© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Warten auf Karlsruhe
Euro-Krise: Am Mittwoch verkündet das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung über die Klagen gegen den permanenten Rettungsschirm ESM
Paul Rosen

Nur Finanzminister Wolfgang Schäuble wagt sich bisher aus der Deckung: Er sei sicher, daß das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung am 12. September den Weg zum Euro-Rettungsfonds ESM und zum Fiskalpakt frei machen werde, sagte der CDU-Politiker. In der Tat spricht wenig dafür, daß Karlsruhe den ESM als völlig grundgesetzwidrig einstufen wird.

Getreu den Erfahrungen von Thilo Sarrazin, der in seinem Buch „Deutschland braucht den Euro nicht“ davor gewarnt hatte, sich auf Karlsruhe zu verlassen, ist bestenfalls mit einem Urteil wie in den siebziger Jahren zum Grundlagenvertrag mit der DDR zu rechnen. Man läßt den Vertrag passieren, schränkt ihn aber weitgehend mit Bedingungen und Anmerkungen ein. In der Rechtsprechung zur Ost- und Deutschlandpolitik ließen die Karlsruher Richter das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 auf dem Papier weiterexistieren, ehe es sich zwei Jahrzehnte später durch Zeitablauf erledigt hatte. Eine ähnliche Konsequenz wird das ESM-Urteil haben, wenn es nicht doch noch zum Verbot kommen sollte: Fällt die Tür nicht völlig ins Schloß, geht die Währungs- und Souveränitätsdemontage weiter – vielleicht nur im Tempo abgebremst.

Unsicher wie sie sind, gackern Berliner Politiker zu allen möglichen Themen um die Wette, als wollten sie von zentralen Dingen ablenken. Die SPD findet ihre Kanzlerkandidatenfrage wieder, die Grünen haben auch zu viele Spitzenkandidaten und wollen die Basis entscheiden lassen. Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) entdeckt die Altersarmut, die sie mit einer Zuschußrente bekämpfen möchte. Auf die Jagd der SPD-geführten Landesregierung Nordrhein-Westfalen auf deutsche Steuersünder in der Schweiz kontert Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) mit dem Vorhaben, den Ankauf gestohlener Bankdaten unter Strafe stellen zu lassen. Schon lobt der Focus die Altliberale als „Geheimwaffe aus Bayern“.

Die wirklich wichtigen Nachrichten werden nur gestreift und schnell an die Seite geschoben. Da wird vermeldet, daß Bundesbankpräsident Jens Weidmann mit Rücktrittsgedanken gespielt habe, weil er die offenbar geplanten Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht mehr mittragen will. Weidmann fürchtet ein Aufblähen der Geldmenge durch die Ankäufe, die dem früheren Gelddrucken entsprechen und Preissteigerungen auslösen. Es wäre nach dem EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark und Weidmanns Vorgänger Axel Weber der dritte schwerwiegende Rücktritt; wenn man Bundespräsident Horst Köhler einbezieht, der vierte. Köhlers wahre Motive liegen noch im dunkeln, aber es gibt noch immer hartnäckige Spekulationen in Richtung Euro.

Kanzlerin Angela Merkel sicherte zu, daß sie alles tun will, damit Weidmann „möglichst viel Einfluß in der EZB hat“. Das ist nichts anderes als eine Verballhornung. Weidmann hat in der EZB nicht mehr zu sagen als sein Kollege aus Malta. Fragen nach mehr Einfluß für Deutschland in der EZB will in Berlin keiner hören. Das sei „nicht zielführend“, beschied FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle einen Fragesteller, der wissen wollte, warum die größte Volkswirtschaft Europas in Geldfragen fast nichts mitzubestimmen hat. Auf den anderen deutschen Vertreter im EZB-Rat, den früheren SPD-Staatssekretär Jörg Asmussen ist kein Verlaß: Der hing das Fähnlein bisher noch in jeden Wind, der seine Parteikarriere antrieb. Ziel des Mannes, der jahrelang ausgerechnet vom CDU-Mann Schäuble protegiert wurde, ist der Sessel des Finanzministers.

Die Entscheidungsschlacht um stabiles Geld oder eine weiche „Lira-Union“ nach Vorstellungen des EZB-Präsidenten Draghi wird nicht in Karlsruhe geschlagen. Bei den sich auftürmenden Schulden reichen die Milliarden des ESM eh nicht lange. Außerdem wird die Koalitionsmehrheit im Bundestag immer fraglicher. Ein drittes Griechenland-Paket gilt als nicht mehr durchsetzbar. Daher soll die EZB in Stellung gebracht werden und als „Bazooka“ die Finanzmärkte mit der Drohung, um jeden Preis Anleihen aufzukaufen und damit die Zinsen zu drücken, in Schach halten. Aus Bayern kam eine mahnende Stimme der FDP: „Die Bazooka geht nach hinten los“, warnte Landwirtschaftsminister Martin Zeil.

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