© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

CD: Titel
Unbefangenes Musikantentum
Andreas Zöllner

Die Wiederentdeckung der Schöpfungen des Berliner Kapellmeisters Curt Protze (1891–1967) geschieht durch zwei tschechische und ein slowakisches Orchester. Unter dem österreichischen Dirigenten Manfred Müssauer geben sie sieben kürzere Stücke des Komponisten, der aus einer eingesessenen Musikerfamilie stammte. Sein Vater war Organist und Komponist und Inhaber des „Musikhaus Hermann Protze“ an der Potsdamer Straße. Er verfaßte eine sehr gebräuchliche Harmonium-Schule. Auch sein Sohn war vor allem ein Praktiker in der Musik. 1921 wurde er Kapellmeister des neugegründeten Orchesters im Schloßparktheater in Steglitz. Der Sinn für effektvolle Musik mit hohem künstlerischen Anspruch empfahl ihn für die neuen Medien Rundfunk und Filmtheater. Er betätigte sich in den großen Kinopalästen der Universum Film AG als Organist, wobei er für seine eindrucksvollen Improvisationen gerühmt wurde. Die leichte Faßlichkeit und die Farbigkeit seiner Partituren bescherten ihm 1934 mit der Operette „Münchhausen“ einen beachtlichen Erfolg bei der Berliner Funkstunde.

Die sinfonische Ouvertüre „Münchhausen“ gibt der CD-Veröffentlichung den Namen: Auf dem Titelbild zwirbelt der Lügenbaron seinen Schnurrbart. Die Erlebnishorizonte seiner Reisen scheinen in der Musik auf, dazwischen ereignen sich übermütige Eskapaden. Dennoch bleibt alles verbunden zu einer überzeugenden künstlerischen Einheit.

Nach dieser tondichterischen Leistung wendet sich eine „Rhapsodie für Orchester“ dem rein Musikalischen zu. Tänzerische Elemente verbinden sich mit Liedhaftem. Eine etwas herbere Sprache spricht das „Concertino Nr. 2 für Orchester“. Protze beweist ein tonsetzerisches Raffinement, das ganz auf der Höhe der Kunstmusik der Zeit steht. Er zeigt sich der Modesprache der Moderne gewachsen, ohne sein eigenes Naturell zu verleugnen. Dunkel, schwierig und dabei doch nicht abweisend, balanciert diese Musik zwischen Spätromantik und Wiener Schule. In düsteren Klangfarben hebt auch der Prolog zur Oper „Der Rutengänger“ an, um dann mit unbefangenem Musikantentum den Bogen zur Münchhausen-Musik zu runden.

Ganz Gebrauchsmusik sind die Klangillustrationen zu Kulturfilmen der dreißiger Jahre. Ein „Vorstoß ins Weltall“ wirkt gar nicht invasiv, poetisch und mild entfaltet er sich als eine Art kosmische Pastorale.

Gemessen an der mageren Auskunft, die das Begleitheft über den Komponisten gibt, nimmt sich die ausführliche Rechtfertigung dieser harmlosen Musik zu Dokumentar- und Lehrfilmen übertrieben aus. Es wird Protze unnötigerweise bescheinigt, er habe nichts gemein mit der „typisch nationalsozialistischen Ästhetik (…) die ausschließlich den Idealen dieser perversen Ideologie verpflichtet zu sein hatte.“

Daß diese Musik durch solche Zusammenhänge nicht bezeichnet wird, zeigt die späte Uraufführung seines Oratoriums „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an“ vor einem reichlichen Jahrzehnt durch die Camerata Vocale Berlin. Seither sind zumindest seine Chorwerke hierzulande gelegentlich wieder zu hören. Diese Veröffentlichung zeigt, daß das Orchesterwerk ebenfalls Beachtung verdient.

Münchhausen, Orchesterwerke von Curt Protze Antes Edition, 2012 www.bella-musica-edition.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen