© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Erlösung in den Kommunismus
Richard Wagner und das Ende der Moderne: Der durch Besitzgier und Eigennutz entfremdete Mensch schafft sich eine neue Ordnung / Das Kunstwerk der Zukunft als Lebensform / Erster Teil einer JF-Serie
Thomas Bargatzky

In einem Artikel vom 7. Januar 2012 unter dem Titel „Staatendämmerung“ in der FAZ behandelt Rainer Hank die europäische Schuldenkrise der Gegenwart. Hank spielt auf „Götterdämmerung“ an, den vierten und abschließenden Teil von Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“. Schon George Bernard Shaw hat in seinem Buch „The Perfect Wagnerite“ (1898; dt. „Ein Wagner-Brevier“) Wagners Dramenzyklus als Kapitalismuskritik gedeutet. Der Ring spiele nicht in einer fernen Vergangenheit, sondern handle von der gegenwärtigen Krise des modernen Kapitalismus und seinen zerstörerischen Einwirkungen auf Staat und Gesellschaft.

Shaws Gegenwart ist auch die unsere. Daß Hank ausgerechnet auf Wagners „Götterdämmerung“ anspielt, das Musikdrama, in dem sich der Weltuntergang vollzieht, ist kein gutes Zeichen, denn damit deutet er an, daß der Wandel, den die moderne Staatenwelt zur Zeit erfährt, mythisch ist, also nicht zu neuen Lösungen führen wird. Der Mythos zeigt „den Zusammenhang der Dinge, indem er eine Geschichte erzählt“ (Carl Friedrich von Weizsäcker), und die Geschichte des Mythischen endet nie (Kurt Hübner); mythische Geschehnisse wiederholen sich. Jede Morgenröte ist Eos, jeder Lorbeer ist Daphne. Alternativlosigkeit ist das Wesen des Mythos, insofern besitzt auch das Handeln von Deutschlands Kanzlerin mythische Qualität. Ob das Ergebnis davon Untergang ist oder „Erlösung“, läßt sich derzeit aber noch nicht vohersagen. „Erlösung“ ist jedoch bei Wagner immer auch Untergang.

Wagners Musikdramen und seine Schriften gehören zusammen, sie sind gleichsam eine Doppelgestalt; sein musikdramatisches Schaffen erschließt sich erst vollständig durch die Lektüre seiner Schriften. Daher sind jene im Irrtum, die meinten, Wagner hätte lieber noch ein weiteres Musikdrama schreiben sollen, als sich an seine Schriften zu verschwenden.

Gerade am Begriff der „Erlösung“ wird dies deutlich, einem Schlüsselbegriff im Werk des Bayreuther Meisters. Die moderne Wagner-Forschung hat unseren Blick auf Wagners Weg als lebenslangen, unlösbaren Konflikt zwischen seiner Existenz als moderner Künstler, der von seinem künstlerischen Schaffen leben muß, und der Unvereinbarkeit des Kunstwerkes mit der durch den Markt bedingten Warenform gerichtet. Der Abhängigkeit vom Markt suchte Wagner durch den Appell an bürgerliche und adlige Mäzene zu entkommen. Daß er sich buchstäblich in letzter Minute gern vom jungen bayerischen König retten ließ – wer kann es ihm verdenken?

Karl Marx’ herablassende Bemerkungen im August/September 1876, in einem Brief an seine Tochter Jenny Longuet über den „neudeutsch-preußischen Reichsmusikanten“ (MEW 34: 193), sind nicht nur aus diesem Grunde ungerecht, denn ein Blick in Wagners Schriften enthüllt Parallelen im Denken beider, die geradezu atemberaubend sind. Das wird am Begriff „Erlösung“ deutlich, der sich wie ein roter Faden durch Wagners Werk zieht.

„Erlösung“ hat bei Wagner niemals nur eine individuelle religiöse oder psychologische Bedeutung. Seine Schriften von 1849 „Das Kunstwerk der Zukunft“ und „Das Künstlertum der Zukunft“ lassen keinen Zweifel daran zu, daß es ihm um eine „Erlösung in den Kommunismus“ geht, um die Aufhebung der Entfremdung des Menschen als Folge von Eigennutz und Besitzgier durch die Schaffung einer neuen Ordnung, die den „Egoismus“ durch den „Kommunismus“ überwindet. Die Welt der „öden Sorge für Gewinn und Besitz, der einzigen Anordnerin alles Weltverkehrs“ („Vorspiel zu Lohengrin“, 1853) ist ein unnatürlicher „Zusammenzwang Ungleichbedürftiger“; der Staat ist aus einem „wohltätigen Schutzvertrage aller“ zu einem „übeltätigen Schutzmittel der Bevorrechteten“ geworden.

Im gemeinsamen „Kunstwerk der Zukunft“ wird nicht mehr der Luxus herrschen, die „Seele“ einer „Industrie, die den Menschen tötet, um ihn als Maschine zu verwenden“. In dieser neuen Lebensform wird das Volk der große „Wohltäter und Erlöser“ sein, „denn im Kunstwerk werden wir Eins sein“.

Hier wird im Medium der abstrakten Begrifflichkeit vorweggenommen, was fast zwanzig Jahre später, in „Die Meistersinger von Nürnberg“ wenigstens als bürgerliche Gesellschaft Bühnenrealität wird, nachdem das Revolutionsjahr 1848 zwar nicht den Kommunismus brachte, aber das „Manifest der Kommunistischen Partei“!

Tatsache ist, daß Wagners „Kommunismus“ kein „Unfall“ in der Biographie des Meisters war, sondern daß er bis in seine letzten Jahre ein „Kapitalismuskritiker“ blieb. Dies wird unter anderem durch eine Tagebucheintragung Cosima Wagners vom 25. Mai 1877 belegt. Der Londoner Osten erinnerte Richard Wagner an seinen „Ring des Nibelungen“: „Der Traum Alberich’s (sic!) ist hier erfüllt, Nibelheim, Weltherrschaft, Tätigkeit, Arbeit, überall der Druck des Dampfes und Nebel.“

Was wußte Wagner von Karl Marx? Diese Frage ist berechtigt. Sein Verhältnis zu Marx bleibt vorläufig ein Rätsel, denn obwohl Wagner 1849 Freundschaft mit Michail Bakunin schloß, der zuvor in Paris Proudhon, George Sand und Marx kennengelernt hatte, kommt der Name Marx nirgendwo bei Wagner vor. Und Wagners Freund, der Revolutionsbarde Georg Herwegh, war seinerseits eng mit Marx befreundet. „Kamen die Gedanken Wagners über den Kommunismus etwa doch über den Umweg Herwegh von Marx?“ mutmaßt Martin Gregor-Dellin in seiner großen Richard-Wagner-Biographie (1980). Die Forschung zu dieser Frage ist noch nicht zu Ende. Eine Klärung wäre nicht folgenlos für eine Deutung des Gesamtwerkes.

 

Prof. Dr. Thomas Bargatzky lehrte bis 2011 Ethnologie an der Universität Bayreuth. Von ihm stammen mehrere, zum Teil auch im Ausland erschienene Aufsätze über das Werk Richard Wagners, darunter einer im Programmheft IV der Bayreuther Festspiele 1993.

Den zweiten Teil lesen Sie nächste Woche in der JF-Ausgabe 34/12.

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