Familienunternehmer Florian Kohler die alte Handwerkstradition aufrecht, wie sie bei den großen Massenpapierherstellern längst nicht mehr möglich ist (JF 27/08). Daß Kohler seinen Qualitätsvorsprung mit digitaler Technik und Internet ergänzt, ist ein weiterer wesentlicher Baustein für seinen globalen Erfolg. So werden 100.000 Papiersorten mit einem Exportanteil von 75 Prozent weltweit vermarktet. Der Chinese Tsai Lun, der um 105 n. Chr. die Papierherstellung im östlichen Han-Reich beschrieb, gilt heute als Erfinder des Papiers. Und dies war wohl ein Grund für das Interesse von Minister Song Dahan, die traditionelle Papierherstellung in einem bayerischen Familienbetrieb kennenzulernen. Doch selbst hier konnte er dem leidigen Thema Produktpiraterie nicht entkommen.

In einem mehrjährigen Entwicklungsprozeß ist es dem Gmunder Büttenpapierhersteller gelungen, unter dem Namen „Blocker“ ein leichtgewichtiges Naturpapier mit hundertprozentiger Blickdichte zu entwickeln und zum Patent anzumelden. Hohe Blickdichte ist bei hochwertigen Druckerzeugnissen von besonderer Bedeutung, wenn beidseitig, also auf Vorder- und Rückseite des Papiers Bilder ohne Qualitätsverlust reproduziert werden sollen. So können etwa auf der einen Seite farbige Kunstwerke mit hohem Echtheitsgrad und gleichzeitig auf der Rückseite vergilbte historische Urkunden mit hohem Realitätsgrad wiedergegeben werden.

Auch Kohlers Firma will den riesigen chinesischen Markt für seine Produkte erschließen – aber ohne „Blocker“, wie er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT erklärte. Immerhin konnte er bei seinem chinesischen Gast eine gewisse Betroffenheit feststellen, als er ihm sein Musterbüchlein und eine fast identische Kopie desselben zeigte, um an diesem kleinen Beispiel einen weiteren Fall chinesischer Produktpiraterie deutlich zu machen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen