© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Der Gulag taucht nicht auf
Geschichtspolitik: Kritiker werfen den Machern der Ausstellung im ehemaligen Potsdamer KGB-Gefängnis vor, die Verbrechen des Kommunismus zu verharmlosen
Ekkehard Schultz

Muß die neue Dauerausstellung, die seit April dieses Jahres im früheren Potsdamer KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße gezeigt wird, grundsätzlich überarbeitet werden? Nach Ansicht des Gedenkstätten-Vereins und vieler Zeitzeugen ist dies unumgänglich. Bereits bei der Eröffnung protestierten sie unter dem Motto „Gedenkstätte: Ja! KGB-Museum: Nein!“ gegen die „falsche Akzentsetzung“ und die „erkennbaren Tendenzen zur Verharmlosung des kommunistischen Terrors“.

Einen erheblichen Teil der Verantwortung dafür trägt in ihren Augen die 2008 eingesetzte Leiterin des Museums, Ines Reich, die sich bei der Aufarbeitung der Geschichte des Gefängnisses auch der Zusammenarbeit mit wichtigen Zeitzeugen verschlossen habe.

In der vergangenen Woche wurde nun auf Einladung des Vorsitzenden des Gedenkstätten-Vereins, Richard Buchner, versucht, mit einer Podiumsdiskussion die aufgerissenen Gräben zu überwinden. Die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld wies dabei auf mehrere Stellen in der Ausstellung hin, in denen die Vergangenheit grob beschönigt würde. So würden beispielsweise die Begriffe „Kommunismus“ oder „kommunistische Gewaltherrschaft“ in der ganzen Ausstellung kein einziges Mal benutzt, gesprochen würde lediglich von „Stalinismus“. Das Hungern der Häftlinge werde mit der Beschreibung verklärt, daß sie „wenig nahrhaftes Brot“ erhielten. Eine „direkte Geschichtsfälschung“ sei es auch, wenn der Eindruck erweckt werde, daß es sich bei den Inhaftierten in erster Linie um „Nazis“ gehandelt hätte. Denn dies stehe in einem deutlichen Gegensatz zu der Tatsache, daß seit den neunziger Jahren rund 80 Prozent der einstigen Insassen von der sowjetischen Generalstaatsanwaltschaft rehabilitiert wurden.

Auch die brandenburgische Landtagsabgeordnete Linda Teuteberg (FDP) übte deutliche Kritik an der Ausstellung und der Vorgangsweise der Gedenkstättenleitung. Nach ihrer Ansicht müßten an diesem Ort zwei Aspekte im Mittelpunkt: einerseits die Darstellung des kommunistischen Terrors, der dort ausgeübt wurde, andererseits der Hinweis auf menschliche Würde und Menschenrechte. Doch daran mangele es momentan, sagte Teuteberg.

Die Gedenkstättenleiterin Reich wies demgegenüber darauf hin, daß das ehemalige Gefängnis seit ihrer Wiedereröffnung bereits von Tausenden Besuchern und von zahlreichen Schulklassen aufgesucht worden sei. Diese hätten die Ausstellung überwiegend positiv beurteilt. Zudem bestehe auch bei den heute noch lebenden Insassen und ihren Nachkommen keineswegs ein Konsens im Hinblick auf die vom Verein vorgebrachte Kritik. Vielmehr sei auch von ihnen zumeist ein positives Echo zu vernehmen, berichtete Reich.

Ähnlich äußerte sich der Staatssekretär im brandenburgischen Kultusministerium, Martin Gorholt (SPD). Er räumte zwar ein, daß es einige Probleme im Vorfeld der Ausstellungseröffnung gegeben habe. Für eine grundlegende Überarbeitung bestehe jedoch nun kein Anlaß, sagte Gorholt. Dies entspräche auch dem Willen des Beirates und des Kuratoriums der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, die ihre Zustimmung zur Ausstellung bekundet hätten.

Für laute Proteste aus den Reihen der Besuchern sorgte Gorholt, als er dem Vereinsvorsitzenden Buchner vorwarf, daß dieser anscheinend „nur ihm genehme Zeitzeugen“ für Veranstaltungen in der Gedenkstätte vorschlagen würde.

Trotz dieser eindeutigen Stellungnahme brachte der Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, seine Hoffnung zum Ausdruck, daß es „in ein oder zwei Jahren eine bessere Ausstellung geben“ werde. Ergänzt werden müsse diese durch eine enge Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen der Gedenkstätte und den Zeitzeugen. Wenn die derzeitige Leitung diese beiden Grundanliegen nicht umsetze, sei sie „an diesem Ort an der falschen Stelle“, sagte Knabe. Besonders schwerwiegend sei, daß der historische Hintergrund – nämlich das Gulag-System – momentan überhaupt nicht thematisiert werde.

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