© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/12 31. August 2012

Nur erbauliche Geschichten
Alternative Islamwissenschaftler spüren den Ursprüngen des Korans und der Person Mohammeds nach
Wolfgang Kaufmann

Seit 2006 gibt das Saarbrücker Institut zur Erforschung der frühen Islamgeschichte und des Koran Aufsatzbände heraus, in denen Autoren zu Wort kommen, welche die Erkenntnisse der traditionell ausgerichteten Islamforschung hinterfragen. Schließlich beschränkt sich die letztere im großen und ganzen darauf, arabische Texte zu interpretieren, die erst zwei- bis dreihundert Jahre nach der angeblichen Begründung des Islam durch Mohammed entstanden sind und offenkundig dem Zweck dienten, neu formulierte Dogmen zu stützen.

Dahingegen verfolgen die Saarbrücker und weitere alternative Islamforscher zwei grundsätzlich andere Strategien: Zum einen werden auch archäologische Befunde und zeitgenössische beziehungsweise nichtarabische Quellen herangezogen und kritisch interpretiert, zum anderen steht die ergebnisoffene philologische Analyse des Koran auf dem Plan. Dabei ergaben sich bereits zahlreiche Überraschungen. So wurden beispielsweise Hinweise darauf gefunden, daß es überhaupt keinen arabischen Propheten namens Mohammed gegeben hat (JF 24/11). Hieran anknüpfend hinterfragt Karl-Heinz Ohlig im nunmehr sechsten Band zum Thema Entstehung und Frühgeschichte des Islam nochmals die Machart und Plausibilität der klassischen Mohammed-Biographien und kommt dabei zu dem Schluß, daß diese tatsächlich nur erbauliche Geschichten, aber keine reale Geschichte bieten.

Claude Gilliot von der Université de Provence wiederum nimmt den Namen des Religionsstifters in den Fokus und geht der Frage nach, ob Mohammed überhaupt ein genuin arabischer Personenname gewesen sei. Laut Gilliot kann dies eindeutig verneint werden, was logischerweise die Hauptthese der alternativen Islamforschung stützt, bei dem Wort „Mohammed“ handele es sich um die Verballhornung eines der heilsgeschichtlichen Hoheitstitel Jesu, nämlich „Mahmet“ (aramäisch für „Der Gepriesene“).

Ein weiterer Beitrag stammt von dem Paderborner Philologen Johannes Thomas. Der deckt auf, in welch starkem Maße der frühe Islam nicht nur auf christlichen, sondern auch auf hellenistischen und persischen Traditionen basierte – bis hin zu der Konsequenz, daß islamo-arabische Lobgesänge auf den Weingenuß und allerlei absonderliche Sexualpraktiken verfaßt wurden.

Gleichfalls höchst aufschlußreich ist der Aufsatz von Raymond Dequin, in dem nun auch die Überlieferung rund um den Mohammed-Neffen und -Schwiegersohn Ali mit wissenschaftlicher Distanz beleuchtet wird. Immerhin war Ali nach schiitischer Auffassung der einzig legitime Nachfolger des Propheten. Doch statt belastbarer Quellen aus dem 7. Jahrhundert finden sich erneut nur Hinweise auf die Intensität, mit der die spätere arabische Historiographie die reale Geschichte verzerrte und mit allerlei zweckgerichteten Fiktionen durchsetzte.

Im zweiten Teil des Aufsatzbandes geht es dann um den Koran selbst. Zuerst stellt Elisabeth Puin von der Universität des Saarlandes einen Koranpalimpsest aus dem ersten Jahrhundert der islamischen Zeitrechnung vor, der um 1970 in der Großen Moschee von Sanaa im Jemen entdeckt wurde. Anhand der vier Fassungen dieses Pergamentes, also des abgewaschenen, aber trotzdem noch lesbaren Urtextes, der späteren Überschreibung und der Korrekturen in beiden Versionen, läßt sich zweifelsfrei belegen, daß der Koran eben nicht im unveränderlichen geoffenbarten Wortlaut tradiert worden ist, wie die Überlieferung besagt, sondern einen stufenweisen Prozeß der inhaltlichen Veränderung durchlaufen hat.

Des weiteren sind in letzter Zeit Zweifel laut geworden, ob der Islam tatsächlich auf der Arabischen Halbinsel im Raum um Mekka und Medina entstand. Aus der philologischen Analyse der Koransprache ziehen die Vertreter der alternativen Islamforschung einmütig den Schluß, daß es ein anderes Emergenzterrain gegeben haben müsse. Die meisten tippen dabei auf Südturkmenistan beziehungsweise den Raum um die Stadt Merw an der Seidenstraße. Zur Untermauerung dieser These liefert Markus Groß auf 112 Seiten detaillierte sprachwissenschaftliche Belege, die sich nicht so ohne weiteres wegdiskutieren lassen dürften.

Auch Robert Kerr von der Wilfred Laurier University in Waterloo (Kanada) zweifelt an der Herkunft des Islam aus der arabischen Wüste. Allerdings verortet er die „dunklen Anfänge“ an etwas anderer Stelle als Groß, nämlich im Süden Syriens, weil alle wichtigen theologischen Fachbegriffe der heiligen Schrift der Muslime Entlehnungen aus dem Syrisch-Aramäischen seien. Das gelte sogar für die Wörter „Islam“ und „Allah“ sowie für die Bezeichnungen der sogenannten „Fünf Säulen des Islam“.

Angesichts dieser und anderer Forschungsergebnisse stößt die alternative Islamkunde in der muslimischen Welt auf dezidierte Ablehnung. Das freilich sollte für eine säkular ausgerichtete westliche Wissenschaft irrelevant sein. Unzweifelhaft bedeutsam ist hingegen die Frage, ob die nichttraditionalistische Herangehensweise wirklich auch kohärente Resultate produziere.

Hierzu äußert sich Marcin Grodzki, der an der Universität Warschau lehrt, im dritten Teil des Bandes, welcher dem derzeitigen Zustand der Islamwissenschaften gewidmet ist. Für den polnischen Arabisten steht fest, daß es keine ernsthaften Widersprüche zwischen den verschiedenen Theorien der alternativen Islamforscher gebe, vielmehr würden diese ein schlüssigeres Gesamtbild von der Frühgeschichte des Islam zeichnen als die traditionelle – man könnte auch sagen konformistische – Islamforschung mit ihrer Blindheit gegenüber offenkundigen Erfindungen und Verfälschungen.

Markus Groß, Karl-Heinz Ohlig (Hrsg.): Die Entstehung einer Weltreligion II. Von der koranischen Bewegung zum Frühislam, Verlag Hans Schiler, Tübingen 2012, gebunden, 814 Seiten, Abbildungen, 68 Euro

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