© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Widerstand gegen die Partei Gottes
Libanon: Im Sog der Kämpfe im Nachbarland wagen Sunniten den Aufstand gegen die Hisbollah / Brüchiger Friede zwischen den Konfessionen
Bodo Bost

Der Konflikt in Syrien, wo eine sunnitische Bevölkerungsmehrheit gegen den schiitisch-alawitischen Assad-Clan aufbegehrt, hat immer mehr Auswirkungen auf den Libanon, der viele Jahre von der syrischen Armee besetzt war. Auch im Libanon, wo die Schiiten eine knappe Bevölkerungsmehrheit bilden, begehren immer mehr Sunniten auf. In der Hafenstadt Saida im Süden des Libanon spitzt sich dieser Konflikt zu, da Saida eine mehrheitlich sunnitische Stadt ist, die umgeben ist von einem schiitischen Siedlungsgebiet, das von der schiitischen Hisbollah („Partei Gottes“) beherrscht wird. Die einst zahlreichen Christen haben den Südlibanon seit dem Machtzuwachs der Schiiten fast alle verlassen.

In Saida treiben die Predigten des zuvor unbekannten Salafisten Ahmad al-Assir seit Wochen immer mehr gläubige Sunniten auf die Straßen. Straßenschlachten, kommunitär bedingte Gewalt und Entführungen häufen sich. Ahmad al-Assir, der neue Senkrechtstarter der örtlichen Politik, wagte es als erster libanesischer Politiker die Entwaffnung der einflußreichen Hisbollah-Miliz, deren Waffenarsenal bei weitem das der libanesischen Armee übersteigt, zu fordern. Der bisherige Führer der Sunniten, der frühere Premierminister Saad Hariri, hatte dies nicht gewagt, er hat im letzten Jahr das Land verlassen. Der neue Führer der libanesischen Sunniten, al-Assir, hat den Abgang von Saad Hariri genutzt, er möchte jetzt eine „Revolution gegen die Hisbollah“ starten. Viele seiner jugendlichen Anhänger haben es der Schiiten-Miliz nicht verziehen, daß sie im Mai 2008 weite Teile der Beiruter Innenstadt handstreichartig besetzte und die sunnitischen Milizen entwaffneten.

Saida liegt im von der schiitischen Hisbollah dominierten Süden des Libanon – doch die 200.000 Einwohner große Stadt ist mehrheitlich sunnitisch. Bereits im März war Scheich al-Assir als Organisator einer Massenkundgebung gegen Baschar al-Assad in Beirut zum ersten Mal aufgefallen. Nachdem al-Assir nach eigenen Angaben im Mai an einem Checkpoint der Armee verhaftet wurde, rief er seine Anhänger zum Widerstand gegen die „Partei Gottes“ und deren Generalsekretär Hassan Nasrallah auf, dessen Agieren angesichts der bedrohlichen Lage seines Verbündeten Assad in Syrien immer nervöser wird.

An der Stadtgrenze von Sidon führt Scheich al-Assir seit Wochen ein Protestcamp seiner Anhänger, die ab und an die stark befahrene Küstenstraße blockieren. Der Scheich ist auch dank des Wahlerfolges der Salafisten in Ägypten und Tunesien zur Identifikationsfigur für viele Salafisten im Libanon geworden.

Bei den letzten Parlamentswahlen im Libanon 2009 hatte die schiitische Hisbollah, gemeinsam mit ihren Verbündeten von der mehrheitlich christlichen Freien Patriotischen Bewegung (FPM) von General Aoun, in vielen Regionen des Libanon gewonnen, im gesamten Land aber mußte sich das schiitische „Bündnis des 8. März“ dem rivalisierenden sunnitischen Lager vom „14. März“ knapp geschlagen gegeben.

Damals übernahm Saad Hariri, Sohn des 2005 wahrscheinlich vom syrischen Geheimdienst ermordeten legendären Ministerpräsidenten Rafiq Hariri die Führung der Sunniten und der Regierung. Die Hisbollah hingegen ließ sich von der Wahlniederlage nicht beirren – und stürzte die Regierung des Sunniten Saad Hariri Anfang 2011. Sie stellt seitdem erstmals einen Teil der libanesischen Regierung unter Premier Najib Mikati, der selbst Sunnit ist.

Der mehrheitlich sunnitische „Future-Bewegung“ war es in zwei Jahren unter Premierminister Saad Hariri nicht gelungen, die orthodoxen Sunniten in Saida oder Tripoli im Norden des Landes an sich zu binden. Noch immer sind viele von ihnen der Hisbollah dankbar, daß sie 2006 Israel bei dessen Invasion des Südlibanon einen empfindlichen Schlag versetzte, während die anderen Parteien des Landes untätig blieben.

Diese Beliebtheit der Hisbollah über die Konfessionsgrenzen hinweg könnte auch al-Assir noch zum Problem werden. Seine Aktionen stoßen nicht bei allen Einwohnern von Saida und Tripoli auf Gegenliebe, manche werfen ihm vor, Israel in die Hände zu spielen. Der Aufstieg von Scheich al-Assir und den Salafisten könnte dem brüchigen Frieden zwischen den Konfessionen des Libanon einen empfindlichen Schlag versetzen.

Bislang hatte der Salafismus im Norden des Libanon, in der Gegend um die Stadt Tripoli, sein Zentrum. Unter Schakir al-Absi war im palästinensischen Flüchtlingslager Nahr al-Bared 2006 die salafistische Untergrundorganisation Fatah al-Islam gegründet worden. Nach einem Aufstand gegen die libanesische Armee war al-Absi 2008 getötet worden, seine Nachfolge hat jetzt Scheich al-Assir unter politisch wesentlich günstigeren Verhältnissen angetreten. Im Mai 2012 war es in Tripoli zu heftigen Kämpfen zwischen Salafisten und Pro-Assad-Gruppen gekommen.

Der libanesische Ministerpräsident Najib Mikati, einer der wenigen prosyrischen Sunniten, möchte ein Übergreifen des Syrienkonfliktes verhindern. Immun gegen den Konflikt in Syrien ist der Libanon wegen seiner ähnlichen Bevölkerungsstruktur allerdings nicht. Spätestens wenn Assad stürzt , könnten viele Sunniten sich auch an den Schiiten und Alawiten im Libanon rächen. Der reiche Geschäftsmann Mikati ist ein Freund Assads, aber seine Regierung, in der viele Parteien vertreten sind, verhält sich gegenüber Syrien neutral.

Innerhalb der Hisbollah bilden sich langsam zwei Lager heraus. Die Pragmatiker haben erkannt, daß Assads Regime nicht zu halten ist, sie bereiten sich daher auf die Zeit nach Assad vor. Der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, soll ebenso wie der schiitische Fernsehsender al-Manar dem pragmatischen Lager zuneigen. Die unter dem Einfluß der iranischen Revolutionswächter stehenden Radikalen hingegen fordern dazu auf, die strategische Allianz von Teheran über Damaskus bis zur Hisbollah auf keinen Fall aufzugeben.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen