© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

„Die N-VA gleicht einem Taubenschlag“
Flandern: Die Konkurrenz zwischen den flämisch-nationalen Parteien wächst und behindert den Kampf für die gemeinsame Sache
Mina Buts

Zur Kanzlerwahl stilisieren belgische Medien die Bürgermeisterwahl im Oktober in Antwerpen hoch. Der Senkrechtstarter der belgischen Politik, Bart de Wever von der konservativen N-VA (Neu-Flämische Allianz), fordert dann den sozialistischen Amtsinhaber Patrick Janssens heraus. Aktuelle Umfragen prognostizieren ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden. Schon einmal war Janssens Abwahl gescheitert: 2006 hatte der rechte Vlaams Belang (VB) dieses Ziel knapp verfehlt.

Über zwei Jahrzehnte lang galt der Vlaams Belang mit seinem erklärten Ziel, die Unabhängigkeit Flanderns rasch durchzusetzen, als einzige echte Alternative zum bestehenden belgischen System. Beim „Schwarzen Sonntag“ 1991 errang die Partei, damals noch unter dem Namen Vlaams Blok, einen erdrutschartigen Sieg und wurde in Antwerpen und Mechelen zeitweise zur stärksten Fraktion. Nur durch einen Cordon sanitaire, den alle anderen Parteien um den Vlaams Belang legten und der ihnen bis heute jede Zusammenarbeit verbietet, gelang es, ihn von jeder Regierungsbeteiligung fernzuhalten – was dessen Siegeszug unter den Wählern jedoch keinen Abbruch tat.

Gestoppt wurde der Vormarsch des Vlaams Belang erst durch die N-VA, die einen Teil der alten Volksunie abbildete und erstmals 2001 als Listenverbindung mit den Christdemokraten antrat. Ihr Parteivorsitzender Bart de Wever machte sich 2009 mit einer wochenlang ausgestrahlten Quizshow „Der schlaueste Mensch der Welt“ bekannt und beliebt. Zwar belegte er – mit einer Sekunde Rückstand – nur den zweiten Platz, hatte aber mit seiner witzigen, jovialen und intelligenten Art nicht nur das Fernseh-, sondern auch das Wählerpublikum gewonnen.

Dem Erfolg bei der Parlamentswahl im Jahr 2010 dürfte nun ein kommunaler folgen. Das Nachrichtenmagazin Knack titelte entsprechend im Juli: „Die N-VA vor der Machtergreifung. Der Angriff hat begonnen. Die N-VA wird Flandern von unten erobern: über die Kommunen“.

Auch innerhalb des Vlaams Belang zweifelt daran niemand. Parteiinterne Streitigkeiten haben die Partei ebenso zermürbt wie jahrelange Oppositionsarbeit und der auch medial durchgehaltene Cordon sanitaire. In den vergangenen Monaten gab es mehr als fünfzig Übertritte von Mandatsträgern des Vlaams Belang zur N-VA, darunter auch so prominente Vertreter wie Karim van Overmeire und Jurgen Ceder. Wahlprognosen sehen für den Vlaams Belang allenfalls 15 Prozent der Wählerstimmen. Die Partei selbst gibt sich gelassen. Sie vertritt weiterhin ihre „harte“ Linie, davon zeugen auch ihre diesjährigen Kampagnen gegen Masseneinwanderung, Islamisierung und die steigende Kriminalitätsrate.

Die N-VA hingegen präsentiert sich als harmlose Variante für flämische Nationalisten. Die Unabhängigkeit steht zwar als Fernziel vor Augen, bis dahin kann es aber noch etliche Föderalisierungsstufen geben. Liberale Positionen finden sich ebenso wieder wie konservative. Selbst für ehemalige Sozialisten und Islamisten ist Platz, wie der Fall des eben übergetretenen Youssef Slassi von der sozialistischen S-PA zeigt, der nun auf Platz zwei der Antwerpener Liste kandidiert.

Filip Dewinter vom Vlaams Belang ärgert das: „Die N-VA gleicht einem Taubenschlag. Jeder ist auf den Wahllisten willkommen, ob Belgizist oder flämischer Nationalist, links oder rechts, Ex-Vlaams-Belanger oder Islamlobbyist.“

Die N-VA schloß eine Zusammenarbeit mit dem Vlaams Belang zwar aus, hält den Cordon sanitaire aber für undemokratisch. Mittlerweile besetzt sie auf der Suche nach Wählerstimmen selbst klassische Positionen des Vlaams Belang. Mit einem „Migrationsbarometer“, im Juli in Antwerpen vorgestellt, benennt sie die massiven Einwanderungsprobleme der Stadt – mit dem Hinweis, daß der Vlaams Belang das Thema schon früher „angedeutet“ habe. Schließlich sei „nicht alles“, was diese Partei von sich gebe, „absolut falsch“.

Gemeinsam anzutreffen sind beide Parteien beim „Allgemeinen Nationalen Sangfest“ jedes Frühjahr in Antwerpen, aber auch auf der „Ijzerwake“, die an diesem Wochenende in Steenstrate bei Ypern stattfindet.

 

Ijzerbedevaart und Ijzerwake-Fest

Zum Gedenken an die Gefallenen flämischen Soldaten des Ersten Weltkriegs fand seit 1920 jährlich in Diksmuide/Westflandern die Bittfahrt an den Fluß Ijzer statt (Ijzerbedevaart). Unter dem Motto „Gottesfrieden, Nie wieder Krieg, Selbstbestimmung“ pilgerten bis zu 50.000 Flamen dorthin. Nach Skinhead-Ausschreitungen in den achtziger Jahren wurde dann ein liberaler Kurs eingeschlagen. Seit 2003 organisieren die nationalen Flamen eine eigene Veranstaltung, die „Ijzerwake“ in Steenstrate/Westflandern, auf der neben anderen flämisch-nationalen Vereinigungen wie Voorpost, dem Flämisch-Nationalen Jugendbund VNJ und der Flämischen Volksbewegung VVB sowohl der Vlaams Belang als auch – in geringerem Maße – die N-VA vertreten sind. Die „Ijzerbedevaart“ findet im August letztmalig statt, die „Ijzerwake“ erfreut sich hingegen wachsenden Zuspruchs.

Foto: N-VA-Chef Bart de Wever und der Fraktionsvorsitzende des Vlaams Belang Filip Dewinter: Gemeinsam anzutreffen sind beide Parteien selten

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