© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

An der Schwelle zur Hochkultur
Keltenjahr 2012: Veranstaltungen, Vorträge, Ausstellungen / Auftakt zu einer JF-Serie – Teil eins
Karlheinz Weissmann

Baden-Württemberg hat das „Jahr der Kelten“ ausgerufen. Das heißt, im deutschen Südwesten wird es in den kommenden Monaten eine ganze Reihe von Veranstaltungen, Vorträgen und Präsentationen geben, gipfelnd in einer Ausstellung, die das Landesmuseum für Archäologie Stuttgart ab dem 15. September zeigen wird. Anlaß ist der sensationelle Fund des Grabs einer Fürstin, das 2010 in der Nähe der Heuneburg geborgen wurde. Unterhalb der Anlage aus der späten Eisenzeit war ursprünglich ein Grabhügel über einem vier mal fünf Meter großen Kammerschachtgrab aufgeworfen. Die Fundstelle ist offenbar nicht beraubt worden.

Wichtiger als das sind aber die günstigen Bedingungen des Feuchtbodenerhalts, die nicht nur Skelett, Metallgegenstände und Bernstein, sondern auch Textilien, Fell und Naturfarben außergewöhnlich gut konserviert haben. Die Tatsache, daß außerdem die Eichenbohlen der Grabkammer unversehrt geblieben sind, wird wahrscheinlich eine exakte dendrochronologische Datierung erlauben.

Der Fund an der Heuneburg dürfte ohne Zweifel unsere Kenntnis von Lebensweise und Selbstverständnis der keltischen Aristokratie in der Hallstattzeit entscheidend ergänzen. Für unser Bild dieser Epoche spielten auch schon bisher Ausgrabungen in Baden-Württemberg eine wichtige Rolle. Das gilt etwa für den Grabhügel von Hochdorf, der seit 1978 systematisch untersucht wurde und die Überreste eines Adligen mit sehr reichen Beigaben enthielt. Wahrscheinlich lebte der Mann auf dem Hohenasperg und ließ sich seine letzte Ruhestätte in unmittelbarer Nähe errichten. Auf dem Hohenasperg wurden Überreste eines keltischen Fürstensitzes aus dem 6. Jahrhundert vor Christus gefunden, dessen Bedeutung sich allerdings nicht mit denen der Heuneburg messen kann.

Das „schwäbische Troja“ war ein Siedlungsplatz an der Schnittstelle von Donaulinie und Mittelmeerraum. Zeitweise bewohnten es bis zu 5.000 Menschen, geschützt von einer eindrucksvollen Festungsanlage, zu der neben einer fünf Meter hohen Ziegelmauer samt Wehrgang auch das erste Steintor nördlich der Alpen gehörte. Wahrscheinlich diente der Ort nicht nur als Handels-, sondern auch als Herrschaftszentrum und gehörte zu einer ganzen Reihe von „Fürstensitzen“ der Hallstattzeit.

Salzförderung und Eisenverarbeitung erlaubten damals einer neuentstehenden Oberschicht die Konzentration der Macht in wenigen Händen, die Anhäufung von Reichtümern und den Ausbau des Warenverkehrs mit den südlicher gelegenen Gebieten. Natürlich verweist man im „Ländle“ gerne auf den frühen „High-Tech“-Standort, etwa die großangelegte Eisenverhüttung im Schwarzwald. Aber die Hinweise auf systematischen Raubbau am Holzbestand müssen auch dahingehend verstanden werden, daß ein allzu idyllisches Bild des antiken Keltentums verzeichnend wirkt.

Es handelte sich jedenfalls nicht um ein „Naturvolk“, sondern um eine Gemeinschaft an der Schwelle zur Hochkultur mit einer differenzierten Sozialorganisation, einer breiten Unterschicht und einer Spitze, zu der auch geistige Führer zählten, die Druiden, die sich keineswegs aufs Mistelschneiden beschränkten, sondern bis nach Griechenland wegen ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten geachtet wurden.

Zu den notwendigen Korrekturen älterer Vorstellungen gehört weiter, daß die Annahme einer keltischen Einwanderung oder Invasion aufgegeben wurde (es spricht offenbar mehr für eine Fortsetzung der bronzezeitlichen Bevölkerung Mitteleuropas). Es gibt außerdem Zweifel an der ethnischen Homogenität der Kelten, die am Ende der Hallstattzeit begannen, einen sehr ausgedehnten Raum von Spanien (daher der Landschaftsname Galizien) über Frankreich (daher Gallien) bis nach Kleinasien (daher der Landschaftsname Galatien) zu besiedeln, aber, wenn überhaupt, dann nur eine Spracheinheit bildeten. Die These eines Fachmanns auf diesem Gebiet, Helmut Birkhan, „Kelte ist, wer keltisch spricht“, findet eine Bestätigung auch in der Tatsache, daß die heute oft als „keltisch“ bezeichneten Populationen Irlands, Schottlands, Cornwalls und der Bretagne jedenfalls keine genetischen Übereinstimmungen mit den antiken Festlandskelten aufweisen. Offenbar handelte es sich um Gruppen, die erst nachträglich „keltisiert“ wurden.

Die Heterogenität des Keltentums war wohl auch eine Ursache für das Fehlen größerer und stabiler politischer Verbände. Vielleicht hat man hierin einen Grund für die Räumung der Heuneburg im 5. Jahrhundert vor Christus zu sehen. Die exakte Ursache ist unbekannt, aber Spuren eines Brandes lassen vermuten, daß die Aufgabe nicht freiwillig erfolgte.

Ob es sich um die Folgen eines kriegerischen Angriffs handelte, oder ob die Eliten die ständig wachsende Bevölkerung nicht zusammenhalten konnten, ist kaum zu klären. Fest steht nur, daß die erste glanzvolle Periode der keltischen Zivilisation im Mitteleuropa damit an ihr Ende gekommen war.

Es wird ihr noch eine zweite folgen, deren geographische Schwerpunkte sich nach Westen, Süden und Norden verlagern. Diese Latène-Zeit mündet in die sogenannte „Oppida-Kultur“, die dann im 1. Jahrhundert vor Christus aus ähnlichen Gründen ihr Ende findet wie die Hallstattzeit: Desorganisation, Unfähigkeit, die politischen Kräfte dauerhaft zu bündeln, und eine äußere Bedrohung – hier die der Römer – wirkungsvoll abzuwehren.

Ohne Zweifel hat man sich in Stuttgart mit Bedacht für ein „Jahr der Kelten“ entschieden. Bei Identitätsstiftungen ist man zwar vorsichtig, aber die Veranstalter erlauben doch, daß sich alle möglichen mehr oder weniger romantischen Assoziationen an das Thema heften. Dazu sind die Kelten allemal gut, die faszinieren, auch düster faszinieren, aber einen Harmlosigkeitsbonus haben: ein „Jahr der Germanen“ ist – ganz gleich in welchem Bundesland – bis auf weiteres unvorstellbar.

Näheres zum Fortgang der Bergung und Restaurierung des Grabs der Fürstin unter www.keltenblock.de; die Museen von Heuneburg und Hochdorf sind zu erreichen unter www.heuneburg.de und www.keltenmuseum.de. Allgemeine Informationen unter www.keltenjahr2012.de

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