© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

„Sie verstehen es nicht“
Der Niedergang der Tageszeitungen ist zum Teil hausgemacht / Aussicht auf Besserung nicht in Sicht
Ronald Berthold

Es ist ein Tod auf Raten, allerdings kann auch der schnell gehen. Die deutschen Tageszeitungen stehen vor dem Exitus. Beide Säulen, auf denen ihre finanzielle Basis ruht, brechen weg. Viele Zeitungen haben in den vergangenen 14 Jahren ein Drittel ihrer Auflage verloren, manche sogar die Hälfte und noch mehr. Das ergibt ein Vergleich der Zahlen der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) über den Zeitraum von 1998 bis heute. Gleichzeitig bricht der Anzeigenumsatz brutal ein. Diesen Zweifrontenkrieg können die Blätter nicht gewinnen. Das Aus zahlreicher Printausgaben scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.

Hauptursache des Niederganges ist neben nachlassender Qualität vor allem die veränderte Mediennutzung. Gehörte es früher zum guten Ton, morgens die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen, so informieren sich heute zunehmend mehr Menschen über das Internet. Insbesondere die jungen Erwachsenen entziehen sich der Tradition und lesen lieber im Netz nach, was geschah. Das ist kostenlos, unverbindlich und oft sogar tiefgehender. Denn Hintergründe zu einem interessanten Thema kann sich jeder selbst zusammenstellen und sich dafür vieler verschiedener Quellen bedienen.

Besonders dramatisch ist der Bedeutungsverlust der einst mächtigen Tageszeitungen in den Metropolregionen. Dort gibt das Internet inzwischen den Takt vor. Beispiel Hauptstadt: Das Boulevardblatt B.Z. verlor vom ersten Quartal 1998 bis zum selben Zeitraum 2012 fast die Hälfte seiner zahlenden Leser. Kauften damals noch durchschnittlich 296.000 Menschen die Zeitung, so sind es heute nur noch knapp 155.000 – und das, obwohl Leser die sogenannte Straßenverkaufszeitung jetzt auch per Abonnement erhalten können.

Ähnlich dramatisch sieht es bei der klassischen Abonnementzeitung Berliner Morgenpost aus. Hier liegt der Einbruch bei 34,3 Prozent. Das Blatt erreicht nur noch eine Verbreitung von 123.354 Stück. Nicht schöner ist die Lage für die Märkische Oderzeitung, die im Umland der Hauptstadt erscheint: Minus 39 Prozent in den vergangenen 14 Jahren.

Die Frankfurter Rundschau – als Lokalzeitung mit einst überregionalem Anspruch in der Rhein-Main-Region beheimatet – versuchte mit Format- und Layoutwechseln den Niedergang aufzuhalten. Vergeblich. Die Verbreitung sank laut IVW um fast 36 Prozent auf heute nur noch 123.899 Stück. Und selbst die Kieler Nachrichten, die vor allem auf dem flachen Land verbreitet sind, beklagen einen Rückgang um 22 Prozent.

Die einzigen, die sich dem Trend ein wenig zu entziehen vermögen, sind die großen überregionalen Blätter wie Frankfurter Allgemeine und Süddeutsche Zeitung. Liegt die Bilanz der FAZ bei minus 15 Prozent (Verbreitung heute: 374.513 Stück) kann die SZ gar ein Plus von 2,3 Prozent (445.637) einfahren. Dies gelang allerdings nur, weil die Münchner die Anzahl der kostenlosen Bordexemplare fast verdoppelten.

Die beiden Ausnahmen ändern jedoch nichts am Gesamttrend, Wie so oft wird dieser in den USA bereits vorweggenommen. New Orleans ist demnächst die größte amerikanische Metropole ohne eine täglich erscheinende Zeitung. In den Vereinigten Staaten sind die Anzeigenumsätze „in nur sechs Jahren um schwindelerregende 27 Milliarden Dollar zurückgegangen“, bilanziert Thomas Koch, der als Urgestein der Medienbeobachter gilt. Er ist sich sicher, „daß unseren Zeitungen das gleiche Schicksal blüht“.

Koch macht den Verlegern und Chefredakteuren schwere Vorwürfe. An sie gerichtet sagte er jüngst auf dem Zeitungsgipfel, daß sie das Drama durchaus auf sich zukommen sähen: „Aber Sie verstehen es nicht. Oder: Sie verstehen es, ziehen aber daraus keine Schlüsse, die der Markt versteht.“

Denn der Markt wendet sich von der Tageszeitung ab. Der Einzelhandel, der zwei Drittel der Anzeigenumsätze ausmacht, streicht gnadenlos sein Anzeigenbudget zusammen. In den vergangenen beiden Jahren kürzte er es um insgesamt 45 Prozent – Tendenz weiter fallend. Koch spricht von einer „Katastrophe“.

Und das ist es in der Tat. Denn sie setzt einen Teufelskreis in Bewegung: Je weniger die Verlage auf dem Werbemarkt verdienen, desto weniger können sie bezahlen. Das heißt: Nachkommende Journalisten, wenn sie denn überhaupt noch eingestellt werden, müssen erhebliche Lohneinbußen hinnehmen. Gehälter, die Reporter früher mit zunehmender Berufserfahrung automatisch einstreichen konnten, gehören für Neulinge ins Reich der Träume.

Folge: Wer schlecht bezahlt, erhält auch nicht die beste Leistung. Hinzu kommt, daß die Redaktionen geschrumpft werden, vieles aus Personalmangel von den Nachrichtenagenturen ungeprüft ins Blatt gehoben wird. Und Korrektoren gibt es bereits seit Jahren nicht mehr. Die zahlreichen orthographischen und inhaltlichen Fehler verprellen die Stammkundschaft; nämlich jene Leute, die noch auf gute Rechtschreibung und auf Allgemeinwissen Wert legen. Irgendwann verliert diese klassische Klientel die Lust, noch zur Zeitung zu greifen.

Damit wäre das endgültige Urteil über eine Mediengattung gesprochen.

Daß Printausgaben jedoch auch erfolgreich sein können, beweisen die Wochenzeitungen mit ihren hintergründigen Geschichten. Die Zeit konnte ihre Verbreitung in den vergangenen vier Jahren um sieben Prozent erhöhen, die JUNGE FREIHEIT sogar um 38 Prozent.

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