© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/12 17. August 2012

Mit stählerner Faust gegen imaginäre Feinde
Ägypten: Die neue Regierung Mursi nutzt die Eskalation der Gewalt auf dem Sinai zum Schlag gegen die Militär- und Geheimdienstführung
Marc Zöllner

Noch ist unklar, wer hinter den tödlichen Angriffen von Anfang August auf einen ägyptisch-israelischen Grenzposten steckt. Zehn schwer bewaffnete Maskierte hatten damals den Kontrollpunkt Karm Abu Salem nahe der Stadt Rafah attackiert, 16 ägyptische Polizisten ermordet und mit zwei erbeuteten Panzerfahrzeugen versucht, die Grenze nach Israel zu durchbrechen. Erst israelische Streitkräfte konnten die Angreifer stoppen. Fünf der Attentäter wurden hierbei getötet, den anderen gelang die Flucht in das schwer kontrollierbare Hinterland der Sinaiwüste.

Gegenseitige Schuldzuweisungen erfolgten prompt. Israel machte palästinensische Extremisten für den Anschlag verantwortlich. Vertreter der Hamas sowie des Islamischen Dschihads wiesen jedoch einhellig jegliche Beteiligung von sich und verurteilten die Tat als unislamisch. Die ägyptische Moslembruderschaft beschuldigte gar Israels Geheimdienst. „Der Mossad“, verkündete die islamistische Bewegung, würde „versuchen, die ägyptische Revolution zu unterdrücken“ und habe „israelische Staatsbürger nur wenige Tage vorher aufgefordert, den Sinai zu verlassen“.

Aus ägyptischen Sicherheitskreisen wiederum hieß es, eine bislang noch unbekannte Extremistenorganisation aus dem Gazastreifen versuche, die Si-naihalbinsel systematisch zu infiltrieren, um dort, das Machtvakuum nach dem Sturz Mubaraks ausnutzend, ein islamisches Kalifat zu errichten. Auch eine Beteiligung libyscher Waffenschmuggler, die gemeinsame Sache mit den der Regierung in Kairo feindlich gesinnten Berbern des Sinai machten, sei nicht ausgeschlossen. Die Oberhäupter der etwa eine halbe Million Mitglieder zählenden Nomadenstämme erklärten daraufhin ihre Kooperationsbereitschaft mit den ägyptischen Behörden, sobald die Leichen der getöteten Attentäter identifiziert seien.

Unterdessen nehmen die Angriffe auf dem Sinai kein Ende. Allein am vergangenen Wochenende starben bei Zusammenstößen zwischen Militär und Militanten mindestens fünf Soldaten. Zwei weitere Sicherheitsposten wurden beschossen, ebenso ein der Armee gehörendes Zementwerk sowie ein Stützpunkt der internationalen Friedens-truppe MFO.

Um die eskalierende Situation wieder in Griff zu bekommen, entsandte Ägyptens Präsident Mohammed Mursi mit israelischer Erlaubnis hunderte Soldaten, über 50 Panzer sowie vier Kampfhubschrauber in die seit dem ägyptisch-israelischen Friedensvertrag von 1979 eigentlich demilitarisierte Zone. Deren Luftangriffe auf Dörfer nahe der Grenze sowie mutmaßliche Terroristenverstecke forderten bislang über 20 Tote.

Der blutige Überfall auf den Rafah-Grenzposten kommt für Mursi denkbar ungünstig. Vor einer Woche erst gelang es dem frisch ernannten Präsidenten, im Juni als Kandidat der FJP, des politischen Arms der Moslembruderschaft ins Amt gewählt, sein neues Kabinett vorzustellen. In diesem fanden sich unter anderem mehrere dem obersten Militärrat SCAF zugehörige Minister, Anhänger seines innenpolitischen Rivalen Ahmed Schafiq, welche er einberief, um eine parteiübergreifende politische Übergangszeit zu garantieren. Die steht nun auf der Kippe.

Bereits vor einer Woche wurde der Chef des Geheimdienstes, Murad Muwafi, seines Amtes enthoben. Dieser hatte kurz nach dem Angriff der Presse erklärt, von kommenden Anschlägen informiert worden zu sein, jedoch weder Zeit noch Ort gekannt zu haben.

Ebenso überraschend wurde Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi entlassen sowie dessen Nachfolger, der als fromm geltende Militärgeheimdienstchef Abdul Fatah Khalil Al-Sisi bestimmt. Tantawi, der als Feldmarschall unter Ägyptens ehemaligem Präsidenten Hosni Mubarak diente, ist ebenso Vorsitzender des SCAF und leitete bis Juli 2012 formell die Amtsgeschäfte weiter. Seine Verfassungszusätze, die dem Militär weitgehende Befugnisse einräumten sowie die Macht des Präsidenten maßgeblich beschränkten, wurden mit Tantawis Entlassung außer Kraft gesetzt.

Bereits kurz nach den Anschlägen hatte Morsi von einer „nationalen Tragödie“ gesprochen und versichert, er werde die Täter „mit stählerner Faust zur Rechenschaft ziehen“. Ob sich sein innenpolitischer Rundumschlag jedoch als produktiv im Kampf gegen Schmuggel und Terrorismus auf der Sinaihalbinsel erweist oder das Land am Nil auf direktem Weg zu einer neuen Notstandserklärung treibt, bleibt abzuwarten.

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