© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Fahles Nordlicht
Realistischer Symbolismus: Der dänische Maler Vilhelm Hammershøi und Zeitgenossen in München
Sebastian Hennig

Der natürliche Zustand von Bildern ist Anonymität. Sie wirken nicht durch ihre Benennung, weder des Abgebildeten noch ihres Bildners. Ihre Wirkung braucht eigentlich mehr Zeit zur Entfaltung als ein durchschnittlicher Museumsbesuch währt. Um in einer unbekannten Gemälde-sammlung die Übersicht zu behalten werden Hinweise auf die Bedeutung der Gemälde auf Schildern enträtselt, die daneben angebracht sind. Das Auge des Betrachters springt dauernd hin und her zwischen Kleingedrucktem und großartig Gemaltem. In ständiger Furcht, ein Meisterwerk zu übersehen, wird eilig an Unbekanntem, als vermutlich Unbedeutendem, vorbeigegangen.

Da vermag die Retrospektive eines bislang weniger bemerkten Malers die Aufmerksamkeit der Galeriebesucher auf dessen Bilder zu lenken. Den Gemälden des „dänischen Vermeer“ Vilhelm Hammershøi (1864–1916) wird erst seit zwei Jahrzehnten außerhalb seiner Heimat besondere Aufmerksamkeit zuteil. Dabei hängen Bilder von ihm schon seit ihrer Entstehungszeit in hiesigen Sammlungen, dem Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum, der Hamburger Kunsthalle, dem Niedersächsischen Landesmuseum und der Berliner Nationalgalerie.

Von Norden her gelangte sein Werk zu uns, zunächst über die Freundschaft zum Kunsthallendirektor Alfred Lichtwark. Auch der Berliner Kunsthändler Paul Cassirer zeigt 1906 Hammershøis Gemälde in seiner Hamburger Filiale. Der dänische Maler wird in den Rat der Kunstakademie der Hansestadt gewählt. Vor neun Jahren erst gab es die letzte Retrospektive in der Kunsthalle.

Die still beschäftigten Personen in den geschlossenen Räumen erinnern weit mehr an den Caspar-David-Friedrich-Schüler Kersting als an Vermeer. Und dem Rangunterschied zwischen Georg Friedrich Kersting und seinem Lehrer entspricht jener zwischen dem dänischen Kleinmeister und den besseren der Werke seiner französischen Zeitgenossen, mit denen er nun in der Ausstellung „ Hammershøi und Europa“ zusammen gezeigt wird.

Spannung erhält seine Malerei dadurch, daß sie das Dekorative verwendet, aber sich darin nicht erfüllt. Das hat er immerhin mit Pierre Bonnard und Edouard Vuillard gemeinsam. Manchmal gelingt es aber weder der verhaltenen Zeichnung, geschweige denn der zurückgenommenen Farbigkeit, das Bild zu halten, und die Darstellung bekommt etwas illustrationenartiges, weil keine Hierarchie der Flächen entsteht, wie sie für die Gravitation eines Gemäldes unerläßlich ist. So bei den Stuckornamenten und Paneelen des „Interieur der großen Halle in Lindegaarden“. Die Profile und Ranken bewirken keinen Raumeindruck, sie wickeln sich hintereinander in gleichmäßiger Qualität ab.

Die Bereitschaft unserer zeitgenössischen Kunstbetrachtung, Defizite konzeptionell zu begründen, kommt auch hier zur Anwendung. So werden im Katalogband an diese Bilder, die vor dem Auge schon zergehen, ehe sie noch erstanden sind, Reflexionen über Heimatlosigkeit und Abwesenheit geknüpft. Dabei liegt in der ausgekehrten Reinlichkeit auch ein Romantizismus versteckt. Schon Rainer Maria Rilke ist Hammershøi aufgefallen. Er hat dessen Malerei nicht uneigennützig als Gelegenheit ergriffen, um seine eigene Poetologie zu entfalten. 1905 schreibt er: „Hammershøi ist nicht von denen, über die man rasch sprechen muß. Sein Werk ist lang und langsam, und in welchem Augenblick man es auch erfassen mag, es wird immer voller Anlaß sein, vom Wichtigen und Wesentlichen in der Kunst zu sprechen.“ Diese Aussprache kam aber nicht zustande.

Malerei kann flach und dekorativ sein, ohne sich dadurch etwas von ihrer autonomen Bildkraft zu vergeben. Aber das Wesen einer vorwiegend literarischen Abschilderung, dem keine ausgeprägte Handlung von Farbe und Form entspricht, bleibt marginal. Es gibt viele hervorragende Meister, deren Werke ein mehr oder weniger verstecktes Dasein in den Museumssammlungen führen. Ihren besonderen Qualitäten käme eine Darstellung in kleinen Werkgruppen zugute. So könnten sie sich behaupten und würden als beachtlich wahrgenommen.

Die Massierung in einer umfassenden Retrospektive schlägt oft in gegenteilige Wirkung um. Daher konnte nichts Klügeres unternommen werden, als die Malerei von Hammershøi so zu präsentieren, daß die wohlhabendere Verwandtschaft für sein Vermögen als Bürge auftritt. Der Ausstellungstitel suggeriert, daß die anderen Maler nur vertreten sind, damit die Zeitgenossenschaft anschaulich wird. In Wirklichkeit flankieren sie den dänischen Zögling, damit er nicht ganz in sich selbst verschwindet.

Derartig eingefaßt wirken seine Bilder lebendiger. In ihrer Auslaugung ziehen sie etwas von dem Schimmer der benachbarten Malereien in sich ein, so wie ein weißes Tischtuch, eine Porzellanplatte die farbige Spur eines nahe liegenden Apfels, einer Orange zurückwirft. Die Monochromie, das Interieur, ein realistischer Symbolismus sind die Klammern, welche die Bilder untereinander verbinden.

Den fast achtzig Werken Hammershøis sind Gemälde zugesellt von Munch, Bonnard, Carrière, Matisse, Whistler, Seurat und anderen, darunter einige von hierzulande weniger bekannten nordischen Malern. Fantin-Latours „Eine Ecke des Tisches“, an dessen linker Ecke Verlaine und Rimbaud Platz genommen haben, zeigt sich von erlesener zurückgenommener Farbigkeit, während Hammershøis Malereien ein aufgeplustertes angetöntes Schwarzweiß aufweisen, das sich zu keiner koloristischen Artikulation zurechtfindet.

Das Wesen zum Beispiel der „Drei jungen Frauen“ wirkt völlig aneinander vorbei. Nicht als sänne jede für sich in Gegenwart der anderen beiden über etwas nach, sondern als wäre nur sie selbst für sich da. Der Hintergrund ist modellierte Fläche statt aus der farbigen Fläche modulierter Raum. Hinter und neben den Figuren, die wie aus Karton gefaltet wirken, glimmt eine beharrliche Dinglichkeit hervor: Der Goldschnitt eines Buches, der Lack des Teetisches, ein Bilderrahmen, ein Türbeschlag entlocken dem Maler mehr Teilnahme als der Mensch und der Raum zwischen den Dingen. Intensiv und wunderlich bleiben diese Gemälde allemal und beachtenswert beim nächsten Rundgang in einer Gemäldesammlung.

Die Ausstellung „Hammershøi und Europa. Ein dänischer Künstler um 1900“ ist bis zum 16. September in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, Theatinerstraße 8, täglich von 10 bis 20 Uhr zu sehen. Telefon: 089 / 22 44 12

Der Ausstellungskatalog mit 256 Seiten und 192 farbigen Abbildungen kostet im Museum 25 Euro.

www.hypo-kunsthalle.de

Foto: Vilhelm Hammershøi, Drei junge Frauen, Öl auf Leinwand 1895: Die Figuren wirken so, als wäre jede trotz Gegenwart der anderen beiden nur für sich da

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