© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/12 17. August 2012

Das Desaster von Dieppe
Kommandounternehmen gegen die „Festung Europa“: Im August 1942 scheiterte eine Landung alliierter Truppen in Nordfrankreich kläglich
Dirk Wolff-Simon

Die Erinnerungen an die Operation Overlord 1944, die mehrmonatige militärische Anstrengung der West-alliierten zur Errichtung einer zweiten Front gegen die deutschen Truppen in Nordfrankreich, verdrängen häufig den Aspekt, daß diesem imposanten militärischen Unternehmen jahrelange Vorbereitungen und verlustreiche Kommando-unternehmen vorausgingen. Durch die Kommandounternehmen wurden verschiedene Ziele verfolgt: Erlangung von Kenntnissen über die Beschaffenheit der deutschen Verteidigungseinrichtungen und der dort eingesetzten Waffen, Erlangung von Kenntnissen über die im „Atlantikwall“ eingesetzten Truppen und Daten über die besonderen Verhältnisse an den Küsten wie die Geländebeschaffenheit oder die Boden- oder Strömungsverhältnisse.

Das umfangreichste Kommandounternehmen dieser Art stellte das Landungsunternehmen vor Dieppe an der nordfranzösischen Küste im August 1942 dar. Ergänzend sah der militärische Auftrag einen Zugriff auf die Technik des deutschen Radarsystems Freya vor, von dem eine Anlage in der Nähe von Dieppe installiert war. Nach der alliierten Planung sollten Truppen und Panzer mit Landungsbooten im Küstenabschnitt vor Dieppe überraschend an Land gesetzt werden und diesen Abschnitt mindestens einen Tag lang halten. Nach Erfüllung der Aufträge sollten sich die Landungstruppen wieder geordnet einschiffen und in die englischen Heimathäfen zurückkehren.

Nachdem aus meteorologischen Gründen die ursprünglich geplante Landungsoperation abgesagt werden mußte, wurde das Unternehmen unter dem neuen Codewort „Jubilee“ dann auf den 19. August 1942 festgelegt. Wie sich später herausstellte, war die deutsche Militärführung durch Geheimdienstinformationen auf das Invasionsunternehmen vorbereitet und verstärkte bereits Tage vor der Invasion die Sicherheitsvorkehrungen. Noch auf See wurden die Invasoren mit einem heftigen Geschützfeuer belegt; etliche Boote sanken oder wurden stark beschädigt. Hierbei erwies es sich als geradezu fatal, daß man seitens der Alliierten auf einen vorhergehenden Luftwaffeneinsatz verzichtet hatte, um ein größtmögliches Über­raschungsmoment zu gewährleisten.

Zwar gelang es dem Großteil der kanadischen Landungstruppen, die von einer amerikanischen Rangereinheit unterstützt wurden, sich für einige Stunden am Strand festzukrallen. Aufgrund des massiven deutschen Abwehrfeuers und der Geländeverhältnisse vor Ort war es ihnen jedoch nicht möglich, in die deutschen Verteidigungsstellungen einzudringen. Angesichts des Geländevorteils für die Deutschen hätte die einzige Chance für eine erfolgreiche Aktion nur darin beste­hen können, noch bei Dunkelheit und mit Hilfe von künstlichem Nebel den Gegner zu überra­schen. Dazu hätte es jedoch eines exakt abgestimm­ten zeitlichen Vorgehens zwischen den Teilstreitkräften und der Ausnutzung des Überraschungseffekts bedurft – beides wurde im Fall von Jubilee nicht in die operative Planung einbezogen.

Als Debakel erwies sich auch der Vorstoß auf die Freya-Radarstation, die etwas weiter öst­lich auf den Klippen stand. Hier galt es, wichtige Teile der Technik zu demontieren und mit sichergestellten technischen Unterlagen nach England zu bringen. Die kanadischen Angreifer kamen zwar nahe an ihr Ziel heran, hatten aber aufgrund der starken Verteidigung keine Chance, ihren Auftrag zu erfüllen.

Nur vier Stunden nach Be­ginn des Angriffs gegen Dieppe war klar, daß dieses Unter­nehmen zu einem großen Debakel geworden war – gegen 9 Uhr kam die alliierte Militärführung zu dem Schluß, daß der Rückzug aller ihrer Truppen vor­genommen werden müsse. Begleitet von einem gewaltigen künstlichen Rauch-Schirm, liefen die alliierten Soldaten über einen breiten Strandabschnitt zu ihren ungepanzerten Landungsbooten, da inzwischen volle Ebbe eingetreten war – die Verluste waren verheerend. Gegen 13 Uhr ergaben sich schließlich die Reste der noch an Land verbliebenen alliierten Truppen.

Die Bilanz der Kämpfe um Dieppe war für die Alliierten, und hier insbesondere für die Kanadier, niederschmet­ternd: Etwa 5.000 Soldaten waren in Richtung Dieppe aufgebro­chen. Von ihnen kehrten nur rund 2.200 Mann zurück. Von diesen wiederum hatten nur etwa 1.200 normannischen Boden betreten, so daß von den insgesamt rund 4.000 Soldaten, die überhaupt an Land kämpften, nur dreißig Prozent übrigblieben. Hinzu kommen an materiellen Verlusten 28 Panzer, 57 Jäger, mindestens 14 versenkte Schiffe sowie 28 Landungsboote. Demgegenüber waren die deutschen Einbußen bei den Kämpfen um Dieppe erheblich geringer, nämlich insgesamt etwa 600 Mann bei allen Wehrmachtsteilen. Beim Heer allein waren es 216 Mann, davon 115 Gefallene, 187 Verwundete und 14 Vermiß­te. Die Luftwaffe verzeichnete darüber hinaus den Ausfall von knapp 50 Maschinen.

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