© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Königlicher Solidarpakt im Fontaneland
Das nach einem verheerenden Brand 1787 zerstörte Neuruppin entstand durch ein einzigartiges preußisches Wiederaufbauprojekt neu
Peter Roland

Am 26. August 1787, einem Sonntag vor nunmehr 225 Jahren, zerstörte ein Großbrand die nordwestlich Berlins gelegene brandenburgische Kreisstadt Neuruppin. Nur fünfzehn Jahre später war unter der Leitung der preußischen Zivilverwaltung aus den Ruinen des noch spätmittelalterlich geprägten Neuruppin die modernste preußische Provinzstadt entstanden. Dieses Aufbauwerk war seinerzeit einzigartig. „Solange die Preußische Monarchie bestanden hat und bestehen wird“, glaubte das Generaldirektorium im Jahre 1800, dürfte „wohl nie ein solches oder ähnliches Retablissement wie das Neu-Ruppinische zu Stande gekommen ist, je wieder zu Stande kommen“.

Die Brandkatastrophe von 1787 hatte eine abseits der großen Verkehrswege gelegene Garnisonsstadt getroffen, deren Haupterwerbszweige – Herstellung von Uniformtuchen und Bierbrauerei – seit längerem rückläufig waren. Da den Abgebrannten ihre relative Armut einen raschen Wiederaufbau aus eigener Kraft unmöglich machte, setzten sie ihre Hoffnung auf den seit einem Jahr regierenden König Friedrich Wilhelm II., „einen gnädigen König, der mit uns armen Leuten Erbarmen und Mitleiden haben wird“. Der gab dann auch 30.000 Taler als Soforthilfe gewährte und von seinem Generaldirektorium geeignete Vorschläge erwartete, „um den Schaden wieder gut zu machen und (…) den Aufbau der niedergebrannten Gebäude auf das möglichste zu beschleunigen“. Die preußische Zivilverwaltung war gefordert, vornehmlich die kurmärkische Kammer als die für Neuruppin zuständige Mittelinstanz.

Kammerpräsident war zu dieser Zeit Otto Carl Friedrich von Voss (1755–1823), ein noch junger und tatkräftiger Beamter, der das Brandunglück als Gelegenheit ergriff, seine Vorstellungen von einer neuen und offenen Stadt zu verwirklichen. Voss, dessen Schwester Julie dem König im selben Jahr zur linken Hand angetraut worden war, gelang es, den noch unerfahrenen und gutwilligen Friedrich Wilhelm für dieses Vorhaben einzunehmen. Ende September bereits erklärte der König, zum Wiederaufbau Neuruppins eine Million und für den zur Hebung des dortigen Gewerbes anzulegenden Rhinkanal 200.000 Taler bewilligen zu wollen.

Das Stadtmodell, das von Voss dem König vorstellte und zum Jahreswechsel 1788 genehmigt erhielt, sah vor, die Stadt um ein Drittel ihrer Fläche zu vergrößern und die neu und massiv zu erbauenden Bürgerhäuser um drei große öffentliche Plätze zu gruppieren. Auf dem mittleren sollte das Gymnasium, auf den beiden seitlichen je eine Kirche errichtet werden. Ob von Voss dabei der wenige Jahre zuvor umgestaltete Berliner Gendarmenmarkt vor Augen stand, ist nicht belegt. Die einschlägigen Akten sprechen bezüglich der breiten Straßen und weiten Plätze, über die der gebürtige Neuruppiner Theodor Fontane ein halbes Jahrhundert später als „einen zu weiten Rock für eine von Natur aus kleine Gestalt“ spotten sollte, nur von feuerpolizeilichen Motiven. Doch das allein wird von Voss kaum bewegt haben. Ihm hatte sich für die Realisierung dieser Modellstadt, in deren Mitte symbolhaft nicht eine Kirche, sondern eine Schule stehen sollte, ein Zeitfenster geöffnet. Noch hatten die aufklärerischen Kräfte am Hofe Gewicht, und noch waren die mit der Französischen Revolution für Preußen entstehenden existentiellen Gefahren nicht in Sicht.

Den rechtlichen Rahmen des Wiederaufbaus bildete ein spezielles Retablissements-Reglement. Die Abgebrannten hatten danach Anspruch auf ein neues massives Wohnhaus früherer Größe, mußten sich zur Erlangung der Bauhilfsgelder jedoch den obrigkeitlichen Anordnungen, der Vorgabe des Bauplatzes, der Fassadengestaltung usw. unterwerfen. Die praktische Umsetzung oblag einer Retablissements-Kommission, in der unter Vossens Leitung die staatlichen Lokalbehörden, die Bauverwaltung und die Garnison vertreten waren.

Das anfängliche Bautempo, mit dem bis Ende 1790 über zweihundert Häuser fertiggestellt waren, erlahmte, als die staatlichen Hilfsgelder zu versiegen drohten. Die Rüstungen und der 1792 begonnene glücklose Koalitionskrieg gegen Frankreich verschlangen Millionen. Dafür, daß das Retablissement dennoch durch alle finanziellen Krisen zu einem glücklichen Ende geführt werden konnte, stehen der (seit 1789) Staatsminister von Voss und der Neuruppiner Justizrat Daniel Heinrich Noeldechen (1736–1799). Sie prägten die Retablissements-Kommission. Das zwischen beiden Männern über Alters- und Standesgrenzen hinweg entstandene Vertrauensverhältnis überwand alle aus Finanznot und städtischen Interessenskonflikten erwachsenen Widerstände.

Vieles aus der Wiederaufbauzeit ist bis heute in Neuruppin sichtbar, denn die Stadt kam ohne größere Bombardements durch den Zweiten Weltkrieg. Die einzigartige Stadtanlage ist zu erkennen, viele Bürgerhäuser mit den vom Oberbaurat Berson (1754–1835) entworfenen Fassaden in der Formenvielfalt dieser Epoche zwischen ausgehendem Barock und beginnendem Klassizismus, die Berson virtuos beherrschte, sind instand gesetzt. In der Mitte der Stadt steht, frisch restauriert, das ehemalige Gymnasium mit Vossens programmatischer Inschrift „Civibus aevi futuri“ (Den Bürgern des kommenden Zeitalters). Die Statue Friedrich Wilhelms II., die die dankbaren Neuruppiner 1829 aufstellen ließen und nach 1945 verloren, ist 1998 als Kopie an ihren alten Platz zurückgekehrt.

Und doch haben die Pflege des historischen Erbes und die Dankbarkeit der Nachkommen auch in Neuruppin ihre Grenzen. Das Denkmal des Königs steht weiter in einer Karl-Marx-Straße; eine 2005 im Vorfeld der 750-Jahr-Feier Neuruppins versuchte Rückgewinnung der historischen Straßennamen scheiterte gründlich.

Foto: Überbleibsel der Stadt Ruppin nach dem großen Brand vom 26. August 1787, Stich von Friedrich Genelli; Otto Carl Friedrich von Voss (kleines Bild): Die Schule, nicht die Kirche stand künftig im Mittelpunkt

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen