© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Vergebung 2.0
Ihr Sünderlein kommet: Ein digitales Beichthaus hat im Internet seine Pforten geöffnet / Pfarrer sehen die Beichte mißbraucht
Paul Leonhard

Heute schon gesündigt?“ So heißt es frivol und frech auf der Internetplattform www.beichthaus.com. Es ist die spielerische Antwort der digitalen Generation auf das heilige Bußsakrament der christlichen Kirchen. Auf der Seite tummeln sich alle jene, die Lust verspüren, ihre intimsten Gedanken anderen mitzuteilen, sich einfach Luft machen wollen oder einmal selbst in die Rolle eines wirkliche oder angebliche Vergehen Kommentierenden zu begeben. Es regiert das Prinzip des anonymen und folgenlosen Prangers.

„Schlummert tief in Dir eine bisher unausgesprochene Sünde? Spürst Du den Drang, diese endlich ans Tageslicht zu bringen und das völlig anonym? Dann bist Du bei Beichthaus.com genau richtig“, wirbt Beichthaus-Erfinder Robert Neuendorf um Berichte. Und diese treffen zu Tausenden ein. Seit 2004 ist Beichthaus.com im Netz und erfreut sich wachsender Beliebtheit. Wie so oft kommt das Vorbild aus den USA. Hier hatte der 33jährige Marketing-Kommunikationswirt Neuendorf eine ähnliche Seite entdeckt und daraufhin eine deutsche Variante gegründet.

Gerade die Gelegenheit zum zotigen Fabulieren macht den Reiz aus. So berichtet ein Nutzer, als Hartz-IV-Empfänger Klopapierrollen – „wunderbare Qualität“ – im Jobcenter geklaut zu haben. Mundraub quasi, denn jetzt habe er wieder einen festen Arbeitsplatz und kaufe das Toilettenpapier wieder. Es gibt in Deutschland mindestens einen Finanzberater, der brutto nicht von netto unterscheiden kann. Ein 31jähriger leidet offenbar unter derartigen Minderwertigkeitskomplexen, daß er sich illegal einen „Prof. Dr.“ vor dem Namen zugelegt hat, um dem Paketboten vorzutäuschen, die Post bei einem gebildeten Mann abzuliefern. Dabei habe er das Abi lediglich mit einem Notendurchschnitt von 3,6 bestanden. Eine in einer Wohngemeinschaft lebende Studentin träumt davon, ihren Mitbewohner mit einer Klobürste zu ersticken: „Herr im Himmel, vergib mir.“

Eine große Rolle spielt auch das Fremdgehen. Der Erfolg ist so groß, daß inzwischen Jahresbestenlisten erstellt werden und die peinlichsten, absurdesten und lustigsten Geständnisse bereits vor drei Jahren erstmalig auf 216 Seiten in Buchform unter dem Titel „Als ich meine Mutter im Sexshop traf“ erschienen. Tief sind auch die menschlichen Abgründe, die sich auf den Beichthaus-Seiten auftun. Schon kurz nach dem Start der Plattform wandten sich die Administratoren mit einem Hilferuf an die Beicht-Gemeinschaft: „Leider gibt es viele User, die unsere Regeln nicht akzeptieren und den Sinn einer Beichte nicht ganz verstehen wollen. Rassismus und Beichten, in denen es um Fäkalien geht, haben bei uns nichts zu suchen.“

Wer sich in die aktuellen Seiten einliest, merkt schnell, daß der Appell wenig Gehör gefunden hat. Auch das von Neuendorf aufgestellte „oberste Gebot“, die Beichte müsse der Wahrheit entsprechen, scheint nicht in jedem Fall ernst genommen zu werden. So manche flotte Geschichte entspringt wohl der Phantasie oder soll die Mitlesenden provozieren. Nachdem einige Pfarrer den Begriff der Beichte mißbraucht sahen und sich mißbilligend äußerten, erinnerte Neuendorf daran, daß die „veröffentlichten Sünden nicht nur unsere Gesellschaft widerspiegeln, sondern auch eine Essenz von dem sind, was in nahezu jedem Forum, Blog oder bei großen Onlineausgaben diverser Mainstream-Unterhaltungsmedien nachzulesen ist“.

Aber natürlich könne die Beichte im Internet das „persönliche Gespräch mit einem Priester nur schwer ersetzen“. Ein Eingeständnis, das eigentlich überflüssig ist. Oder sollte es doch Nutzer geben, die ernsthaft hoffen, sich mit einer Geschichte auf Beichthaus.com von den begangenen Sünden freizukaufen? Mit dem christlichen Bußsakrament hat diese Internetplattform ebensowenig zu tun wie die sogar mit Glockengeläut – auf Wunsch abstellbar – daherkommende Seite www.beichte.de.

Auf dieser ist das Gebeichtete allerdings nicht für Dritte nachlesbar. Die Sünden bleiben anonym. Nichts für exhibitionistische Selbstdarsteller. Wer wirklich möchte, daß ihm eine schuldhafte Verfehlung vergeben wird, bleibt der Weg in ein reales Gotteshaus nicht erspart. Nur der Beichtvater wird den erlösenden Spruch sagen: „Deine Sünden sind dir vergeben.“

www.beichthaus.com

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