© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Lange Lunten am Pulverfaß
Libanon: Der Zedernstaat erwartet den Papst in gespannter Atmosphäre / Hauptproblem sind die Flüchtlinge
Jürgen Liminski

Abends und an Wochenenden ist die Verkehrsachse zwischen Beirut und Dschunijeh, der größten christlichen Stadt im Libanon, verstopft. Lange Blechkarawanen bewegen sich stockend am Meer entlang in die Metropolen. Erst nördlich von Dschunijeh, Richtung Byblos oder südlich von Beirut, Richtung Tyros und Sidon, lösen sich die Autoschlangen auf.

In den schon aus dem Altertum bekannten Städten findet man auch Touristen. Besonders in Byblos herrscht rund um die alten Kreuzfahrerfestungen und am Hafen reges Treiben. Die Restaurants sind gut besucht, die libanesische Mittelklasse lebt auf großem Fuß.

Aber der Fuß ist tönern, hinter der Fassade glänzt wirtschaftlich nicht mehr viel. Luxuswagen stehen dicht an alten Dieseldroschken. Bei vielen Neubauten fehlen Fenster. In Beirut selbst dehnt sich plötzlich zwischen zwei Wohnarealen mit schmucken Hochhäusern ein Slumviertel aus graudunklen Blechhütten, davor eine neue Würstchenbude mit der Aufschrift: „Frankfurt Würst“.

Das mag noch eine Investition aus besseren Tagen sein. Aber die weltwirtschaftliche Flaute hat auch den Libanon erfaßt. Die Investitionen sinken seit einem guten Jahr um ein Fünftel, die Schulden steigen und liegen mit rund 60 Milliarden US-Dollar bei 130 Prozent des BIP. Mehr als ein Viertel lebt unterhalb der Armutsgrenze, der Handel mit Syrien ist deutlich eingebrochen.

Dafür kommen immer mehr Flüchtlinge aus dem Nachbarland. Nirgendwo werden sie erfaßt. Soviel weiß man: Sie gehen in die Zehntausende. Viele finden Unterschlupf bei Verwandten und Freunden. Die Regierung hält sich zurück und vermeidet offizielle Stellungnahmen für oder gegen Assad. Das könnte das labile Gleichgewicht aus dem Lot bringen.

Die Presse ist dafür um so meinungsfreudiger und mokiert sich über die Untätigkeit und Machtlosigkeit der Regierung angesichts von Attentatsplänen und Entführungen. Es gehört zum politischen Gemeinwissen, daß Syrien seine Krise internationalisieren und zuerst den Libanon in den Sog ziehen will. Klar sind in diesem Sinn die Stellungnahmen aus den diversen politischen Lagern.

Die beiden größten christlichen Parteien, Kataeb und Forces Libanaises, verlangen die Aufkündigung des Kooperationsvertrages mit Damaskus. Zu erdrückend seien die Beweise im Fall des ehemaligen Ministers Samaha, der nachweislich auf Geheiß aus Damaskus ein Attentat auf den Patriarchen der Maroniten in die Wege leitete, dabei gestellt wurde und gestand.

Die Aufregung ist verständlich, gerade vor dem Papst-Besuch Mitte September. Aber daraus eine Kriegsstimmung im ganzen Land abzuleiten, wie Korrespondenten das tun, erinnert an die Zeiten des libanesischen Bürgerkriegs, als die meisten Kollegen im feinen Hotel Holiday Inn im Westen von Beirut saßen und berichteten, was ihnen die Palästinenser und Syrer, die diesen Stadtteil beherrschten, in den Block diktierten.

Geschossen wird in erster Linie nur im Norden an der Grenze zu Syrien. Beirut selbst ist wie immer nervig-laut und fröhlich, statt Horden von Bewaffneten füllen Autos zum Teil mit Hochzeitspaaren die Straßen, hier und da winken Soldaten der Armee gelangweilt die Wagenkorsos an Kontrollposten vorbei. Spannung kommt nur auf, wenn die Hisbollah ihre Muskeln spielen läßt und die Straße zum Flughafen blockiert – als Machtdemonstration.

 Von Kriegsspannung kann aber nicht die Rede sein. Auch die Funktionäre der Hisbollah wollen fliegen. Die Lunte am Pulverfaß Libanon ist lang genug, so daß man sie immer wieder austreten kann, wenn sie mal glimmt.

Aber kaum einer der Hauptakteure bei Schiiten, Sunniten und Christen hat ein Interesse daran, das politisch Gleichgewicht durcheinanderzubringen. Alle warten ab, wie es in Syrien weitergeht.

Doch der Flüchtlingsstrom findet kein Ende. Der griechisch-katholische Erzbischof Issam Darwish berichtet nüchtern: „Es sind jetzt 500 Familien, etwa 3.000 Personen. Täglich werden es mehr. Sie kommen zu Dutzenden. Von ihren Reserven mieten sie eine kleine Wohnung, oder sie suchen Zuflucht bei Verwandten und Freunden. Viel Hilfe gibt es für die Flüchtlinge in der Türkei, aber hier? Es wird keine Zelte und Camps geben, die Erfahrungen mit den Palästinensern wirken nach. Das päpstliche Hilfswerk Kirche in Not ist das erste, das Hilfe angeboten hat. Sonst sind wir allein mit der Not.“

Hilfe wird das Land brauchen. Man schätzt die Zahl der unsichtbaren Flüchtlinge in der Bekaa-Ebene, in Beirut und im christlichen Siedlungsgebiet auf insgesamt 30.000. Am meisten aber leiden die irakischen Christen, die nach wie vor aus dem Zweistromland vertrieben werden und im Libanon Zuflucht finden. Ihnen hat die Uno jetzt wegen der Flüchtlinge aus Syrien schlicht die Hilfe halbiert. Aber sie haben keine Verwandten oder Freunde. Sie  sind auf fremde Hilfe angewiesen. „Die Flüchtlingsproblematik ist heute die größte Herausforderung für das Land“, sagt der Apostolische Nuntius, Gabriele Caccia. Aber davon berichten die Medien selten. Zur Papstfrage ist Caccias Statement klar: „Selbstverständlich findet der Besuch statt.“ Gleiches sagt auch Boutros Kardinal Rai, Patriarch der Maroniten, der größten Glaubensgemeinschaft der Christen im Libanon. „Wir erwarten ihn mit großer Freude.“

In der Tat begrüßen die 67 Bischöfe der elf christlichen Konfessionen den Besuch, und auch die muslimischen Gemeinschaften der Schiiten und der Sunniten erwarten, wie der Nuntius weiß, „den Papst als geistlichen Führer mit weltweiter Ausstrahlung und Zuhörerschaft“. In dieser Tatsache drücke sich die Besonderheit des Libanon im Gegensatz zu allen anderen Ländern des Nahen Ostens aus: „Der Libanon ist weder ein theokratisches noch ein laizistisches Land; es ist eine aus Minderheiten bestehende Zivilgesellschaft, in der die Gewissensfreiheit über den konfessionellen Grenzen steht. Deshalb haben wir es hier mit einem Konsenssystem eigener Art zu tun.“

So ist der Staatspräsident ein Maronit, der Premier ein Sunnit, der Parlamentspräsident ein Schiit. Würde eine Bevölkerungsgruppe zur Mehrheit, käme das historisch austarierte Gleichgewicht ins Wanken. Das dürfte auch einer der Gründe sein, weshalb es seit mehr als einem halben Jahrhundert keine Volkszählung mehr gab. Da die Wähler sich aber einschreiben müssen, läßt sich aus den Wahllisten ein Anhaltspunkt für die Größe gewinnen. Demnach stellen die Christen etwa 35, die Sunniten 26 und die Schiiten um die 35 Prozent der Gesamtbevölkerung. Hinzu kommen die Drusen mit etwa fünf Prozent.

Foto: Syrische Flüchtlinge im Libanon: In Bekaa-Ebene treffen täglich Flüchtlinge ein – überwiegend Christen

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