© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Berliner Mentalität
Preußentum is’ nich’
Herbert Ammon

Sofern dem Begriff „kollektive Mentalität“ Aussagekraft innewohnt, bietet Berlin unerschöpfliches Material für Studien in politischer Psychologie, Event- oder Kiez-Management. Berliner halten ihren Großkiez für den Nabel der Welt, sich selbst dank der in den ethnodeutschen Bezirken anzutreffenden dialektalen Gewandtheit oder Schnoddrigkeit für humorbegabt.

Von Zeit zu Zeit erinnert man an den Alten Fritz, weniger an preußische Tugenden, die im Sinne der Traditionspflege unter Faschismusverdacht stehen. Zum populären Ausdruck brachte Berlins Kollektivmentalität der Regierende Bürgermeister, Klaus „Wowi“ Wowereit, nach eigener Aussage migrantischer Herkunft aus Ostpreußen, mit den Worten: „Berlin ist arm, aber sexy.“

In die einst Optimismus und Frohsinn ausstrahlende Physiognomie des parteipolitischen Erfolgs- typen Wowereit dringt seit längerem ein schiefes Lächeln. Das hat zum einen mit seinem innerparteilichen Abstieg zu tun, nachdem es nicht gelang, den Aufstieg des mit linken Parolen und Migrationshintergrund nach oben strebenden Spandauer Parteifürsten Raed Saleh oder die Abwahl des „Parteirechten“ Michael Müller zu verhindern. Saleh führt die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus und hält Wowereit in der Flughafen-Affäre den Rücken frei, solange dies opportun erscheint.

„Wowi“, Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafen Berlin-Brandenburg GmbH, leidet unter der unendlich teuren Geschichte des Berliner Großflughafens. Natürlich gibt es da auch was zu lachen, etwa über die vom Ex-Vorstandschef vollendete Dissertation „Effiziente Optimierung von Entscheidungsprozessen bei baulichen Großprojekten“ – oder so ähnlich. Die Sache selbst ist nicht zum Lachen.

Sie ist Folge der parteiübergreifenden Ämterhäufung: Bei soviel Tantiemen verliert man den Überblick. Sie ist zum anderen Ausdruck eines in Ostberliner Funktionärs- und Westberliner Subventionsmentalität verwurzelten, vom Mauerfall unbeschadeten Habitus. Vom ökonomischen Aufschwung ist der Transfer-Standort Berlin so weit entfernt wie der Flughafen BER vom ersten „Take-off“. Inzwischen treiben nicht nur Russen, sondern ausgerechnet Griechen die Immobilienpreise hoch, ein Berliner Tabu. Verständnis zeigen die Medien hingegen für die „Wut“ der Berliner „Kiez-Linken“ über steigende Mieten.

 

Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin.

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