© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/12 17. August 2012

Ihr Kinderlein kommet
Demographie: Europa schrumpft und altert –doch innerhalb der EU gibt es große Unterschiede hinsichtlich der Geburtenrate sowie bei der Familienförderung
Christian Vollradt

Eine alternde Bevölkerung und zuwenig Nachwuchs: Europa steht mit einer prognostizierten Bevölkerungsveränderung von minus 8,3 Prozent bis zum Jahr 2050 vor einer riesigen demographischen – und damit auch politischen sowie wirtschaftlichen – Herausforderung.

Doch obwohl dies alle europäischen Staaten gleichsam betrifft und obwohl – zumindest im westlichen Teil des Kontinents – ähnlich hoch entwickelte Industriegesellschaften existieren, sind die Kinderzahlen pro Frau sehr unterschiedlich. Und genauso unterscheiden sich auch die Ansätze, mit denen die Staaten der EU versuchen, mittels Geburten- und Familienförderung den demographischen Wandel in den Griff zu bekommen. Dies läßt sich in der obenstehenden Grafik anhand von neun Beispielländern bereits ablesen, wobei nicht in allen Parametern eine Vergleichbarkeit hergestellt werden kann.

Ein direkter Zusammenhang zwischen Familienförderung und Geburtenrate läßt sich kaum oder nur schwer herstellen. Jedenfalls ist es der demographischen Forschung noch nicht gelungen, eine dauerhafte Wirksamkeit einzelner politischer Maßnahmen nachzuweisen. Der Vergleich zwischen den ausgewählten europäischen Staaten unterstreicht, daß die Gleichung: hohe Aufwendungen = hohe Geburtenrate nicht aufgeht (siehe das Beispiel Deutschland im Vergleich zu Irland).

Allerdings ist festzustellen, daß eine geringe Familienförderung eher auch eine niedrige Geburtenrate nach sich zieht (Polen, Italien und Spanien). Vor allem muß bedacht werden, daß sich die demographische Lage nur sehr langsam ändern kann. Wer beim Blick auf Frankreich mit seiner relativ hohen Fertilitätsrate nur auf die aktuelle Zahl von Betreuungseinrichtungen für Kinder verweist, läßt die Tatsache unter den Tisch fallen, daß dort bereits 1939 mit dem „Code de la famille“ eine geburtenfördernde Bevölkerungspolitik in Gang gesetzt wurde. Und genauso wäre es unredlich, ließe man zur Erklärung der Geburtenrate von Irland außer acht, daß es sich hier um ein (noch) stark vom katholischen Glauben geprägtes Land handelt. Es ist naheliegend, daß Religion und Kultur auf der Insel ein wichtiger Grund sind, wenn es dort trotz einer relativ geringen Familienförderung die meisten Kinder sowie die höchste Geburtenrate in Europa gibt. Andererseits hat das ebenfalls weitgehend katholisch geprägte Polen eine Geburtenrate, die noch unter der Deutschlands liegt.

Galt früher, daß bei steigendem Wohlstand die Geburtenrate sinkt, so trifft dies in Europa nicht mehr zu. In der Regel haben die reicheren Staaten im Norden Europas (insbesondere in Skandinavien) deutlich höhere Kinderzahlen als die ärmeren Staaten im Süden und Osten wie Griechenland, Spanien oder Polen. Statistisch nicht gesichert beziehungsweise europaweit nicht vergleichbar ist die Frage, welchen Einfluß die (meist höhere) Fertilität der jeweiligen Einwanderergruppen auf die Gesamtgeburtenrate des jeweiligen Landes hat.

Demographische Studien weisen gerne darauf hin, daß in Ländern mit einer hohen Erwerbstätigkeitsquote von Frauen – sowie einem weitreichenden Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen (Frankreich oder die skandinavischen Länder) – auch eine hohe Geburtenrate zu verzeichnen ist, und umgekehrt in Staaten mit einer geringen Frauenerwerbsquote (Italien, Spanien, Griechenland) auch die Geburtenrate niedrig ist. Doch gegen diesen Trend stehen Deutschland und Österreich mit einer hohen Erwerbsbeteiligung von Frauen und einer geringen Kinderzahl. In Deutschland liegt dies mit großer Wahrscheinlichkeit an dem hohen Anteil kinderloser Frauen, der mit geschätzten 29 Prozent der weltweit höchste Wert ist.

Während in Deutschland noch kontrovers und bisweilen polemisch („Herdprämie“) über die Einführung eines Betreuungsgeldes für Eltern, die ihr Kind in den ersten drei Lebensjahren zu Hause betreuen wollen, gestritten wird, ist dieses in Ländern wie Schweden oder Finnland bereits Realität.

Auch in Frankreich gibt es eine vergleichbare Leistung, nämlich eine dreijährige Wahlfreiheitsprämie zugunsten einer Teilzeiterwerbstätigkeit, die in hohem Maße in Anspruch genommen wird. Diese Prämie ist an die Zahl der Kinder sowie den Umfang der Stundenreduzierung gebunden; sie beträgt zum Beispiel bei einer vollständigen Arbeitsunterbrechung und dem dritten Kind rund 790 Euro im Monat.

Selbst in Schweden, das einen hohen Anteil von Betreuungseinrichtungen aufweist, arbeiten nur bei 40 Prozent der Eltern beide Partner Vollzeit. Die meisten machen dagegen von dem umfangreichen Angebot an flexiblen Jahres- und Lebensarbeitszeiten Gebrauch.

In Deutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg Bevölkerungspolitik kein Thema. Das lag zum einen am bis Ende der sechziger Jahre festzustellenden „Babyboom“, der eine entsprechende Debatte obsolet erscheinen ließ, zum anderen jedoch am vermeintlichen Hautgout des Begriffs durch die nationalsozialistische Vergangenheit.

Noch 1979, als die Geburtenrate in der Bundesrepublik bereits auf das bis heute vorherrschende niedrige Niveau von 1,4 Kindern je Frau gesunken war, meinte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), es stehe dem Staat nicht zu, die Geburtenentwicklung beeinflussen zu wollen; die individuelle Entscheidung eines Paares für oder gegen ein Kind sei nicht zu hinterfragen. Immerhin ist diese Zurückhaltung inzwischen gewichen.

 

Irland

2,07 Kinder pro Frau

Jeweils 140 Euro für das 1. und 2. Kind, 148 Euro für das 3. Kind

Bei den staatlichen Ausgaben (Transfer- und Dienstleistungen sowie Steuererleichterungen) für Familien liegt Irland mit 2,6 Prozent des Bruttoinlandprodukts knapp über dem Durchschnitt der OECD-Staaten (2,23 Prozent), wobei jedoch ein hoher Anteil auf Transferleistungen entfällt (gut 2 Prozent, in Deutschland etwa 1,2 Prozent)

 

Großbritannien

1,94 Kinder pro Frau

Umgerechnet etwa 105 Euro für das 1. Kind, 70 Euro für jedes weitere.

90 Prozent der Familien erhalten den 2003 geschaffenen „Child Tax Credit“ (negative Einkommenssteuer), der einkommensabhängig, aber unabhängig von einer Erwerbstätigkeit gewährt wird. Der Staat zahlt bis zu einem bestimmten Einkommensniveau Geld an Geringverdiener aus, erst über diesem Einkommensniveau wird die Einkommenssteuer zu einer positiven Steuer.

 

Frankreich

2,03 Kinder pro Frau

Kein Kindergeld fürs 1. Kind; 120 Euro für 2 Kinder, 274 Euro für 3, 428 Euro für 4 und 582 Euro für 5 Kinder

Familiensplitting: Zu versteuerndes Einkommen wird auf alle Familienmitglieder umgerechnet, Großfamilien zahlen fast keine Einkommenssteuer; dreijährige Wahlfreiheitsprämie für Eltern, die ihre Erwerbstätigkeit vermindern (an Kinderzahl und Umfang der Stundenreduzierung gebunden): bei 50 Prozent Reduzierung ab dem 2. Kind monatlich 420 Euro

 

Spanien

1,38 Kinder pro Frau

In der Regel rund 24 Euro pro Kind. Das Kindergeld entfällt, wenn das Familieneinkommen über ca. 8.000 Euro liegt

Mit 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind die staatlichen Ausgaben für Familien eher gering (Frankreich 3,6 Prozent, Deutschland 2,8 Prozent)

 

Italien

1,41 Kinder pro Frau

250 Euro (bei Jahreseinkommen bis ca. 11.500 Euro), 38 Euro (bei Jahreseinkommen bis ca. 30.500 Euro)

 

Finnland

1,87 Kinder pro Frau

100 Euro für das 1. Kind, 110 Euro für das 2., 131 Euro für das 3., 151 für das 4. und 172 Euro für jedes weitere Kind

Elternurlaub (6 Monate) mit einer Transferleistung in Höhe von 60 bis 70 Prozent des letzten Einkommens. Seit 1985 gibt es in Finnland außerdem ein Betreuungsgeld  in Höhe von ca. 327 Euro pro Monat für Eltern, die ihr Kind (bis 3 Jahre) zu Hause betreuen

 

Schweden

1,98 Kinder pro Frau

Umgerechnet rund 120 Euro für das 1. Kind, 131 Euro für das 2. Kind, 160 Euro für das 3. und 218 Euro für jedes weitere Kind

Der Elternurlaub beträgt 18 Monate (2 exklusiv für Väter); für 390 Tage gibt es eine Transferleistung von 80  Prozent des anrechenbaren Einkommens, danach einen Pauschalsatz von rund 190 Euro. Seit 2008 gibt es für Kinder von 1 bis 2 Jahren ein Betreuungsgeld von rund 340 Euro im Monat, Außerdem bieten in Schweden fast 60  Prozent aller Unternehmen eine flexible Jahres- oder Lebensarbeitszeit an.

 

Polen

1,38 Kinder pro Frau

Je Kind (unter 6 Jahren) etwa 18 Euro, wenn das Monatseinkommen 130 Euro nicht überschreitet, und 26 Euro je Kind ( 6 bis 18 Jahre)

 

Deutschland

1,39 Kinder pro Frau

Je 184 Euro für das 1. und 2. Kind, 190 Euro für das 3. Kind; je 215 Euro für das 4. und jedes weitere Kind

Elterngeld (bis zu 14 Monate, bis zu 1.800 Euro pro Monat); Ehegattensplitting; Kinderfreibetrag; Freibetrag für Alleinerziehende

 

Europäische Union (EU 27)

1,59 Kinder pro Frau

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