© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Siege von Bürgern über den Soldaten
Günter Maschkes kommentierte Edition der Schriften Carl Schmitts zum Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches
Dagobert Müller

Wiewohl der vorliegende Band schon einmal kurz und prägnant angezeigt wurde (JF 12/11), erscheint ein erneutes und ausführlicheres Eingehen auf ihn aus (mindestens) zwei Gründen erforderlich. Erstens, weil sich inzwischen abzuzeichnen beginnt, daß diese Carl-Schmitt-Edition vermutlich Günter Maschkes letzte für Duncker & Humblot sein dürfte. Und zweitens, weil der Herausgeber sich hier in einer schwierigen doppelten Frontstellung befindet: Nicht nur ist er – wie üblich – gezwungen, Schmitt gegen seine unverständigen (linken) Kritiker zu verteidigen; auch muß er diesmal Bismarck gegenüber Schmitt in Schutz nehmen, weil der sich bloß äsopisch, in „Sklavensprache“ (Brecht) zu äußern vermag, so daß selbst ein profunder Kenner wie Maschke anklingen läßt, daß die Absicht von Schmitts äußerlich schmaler Schrift in letzter Instanz durchaus ein wenig dunkel sei.

Um Schmitts intellektuellen „Eiertanz“ richtig einzuschätzen, muß man sich seine prekäre Lage im Frühjahr 1934, zum Zeitpunkt der Abfassung des Textes, vergegenwärtigen. Denn der Jurist hatte vor dem 30. Januar 1933 zahlreiche – inzwischen zumeist emigrierte – Hörer bzw. enge Schüler jüdischer Abstammung gehabt, wie beispielsweise Otto Kirchheimer. Mehr als das, war er (wie Ernst Niekisch und manch anderer national Gestimmte) ein ausgesprochener, wenngleich konservativer Hitler-Gegner gewesen, und das nicht allein privat, im stillen Kämmerlein, sondern öffentlichkeitswirksam wie nur irgend denkbar: als Teilnehmer, anno 1932, am Leipziger Prozeß „Preußen contra Reich“, mit dem erklärten Ziel, den Einfluß der NSDAP einzudämmen. Schlimmer noch, die Schleicher-Fraktion, der Schmitt bekanntlich zurechnete, war eben erst, sozusagen in einem Aufwasch, im Zuge des Röhm-Massakers liquidiert worden. Um seine dergestalt aktenkundigen Weimarer „Verfehlungen“ tunlichst vergessen zu machen, trat Schmitt die Flucht nach vorn an – die Psychoanalyse nennt das „Identifikation mit dem Angreifer“. Schmitts „Staatsgefüge“ ist mithin eine nicht immer leicht zu entwirrende Mischung aus echten Überzeugungen – etwa soweit es die überfällige Aufkündigung des Versailler Vertrags betrifft – und tollkühner Anbiederung an die neuen braunen Machthaber.

Dazu gehört, auf der allerersten wie auf der Schlußseite der ursprünglichen Broschüre, eine tiefe Verbeugung Schmitts vor dem „Führer“ sowie die interpretatorische Verkehrung des „Preußenschlags“ in sein Gegenteil: Jetzt auf einmal soll er ein Steigbügelhalter für den vormaligen Gefreiten Adolf H. gewesen sein. Wie auch immer – im Zentrum des Werkleins steht die Schuldfrage, nämlich: Wer trug die Hauptverantwortung für Deutschlands Eintritt in den Ersten Weltkrieg und die sich anschließende desaströse Niederlage? An dieser Stelle nun verlängert Schmitt die vermeintliche Kausalkette zurück bis zur Mitte des 19. Jahrhundert, genauer: bis zum preußischen Verfassungskonflikt von 1862 bis 1866.

Dessen Crux laut Schmitt: „Die königliche Regierung führte die Heeresreform gegen den Willen des Landtags durch und gewann zwei Kriege, aber nach dem Siege suchte sie bei dem Parlament um nachträgliche Anerkennung, Genehmigung und Entlastung, um ‘Indemnität’ nach und erhielt sie.“ Das ist für Schmitt gewissermaßen die „Erbsünde“, „der Sieg des Bürgers über den Soldaten“, das Einknicken der Legitimität vor dem ihr feindlichen Prinzip der Legalität. Auf diese Weise bekommt dann Bismarck den Schwarzen Peter zugeschoben.

Platzmangel verbietet es, an diesem Ort Maschkes scharfsinniges Plädoyer für Bismarcks Realpolitik, gegen Schmitts taktisch lavierende Konstruktionen zu rekapitulieren. Doch nicht unerwähnt bleiben darf eine Dreistigkeit, die sich ausgerechnet BRD-„Verfassungspatriot“ Reinhard Mehring in der JuristenZeitung 13/11 leistete, als er dort Maschkes Edition „ein Dokument des Scheiterns großangelegter, programmatisch verkündeter Bemühungen um eine starke Apologie [Schmitts]“ nannte. Das sagt wohlgemerkt jemand, dessen jüngster Coup darin bestand, Maschke quasi auszubooten und die „Schmittiana. Neue Folge“ in einem Akt ideologischer Piraterie zu kapern. Immerhin, für Kommentare à la Mehring hat die deutsche Sprache eines ihrer schönsten Lehnwörter parat: Chuzpe.

Günter Maschke (Hrsg.): Carl Schmitt. Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten. Duncker & Humblot, Berlin 2011, gebunden, 164 Seiten, 38 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen