© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/12 31. August 2012

Mit einem Wort herumhuren
50 Jahre Konservatismusdebatte: Robert Hepp und die Erledigung des Begriffs „konservativ“
Nils Wegner

Sehr geehrte Redaktion! Man kann nicht mit einem Wort herumhuren, ohne es zu schwächen. Je mehr man um den ‘Konservatismus’ herumdiskutiert, um so mehr nimmt er ab.“ Mit diesen wenig kompromißbereiten Worten begann ein Leserbrief des 24jährigen Erlanger Studenten Robert Hepp, der 1962 in der Septemberausgabe der westdeutschen Politik- und Kulturzeitschrift Der Monat erschien.

Vorausgegangen war eine mehrmonatige Artikelreihe zum Thema „Was ist heute eigentlich konservativ?“, die der Redaktion nach einer früheren Diskussion der Frage „Was ist heute eigentlich links?“ geboten schien. Im Aprilheft desselben Jahres hatte Armin Mohler mit seinem programmatischen Essay „Konservativ 1962“ den Reigen eröffnet, und im Verlauf des Jahres waren ihm so unterschiedliche Protagonisten der bundesdeutschen Politik- und Medienlandschaft wie der Bundesminister für Angelegenheiten des Bundes und der Länder, Hans-Joachim von Merkatz („Konservatives Denken – pseudo-konservative Theorie“), Welt-Chefredakteur und Veteran der Konservativen Revolution Hans Zehrer („Heute wieder zukunftsträchtig“), Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier („Was heißt heute konservativ?“) oder Caspar von Schrenck-Notzing („Wider die Gefühlspolitik“) gefolgt. Die Debatte war bis dato ertragreich und kontrovers verlaufen und hatte einige Beachtung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft gefunden.

Hepps Anliegen war es nun offenbar, „die Unmöglichkeit des Begriffs ‘konservativ’ zu entlarven“ (Karlheinz Weißmann). Für ihn gab es keine „breitspurigere und ausrangiertere Kategorie“ für eine politische Standortbestimmung, und die Beiträge zur Diskussion im Monat legten seines Erachtens beredt Zeugnis über den diffusen, zahnlosen Nachkriegskonservatismus ab: „Jeder widerspricht jedem; aber keiner riskiert den großen Krach.“ Zynisch attestierte Hepp dem Aufsatz von Golo Mann „Konservative Politik und konservative Charaktere“, immerhin die eigentliche Quintessenz des BRD-Konservatismus, mithin der Bundesrepublik selbst, erkannt zu haben: „Wieder-gut-machung“ und eine damit verbundene Restauration. Hierin, in der ununterbrochenen – nun lediglich antithetischen – Ausrichtung auf das Dritte Reich, liege der Schlüssel zur politischen Stagnation und freiheitlich-demokratischen Kulissenschieberei, die Hepp als Ursache der zunehmenden Entfremdung und Unzufriedenheit in der jungen Generation ausmachte.

Bereits 1957 war Helmut Schelskys bahnbrechende Studie zur Jugendsoziologie „Die skeptische Generation“ erschienen und hatte die Nachkriegsjugendlichen als ideologisch desillusioniert und am Praktischen statt an grauer Theorie interessiert charakterisiert. Dem schloß Robert Hepp sich umfänglich an, doch lehnte er eine Etikettierung der ihm zufolge „großen Schweiger“ ab. Diese zeichneten sich vielmehr dadurch aus, daß sie noch kein gedankliches (geschweige denn ein politisches) Fundament gefunden hätten als den Willen zum Widerstand. Dieser Widerstand richtete sich gegen die Fassadenhaftigkeit der Bundesrepublik: „Sie kennen die Frageverbote einer freiheitlichen Demokratie und ihre fast verfassungsmäßig verankerte Sprachregelung. Weil sie aber gleichzeitig ihre Schwächen durchschauen, halten sie sich von den vielen Diskussionen fern, die unser Staat zum Beweis der Freiheit so unermüdlich organisiert.“

Für Hepp schlummerte in dieser unter der Oberfläche brodelnden Dissidenz die „neue Rechte“. Sie sei „Reaktion gegen die bloße Reaktion“ und von der wissenschaftlichen Zeitgeschichte („Historiographie mit Trauerrand“) zu neuen Denkweisen veranlaßt worden: „Sie wollen alles andere als ihren alten Kaiser Wilhelm wieder haben.“ Stattdessen bewegten sie sich frei in der „Landschaft des Verrats“ einer durch die Siegermächte und ihre deutschen Vasallen „ideologisch überfremdeten“ Bundesrepublik. Durch ihre klare Absage an überkommene politische Abgrenzungen werde eine kommende „neue Rechte“ in der Lage sein, „rechts zu fahren, aber links zu überholen“ – in bemerkenswerter Hellsichtigkeit skizzierte Hepp hier bereits, was später neue „Nationalrevolutionäre“ wie Henning Eichberg zu verwirklichen suchten.

Trotz seiner enormen geistigen Sprengkraft sollte Robert Hepps Leserbrief folgenlos bleiben, ebenso wie die gesamte Debatte zum Konservatismusbegriff (die übrigens der Monat und auch die FAZ in den folgenden Jahrzehnten noch mehrmals aufwärmen sollten). Ein Grund dafür mag Hepps radikaler, scharfer Ton gewesen sein, der viele „Gärtnerkonservative“ und „Liberale“ verschreckte. Vielleicht war aber die Ignoranz der Öffentlichkeit auch nur die endgültige Bestätigung für seine Ansicht, daß „es keine Souveränität Deutschlands mehr ohne eine souveräne Elite“ gebe – in Ermangelung derselben konnten seine provokativen Thesen nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Es blieb bei „fauler Reaktion“ – und der Lage, die wir heute noch sehen: „Selbst ist der Rechte.“

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