© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Kriegsgrund Gletscherkollaps
Der Kampf ums Wasser ist eines der brisantesten Konfliktszenarien im 21. Jahrhundert
Mario Schmitz

Roman Polańskis „Chinatown“ kam, mit Jack Nicholson und Faye Dunaway in den Hauptrollen, 1974 in die Kinos, als die westliche Welt in der „Ölkrise“ erstmals „Grenzen des Wachstums“ spürte. Zwar geht es in diesem Thriller nicht um Öl, sondern um Wasser. Aber inszeniert wird ein tödliches Spiel um den von Bodenspekulanten in Los Angeles als Waffe eingesetzten nassen Rohstoff, das vor dem Hintergrund der großen wirtschaftlichen Depression im Roosevelt-Amerika der dreißiger Jahre ein Netzwerk von Politikern, Geschäftsleuten und Gangstern für sich entscheidet.

Polańskis finstere Parabel, die das kapitalistische System als Wolfsgesellschaft im gnadenlosen Verteilungskampf um die Existenzgrundlagen vorführt, dürfte im 21. Jahrhundert gerade deshalb nichts an Faszination einbüßen, weil die Dramaturgie des kriminellen kalifornischen Mikrokosmos, die 1974 nur kriselnden nordatlantischen Wohlstandsgesellschaften den Spiegel vorhielt, den Zuschauer heute über die conditio humana im globalisierten „Chinatown“ ins Bild setzt.

Soll doch, so behaupten die Journalisten Andreas Rinke und Christian Schwägerl in ihrem Werk über „11 drohende Kriege“, die Geschichte der Menschheit für kommende Generationen vom Kampf um natürliche Ressourcen geprägt sein. Und dabei steht das Ringen um den Rohstoff Wasser auf ihrer Liste potentieller Konflikte ganz oben. Die am Wochenende beginnende diesjährige Weltwasserwoche des Stockholm International Water Institute (SIWI) befaßt sich bereits seit 1991 mit der Problematik. Und passend zum neu entbrannten innerdeutschen Streit um den Biosprit E10 lautet das diesjährige Leitthema „Wasser und Ernährungssicherheit“.

Im Unterschied zu anderen Autoren, die in jüngster Zeit mit geopolitischen Sandkastenspielen über zu erwartende „Neue Kriege“ ansehnliche Auflagen erzielten, verorten Rinke und Schwägerl die gefährlichste Spannungszone jedoch nicht im Nahen, sondern im Mittleren Osten. Nicht türkische Großprojekte, die Euphrat und Tigris aufstauen und damit das Wasserregime am Persischen Golf übernehmen, spielen die Hauptrolle in ihrem Krisenszenario. Vielmehr rücken sie eine aus europäischer Perspektive eher marginal wirkende Konstellation am „Dach der Welt“ ins Zentrum.

Sie knüpfen mit dieser Einschätzung an eine Warnung Achim Steiners an, der das UN-Umweltprogramm (Unep) leitet. Steiner informierte im Frühjahr 2011 den Sicherheitsrat darüber, welche Risiken sich aus tiefgreifenden ökologischen Verwerfungen im Himalaya-Gebiet ergeben, wo die geostrategischen Interessen Indiens und Chinas kollidieren. Damit machte er auf Entwicklungen aufmerksam, die nicht erst in ferner Zukunft die Beziehungen zweier Weltmächte bestimmen werden.

Vielmehr stelle sich Chinas Wasserpolitik bereits aktuell auf die Gletscherschmelze am „dritten Pol“ der Erde ein. Bedingt durch den Klimawandel schrumpfen die 33.000 Gletscher des Himalaya-Gebirges mit beängstigender Geschwindigkeit. Tröstlich ist angesichts dieser Bedrohung nur die Gewißheit, daß sich die 2007 gestellte Prognose des Weltklimarats, die Gletscher würden bis 2035 verschwunden sein, als blamable Panikmache herausgestellt hat.

Aber wie ernst die Situation trotzdem ist, beweist eine voriges Jahr veröffentlichte indische Langzeitstudie über 2.800 Gletscher, von denen jährlich drei Viertel in hohem Tempo schrumpfen. Chinesische Forscher rechnen mit Gletscherrückgängen von 40 Prozent bis 2050. Peking will daher entsprechend gut gewappnet auf den Gletscherkollaps an seiner tibetischen Südgrenze reagieren. Doch Handlungsbedarf besteht nicht allein wegen des zur Jahrhundertmitte drohenden Wassermangels. Die dynamisch wachsenden industriellen Zentren in Chinas Norden verlangen heute nach immer mehr Wasser.

Wie es schmerzt, wenn das Trinkwasser dort knapp wird, erfuhr man während der Rekorddürren 2010 und 2011. Rinke und Schwägerl glauben, dieses Desaster gab den letzten Anstoß, um bislang zurückhaltend gehandhabte Planungen zu realisieren und den Oberlauf des Tsangpo, der auf indischem Territorium zum Brahmaputra wird, an fünf Stellen zu stauen und sein Wasser in den durstigen Norden Chinas zu leiten. Satellitenbilder über Baufortschritte an dem ersten, dem Zangmu-Staudamm, erregten 2011 die indische Öffentlichkeit, die fürchtet, ihr Lebensstrom könne mittelfristig als Rinnsal enden.

Betroffen wäre die Ernährungssicherheit von 34 Millionen Menschen, die im Nordosten Indiens und in Bangladesch am Brahmaputra leben. Verschärfend kommt in dieser bislang ruhigen Weltecke hinzu, daß China die Zugehörigkeit des heutigen nordöstlichen Bundesstaats Arunachal Pradesh zum britischen Kolonialreich und später zu Indien nie anerkannt hat. Vor fast genau 50 Jahren kam es deshalb zu einem heißen Krieg, in dessen Verlauf Maos Truppen bis nach Assam vorstießen.

Eine Lösung der „tieferen Ursachen“ des Konflikts zwischen China und Indien sei „nicht in Sicht“. Und diese Ursachen sehen die Autoren in den CO2-Emissionen, die jene Erderwärmung auslösten, an die sie die Hauptrolle in ihrem Drehbuch über „11 drohende Kriege“ vergeben. Neben Wasserkriegen könnten Wettrennen um den schwindenden Fischreichtum der Weltmeere („Proteinkrieg im Nordatlantik“) und die Jagd nach mineralischen Schätzen der Tiefsee („Knollen-Kämpfe“) in bewaffnete Auseinandersetzungen münden, ferner die Konflikte, die sich an Problemen der Welternährung, der Überbevölkerung, den dadurch bedingten Migrationsbe- wegungen entzünden sowie aus Konkurrenzen, die die IT- und Weltraumtechnologie gebiert.

Rinke und Schwägerl wollen keine Untergangsängste schüren. Sie sind Optimisten, die dem Weltbild des linksökologischen Stammtisches anhängen, wenn sie etwa die europäische Integration und die Erziehung vor allem der Deutschen zu „kompetenten Weltbürgern von morgen“ als probate Mittel empfehlen, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern.

Ob sich die prophezeiten Wasserkriege mit solchen Rezepturen verhindern lassen, ist eher zweifelhaft. Zuversichtlicher stimmt da schon die zitierte Analyse Aaron T. Wolfs (Oregon State University), des US-Regierungsberaters und „weltweit führenden Experten für Wasserkonflikte“, der zwar Wasserkriege für „durchaus denkbar“ hält, aber zugleich darauf verweist, daß zahllose Streitigkeiten ums Wasser durchweg friedlich endeten. Der einzige Wasserkrieg liege 4.500 Jahre zurück und fand im Euphrat-Tigris-Becken statt.

Programm der Weltwasserwoche 2012: www.worldwaterweek.org

Andreas Rinke, Christian Schwägerl: 11 drohende Kriege. C. Bertelsmann Verlag, München 2012, 430 Seiten, gebunden, 21,99 Euro

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