© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Pankraz,
Peter Gauweiler und die Rettung Europas

Peter Gauweiler, der wackere Streiter für die Rettung Europas mittels Abschaffung des Euro, hat sich (in einem Beitrag für die FAZ) als Politromantiker zu erkennen gegeben. Die Gier unserer Politiker nach dem Euro, sagt er, verdanke sich dem „Weltmachtstreben“ dieser Politiker. Sie wollten unbedingt in der ersten Klasse des globalen Machtpokers mitspielen, und dazu gehöre ihrer Meinung nach eben eine gemeinsame Währung, sei sie nach innen auch noch so zerstörerisch. Fiat potentia, pereat europa (Macht über alles, auch wenn Europa daran zugrunde geht)!

Was hat Gauweiler als Gegengabe für den Verzicht auf Weltmachtstreben anzubieten? Es ist die „Verschweizerung Gesamteuropas“, so wie sie der von ihm ausdrücklich als Zeuge angerufene Sebastian Haffner einst in der Zeit des Kalten Krieges gefordert hat. Es gebe nun einmal“, schrieb der damals, „die amerikanisch-sowjetische Hegemonie“, aber Europa könnte sich in deren Schatten „ganz entspannt zurücklehnen und zur Schweiz der Welt werden, d. h. einen Ausgleich von Technik und Humanität, beziehungsweise eine Anpassung vorwissenschaftlicher Humanwerte an die versachlichte Wissenschaftswelt herbeiführen“.

Haffner meinte sein Gelaber nicht ernst, dafür war er viel zu schlau, es ging ihm einzig um die Schwächung des Westens gegenüber der sowjetisch-kommunistischen Aggression. Das Europa, zu dem er angeblich so väterlich-gütig sprach, war ein von den Bolschewiken gewaltsam gespaltenes Europa, von Mauern durchzogen, an denen tagtäglich tödliche Schüsse auf verzweifelte Flüchtlinge knallten, und Haffner wußte das nur allzu genau – und billigte es, wie die Zeithistoriker mittlerweile eindeutig zutage förderten.

Bei Gauweiler liegen die Dinge natürlich anders, er meint es äußerst ernst und hat auch gute Gründe für sein Argumentieren. Von Altbundeskanzler Helmut Schmidt etwa sind Äußerungen bekannt, die genau in das Schema des Weltmachtstrebens um jeden Preis hineinpassen. Der erklärte „Weltökonom“ war stets der Meinung, daß ein globaler politischer Mitspieler außer Wirtschaftskraft auch große geographische Räume und hohe Bevölkerungszahlen vorweisen müsse, um von den Kollegen voll akzeptiert zu werden. Deutschland oder Frankreich allein seien einfach zu klein dafür, und deshalb müsse zumindest eine einheitliche Währung her.

Es ist Gauweilers Verdienst, endlich einmal auf die Fragwürdigkeit solcher Perspektiven aufmerksam gemacht zu haben. Denn die Leitlinien entwickelter Geopolitik haben sich in den letzten Jahrzehnten gründlich verändert. Große Räume verschaffen heute nur noch weltpolitischen Spielraum, sofern sie wichtige Bodenschätze bergen, Öl und Gas, seltene Erden, abholzbare Regenwälder. Große Bevölkerungszahlen sind nur noch als potentielle Kundenzahlen positiv interessant; andernfalls schaffen sie schwerste Probleme und mindern eher die Macht zuständiger Herrscher und anderer Politeliten.

Vor allem aber: Der Begriff von Macht überhaupt hat sich grundlegend verändert. Das ehemalige Hauptinstrument imperialer Machtentfaltung und Operationsfähigkeit, nämlich der Krieg samt gewaltsamer Inbesitznahme fremden Territoriums, hat sensationell an Wirkkraft eingebüßt, aller technischen Vervollkommnung der Kriegsgeräte zum Trotz. Plane Eroberungskriege gibt es faktisch nicht mehr; der Einfall der Amerikaner in den Irak war wahrscheinlich der letzte seiner Art.

Was es statt dessen gibt, sind Bürgerkriege, Stammeskriege, Religionskriege, innere Gewaltereignisse also, ungeregelte, aus dem Hinterhalt verübte Schlächtereien, an denen sich „aufgeklärte, moderne“ Staaten nur indirekt durch Waffenlieferungen, diplomatische Ränke und mediale Propaganda beteiligen. Eindeutig auf der Strecke bleibt dabei die sogenannte Unilateralität beziehungsweise globale Bipolarität, wo eine einzige oder zwei gegeneinander rivalisierende Hegemone die alleinige Entscheidungsmacht ausüben. Die Zeichen der Zeit stehen eindeutig auf ökonomisch definierter Multilateralität.

Die Russen haben das lernen müssen, die Amerikaner sind gerade dabei, es zu lernen, und die Chinesen werden es bald auch lernen. Moderne Macht ist Wirtschaftsmacht, und „global player“ kann nur sein, wer seine heimatlichen Wirtschaftsverhältnisse in Ordnung hält und zu höchster Effizienz zu bringen versteht. Insofern sind die von Gauweiler kritisierten europäischen Politiker, die nach Beteiligung an der „Weltmacht“ streben, indem sie ausgerechnet auf den Euro setzen, allesamt politische Selbstmörder.

Daß die Einführung des Euro ein schlimmer Fehler war, daß er Europa geistig und materiell spaltet und in den Ruin treibt – darüber sind sich ernstzunehmende Ökonomen inzwischen ja völlig einig, allen politischen Nebelwerfereien zum Trotz. Die Frage ist nur noch, wieviel uns diese Mißgeburt kosten und was billiger sein wird: ihre baldige Abschaffung oder ihre künstliche Beatmung und Hätschelung bis zum bitteren Ende. Fest steht jetzt schon: Mit einer schlechten, von oben bis unten blamierten „Gemeinschaftswährung“ sind nicht einmal regionale Machtspiele zu gewinnen, geschweige denn globale.

Harte, klare Entscheidungen wären fällig. Die von Gauweiler/Haffner empfohlene „Verschweizerung“ Europas, sein bewußter Abschied von der Weltpolitik und das Sicheinkuscheln in die Armbeuge irgendwelcher Hegemone, ist erstens unter den gegebenen Umständen gar nicht möglich und beruht zweitens auf einer total falschen, fast komischen Sicht auf Schweizer Verhältnisse.

Was hat Peter Gauweiler denn für Vorstellungen von Schweizer Verhältnissen? Zwischen Basel und Lugano geht es keineswegs immer nur um liebevolle „Anpassung vorwissenschaftlicher Humanwerte an die versachlichte Wissenschaftswelt“, sondern es wird dort vor allem genau gerechnet und scharf kalkuliert. Nur so ist es der Schweiz doch gelungen, ihrerseits zu einem wichtigen Faktor der Weltpolitik zu werden.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen