© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

In Körben zum Scheiterhaufen
Verfolgt, verfemt und bagatellisiert: Werner Fuld beleuchtet Bücherverbote im Wandel der Zeiten
Sebastian Hennig

Als eine „Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute“ bezeichnet Werner Fuld sein „Buch der verbotenen Bücher“. Gelungen ist ihm eine lockere Sammlung von Paradoxa, Peinlichkeiten und vergeblichen Maßnahmen. Horaz wußte bereits: „Nur das, was noch nicht in die Öffentlichkeit gelangte, kann vernichtet werden. Die einmal entsandte Stimme kann nicht wieder zurückkehren.“

Doch bereits die Formulierung drängt ihrer Natur nach an die Öffentlichkeit. Selbst Autorenverfügungen bewirken nichts dagegen. Wir bekommen von manchem Genie Dinge zu lesen, die ganz entschieden nicht dazu bestimmt waren. Im Falle der Aeneis setzte sich Augustus als vergöttlichter Kaiser über eine Verfügung des sterblichen Vergil hinweg.

Jedes Verbot enthüllte sich zuletzt als ohnmächtiger Versuch der Eindämmung dort, wo Gelassenheit immerhin einen Aufschub der unumkehrbaren Entwicklung bewirkt hätte. Soviel hat das Abendland aus seiner Geschichte gelernt. Die globalisierten, pluralistischen Gesellschaftsordner verfahren sparsam mit Verboten. Denn sie benötigen den Kontrast zum rückständigen Beelzebub, der einschließt und verbietet. Was ihnen selbst Verlegenheit bereitet, das wird erst einmal ignoriert. Wenn das nicht mehr geht, muß es durch diffamierende Toleranz zu einer Bagatelle umgeformt und mit Palaver zugedeckt werden. Hauptsache keine Reibung. Die Vernichtung setzt nicht mehr an der Materie an, sondern trifft die Aura.

Unsere Ahnen waren dagegen einfältig und materialistisch, wenn sie zumeist die Händler bestraften und die Bücher wie Übeltäter hinrichten ließen. Esel mit geflammten Decken trugen die Last in Körben zum Scheiterhaufen, wo der Scharfrichter das Feuer schürte. Erst die neuere Zeit vergeht sich an den Verursachern, den Autoren.

Fast anrührend wirkt der bürokratische Zensurapparat des Vatikan im Vergleich zu den Maßnahmen von Protestanten und Puritanern, die viel unbekümmerter Autoren verbrennen und Schreibhände abhacken. Derart überreizt erweisen sich der Staat und die alte Kirche nur, wenn an ihren Grundlagen gerüttelt wird. Und je schmaler die ausfällt, um so heftiger wird pariert.

Die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten finden ihre Fortsetzung in einer Fülle von Maßnahmen zur Beeinflussung des Leseverhaltens. Schon 1946 wird für alle vier Besatzungszonen eine Reinigung der Bibliotheken verfügt, die 14.000 Titel umfaßt, darunter auch Ernst Jüngers Kriegsbücher und Gottfried Benns Essays.

In der DDR gibt es mehrjährige Haftstrafen für die Lektüre von George Orwells „1984“. Jährlich werden 400.000 Bücher beschlagnahmt. Aber auch im Westen tritt im September 1961 ein „Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote“ in Kraft, in dessen Folge 800.000 Sendungen aus dem Osten monatlich durch Zoll und Post vernichtet werden, ohne den Adressaten zur Kenntnis zu gelangen. Der Verwüstung der Autorenbiographien in der DDR, dem Wirken der „Entwicklungslektoren“ und dem verordneten Optimismus ist ein ausführliches Kapitel gewidmet.

Die Vorstellung, daß Bücher Verhalten beeinflussen, ist je nach Werk, Zeit und Ort unterschiedlich ausgeprägt. Noch 1929 verbot die Landesregierung der Provinz Steiermark den Verkauf von Wilhelm Buschs Bildergeschichte „Max und Moritz“ an Personen unter 18 Jahren. Vielleicht rauchten in dieser Zeit noch viele steiermärkische Dorfschullehrer lange Meerschaumpfeifen, und Schießpulver war für Minderjährige erreichbar.

Die Verbote des Vatikan wirkten doppelt effektiv, indem sie dem schlichten Gläubigen wirksame Vorgaben machten und zugleich die gebildeten Kreise mit Leseempfehlungen versorgten. Ferdinand Gregorovius ist gerührt, als er die Verdammung einer Übersetzung seiner „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter“ am Petersdom angeschlagen findet und so selbst in die römische Geschichte eingeht. Für die Prüfer des Vatikan war nur relevant, was in einer „lesbaren“ Sprache vorlag. Deutsch gehörte nicht dazu. Die Prophylaxe, alle Neuerscheinungen des Frankfurter Messekatalogs rundweg zu verbieten, setzte sich nicht durch.

Dynamische Techniken befeuern die Rebellion. Der Buchdruck war Katalysator von Reformation und Aufklärung, so wie heute das Weltnetz die Parolen des Aufruhrs weiterträgt. Im Hintergrund schieben natürlich gut maskierte politische Interessenten durchs Bild. Der französische König Franz I. hat den Zusammenhang erfasst, als er 1535 den Druck von Büchern überhaupt verbot und die Todesstrafe für Drucker und Verleger in Aussicht stellte.

Im Deutschen Reich konnten ab 1900 „unzüchtige“ Schriften gesetzlich verboten werden. Besonders anfällig waren dafür Stücke, in deren Mittelpunkt und Titel fatale Frauenzimmer standen, wie „Salome“ von Oscar Wilde, „Maria von Magdala“ von Paul Heyse, „Judith“ und „Genoveva“ von Friedrich Hebbel. Die Indizierung hatte oftmals auch besonders sorgfältige Archivierung ephemerer Schriften zur Folge. Die Bayerische Staatsbibliothek beispielsweise sammelt seit 1920 polizeilich beschlagnahmte Druckerzeugnisse.

Was früher Anstoß erregte, läßt nun erkennbar werden, was in jener Zeit die Sitte war. Die globale Internet-Freiheit besteht aus Freiheiten, an denen wenig neu ist. Ausgelagerte und fingierte Erscheinungsorte sind schon so alt wie der Buchdruck selbst. Salingers „The Catcher in the Rye“ erschien zunächst in London, und ein amerikanischer Verlag wagte die Veröffentlichung erst nachdem die eingeführten Bücher nicht länger beschlagnahmt wurden. Solche Verleger sind als Unternehmer bestrebt, ihr Produkt in einer reizvollen Balance zwischen Begehrlichkeit und Konsens zu halten.

Die deutsche Übersetzung des Hauptwerks von James Joyce, „Ulysses“, war auch nach 1933 nicht verboten. In der anglophonen Welt dagegen galt es lange als anstößig und wurde indiziert. Im Gegenzug sollte sich die Furcht von Vladimir Nabokovs amerikanischen Verlegern als unbegründet erweisen: Obwohl „Lolita“ durch ihr Zögern zunächst in einem pornographischen Verlag in England herauskam, wurde der Roman in den USA unverzüglich als literarische Perle begrüßt.

Alles in allem erweist sich diese behauptete Universalgeschichte lediglich als ein originelles Stück Unterhaltungsliteratur, gespickt mit Abschweifungen und Anekdoten.

Werner Fuld: Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten. Von der Antike bis heute. Verlag Galiani, Berlin 2012, gebunden,
22,99 Euro

Foto: Alte Bücher: Die heutigen Gesellschaftsordner verfahren sparsam mit Verboten. Was ihnen Verlegenheit bereitet, wird erst einmal ignoriert.

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