© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Zu Besuch beim Reverend
Zum Tode von Sun Myung Mun: Der koreanische Unternehmer und Religionsstifter war eine schillernde Persönlichkeit / Erinnerung an eine Begegnung im Jahr 2007
Ronald Gläser

Die Welt in die Sun Myung Mun 1920 hineingeboren wurde, war dominiert von Japan. Das Kaiserreich des Tenno war Kolonialmacht in Korea. Die Unabhängigskeitsbewegung wurde verfolgt. Stark geprägt wurde Mun durch seinen Großonkel Yun Guk, einen protestantischen Priester, der sein Leben dem Kampf gegen die Besatzer gewidmet hat. Guk wurde gefoltert. „Wenn wir nur stärker wären als Japan, dann wäre das nicht geschehen“, war einer der ersten politischen Gedanken Muns.

Die Befreiung seiner Heimat vom Joch der Fremdherrschaft kam 1945. Doch sie brachte den Massenmord der Kommunisten an Christen und Unabhängigkeitskämpfern in Nordkorea mit sich.  Für Moon, der von den japanischen Machthabern eben noch der Zugehörigkeit zu einer kommunistischen Partei bezeichtigt worden war, wurde jetzt der Kommunismus zur neuen Gefahr.

Diese zwei Erlebnisse seiner Jugendzeit prägten das Leben Muns, der am Montag in der Nähe von Seoul verstorben ist. In der öffentlichen Wahrnehmung rund um sein Ableben dominierte die Erinnerung an Mun als Sektenführer, der  bizarre Massenhochzeiten durchführt. Seine Anhänger sind damit und auch mit der Bezeichnung als Sekte sehr unzufrieden. „Das wird seiner Persönlichkeit nicht gerecht“, sagte ein Mitarbeiter der Universal Peace Federation (UPF) gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Die UPF war der weltliche Arm von Muns Aktivitäten.

Tatsache ist, daß die von Mun gegründete spirituelle Organisation, die „Heilig-Geist-Gesellschaft zur Vereinigung des Weltchristentums“ (kurz: Vereinigungskirche), schon lange keinen Stoff mehr für spektakuläre Guru-Geschichten geboten hat. Die letzte Aussteigerstory im Spiegel erschien 1980.

Mun hat sein Milliardenvermögen als Unternehmer verdient. Zu seinem Konzern gehören Firmen aus dem Maschinen- und Werkzeugbau. Er spielte im weltweiten Ginsenghandel eine bedeutende Rolle und besaß vor allem in Amerika, aber auch in Deutschland Unternehmensbeteiligungen. Er war zudem Verleger der von ihm gegründeten antikommunistischen Washington Times.

In den letzten Jahren wurde der Patriarch allerdings zusehends schrulliger. 2007 lud er zu einer jener pompösen Konferenzen nach Seoul. Höhepunkt der „International Leadership Conference“, an der über 300 Gäste teilnahmen, war ein Besuch im Palast der Muns. Eine Audienz bei Mun verlief in der Regel nach diesem Muster: Eine Reisegruppe, die der Einladung einer seiner Organisationen gefolgt war, fuhr von Seoul zu seinem außerhalb gelegenen Palast. Unter den Gästen waren frühere Politiker, Wissenschaftler oder Journalisten. Aber auch ganz normale Bürger.

In mehreren Bussen wird die Reisegruppe auf das Mun-Anwesen verfrachtet. Schon von weitem ist der Sitz des „Religionsstifters“ zu erkennen: ein  gewaltiger Palast aus Granit und Marmor, der auf dem Hang eines der unzähligen Berge gebaut ist. Das Gebäude ist eine Mischung aus dem Weißen Haus in Washington und dem Petersdom in Rom.

Aus Sicherheitsgründen und weil Fotografieren im Inneren streng verboten ist, werden alle Teilnehmer vor dem Betreten des Saals wie am Flughafen kontrolliert. Im Haus wird erst ein Abendessen aufgefahren, dann erscheinen Sun Myung Mun und Gattin, die stets als „Vater und Mutter Mun“ angeredet werden.

Dem „erhabenen Paar“ wiederum werden seine Gäste als gewichtige Repräsentanten ihrer Länder vorgestellt: Vertreter vonWirtschaft und Medien, Spitzensportler sowie Angehörige des diplomatischen Korps. Mun scheint davon auszugehen, hier ein ausgesuchtes Publikum vor sich zu haben, dabei sind viele einfach gekommen, weil sein Konzern sie eingeladen und alle Kosten übernommen hat.

Muns Öffentlichkeitsarbeit, vor allem seine internationalen Kongresse, haben immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Viele bürgerliche Publizisten und Politiker sind im Laufe der Jahre als Teilnehmer oder Redner auf den Veranstaltungen bei Mun-Gruppierungen aufgetreten, zum Beispiel Carl Friedrich von Weizsäcker, Günter Kießling, Otto von Habsburg, Hans Mathias Kepplinger und Elisabeth Noelle-Neumann. Auch Franz Schönhuber soll unter dem Einfluß der Mun-Sekte gestanden haben, hieß es seinerzeit bei den Republikanern. Der Grund: Seine persönliche Referentin Ursula Saniewski war ein aktives Mitglied der Vereinigungskirche. Zuletzt war Achim Rohde ein gern gesehener Gast bei den „Munies“. Der Ex-FDP-Fraktionschef im Landtag von NRW hat nicht nur das Vorwort von Muns Autobiographie („Mein Leben für den Weltfrieden“) verfaßt, sondern war auch bei dem hier geschilderten Treffen anwesend.

Reverend Mun beginnt um 13.08 Uhr damit, sein 14seitiges Redemanuskript abzuarbeiten, das er in weniger als einer Stunde durchhätte, wenn er sich daran hielte. Doch der Religionsstifter denkt nicht daran. In seinem Vortrag wirft er „einen schicksalhaften Blick auf das Pazifische Zeitalter im Lichte vom Willen Gottes“. Er begrüßt seine Gäste: „Im Namen von siebzig Millionen Koreanern heiße ich Sie herzlich willkommen.“

Die nächsten vier Stunden werden anstrengend. Mun spricht und spricht und spricht. Er redet über den Koreakrieg („nicht nur ein Krieg, der ein einziges Land betraf“), über Amerika („dies Land hißte die Flagge von Religionsfreiheit und Menschenrechten im Kampf gegen den Kommunismus“) und über seine Vorstellungen vom Pazifikraum. Mun verfolgt seit Jahren den abenteuerlichen Plan, Asien und Amerika durch einen Tunnel unter der Beringstraße miteinander zu verbinden.

Seine Beziehung zu den USA war zwiespältig. Einerseits waren sie für ihn der Hort der Freiheit. Andererseits hatte ihn die US-Justiz 1984 zu mehreren Monaten Haft verurteilt. Wegen Steuerhinterziehung. In Deutschland war er ab 1995 mit Einreiseverbot belegt – wegen der Gefahr, die von seiner Lehre ausginge. Das Verbot wurde 2006 vom Bundesverfassungsgericht gekippt. In Japan galt ein lebenslanges Einreiseverbot.

Immer wieder weicht er vom Manuskript ab, springt von Thema zu Thema. Schon schlafen die ersten Konferenzteilnehmer ein. Neu ist, daß Mun feministische Thesen in sein Repertoire aufgenommen hat. So fordert er: „Es ist an der Zeit, daß Frauen die Führung übernehmen. Männer haben Frauen lange genug mißbraucht. Jetzt ist ihre Zeit gekommen.“ Frau Mun läßt sich das nicht zweimal sagen und verläßt mit ausdruckslosem Gesichtsausdruck den Saal. Auch Sohn Preston ist anzusehen, daß ihn der Auftritt seines Vaters nicht gerade elektrisiert. „Einige Leute glauben, ich sollte Präsident von Korea werden“, sagt Mun. Er erwähnt eine Meinungsumfrage, in der siebzig Prozent dies erklärt hätten und stellt UPF-Chef Chung Hwan Kwak dann die eher rhetorische Frage: „Stimmt doch, oder?“ Kwak nickt.

Tatsächlich wurde Mun eine politische Rolle zugetraut, galt er doch lange als der bekannteste Südkoreaner überhaupt. Mun suchte den Kontakt zu den Mächtigen wie Richard Nixon, Michail Gorbatschow und – besonders spektakulär  – 1991 auch mit Kim Il Sung, dem Diktator von Nordkorea. Damals besuchte er auch sein Heimatdorf, traf dort auf zwei Schwestern, von denen er 48 Jahre getrennt gewesen war. „Das alles bereitete mir viel Kummer“, schreibt er in seiner Autobiographie. Auch sein Einfluß hat nicht dazu beitragen können, den Konflikt zwischen Nord- und Südkorea spürbar zu entschärfen.

Mun pflegt einen sehr eigenen Humor. „Wie lange soll ich reden?“ fragt er. „Ich habe schon Rekorde aufgestellt. Ich kann fünf, zehn oder fünfzehn Stunden reden. Mein Rekord liegt bei achtzehn Stunden.“ Als er merkt, daß immer mehr Zuhörer längst eingeschlafen sind, ruft er den hinteren Reihen zu: „Was seht ihr so müde aus? Ich befördere euch doch in den Himmel.“

Mun hielt sich für den neuen Messias. 1935 habe er eine Erscheinung gehabt, bei der Jesus Christus ihn aufgefordert habe, sein Werk fortzusetzen. Diese Begegnung ist der Gründungsmythos seiner neunzehn Jahre später ins Leben gerufenen Vereinigungskirche.

Es gibt Gemurmel, aber niemand widerspricht. Nur die Zahl derjenigen, die auf die Toilette verschwinden, steigt von Minute zu Minute. Viele bleiben lange Zeit weg. Sie können das Gelände jedoch nicht unbemerkt verlassen wegen des Sicherheitspersonals. Und wegen der Busse, die sie später zurückbringen. Einige stehen außerhalb des geschmückten Ballsaales unter der riesigen Kuppel und betrachten die Malerei an der Decke. Sie zeigt nicht Jesus oder die Engel von Michelangelo. Sondern „Vater und Mutter Mun“ bei ihrer Ankunft im Himmel. Einige der Gäste schmunzeln über den Personenkult.

Die Vereinigungskirche soll drei Millionen Mitglieder haben. Aber genau weiß das niemand. Der Schwerpunkt liegt in Asien und in Amerika. In Deutschland dürften es nur wenige tausend sein. Es finden regelmäßige, meistens gleich länderübergreifende Treffen in Europa statt. Außerdem werden Angehörige anderer Religionen wie Juden, Christen und Moslems dazugebeten.

Im Saal redet Mun noch immer, wiederholt manche Absätze aus seiner Rede zwei- und dreimal. „Ich sollte mehr als fünf Stunden reden, weil hier so viele wichtige Leute sind“, sagt er. Um 17.10 Uhr beendet er seinen Vortrag. Es gibt müden Applaus. Alle Delegierten müssen die Arme in die Höhe werfen. Eine asiatische Verabschiedungsgeste. Die vorderen Reihen machen das mit, die hinteren drängen dagegen erleichtert zum Ausgang.

Ein Österreicher, der ganz vorne saß, bestätigt später: Mun war aufgeregt wegen der Deutschen. „Normalerweise kommt er runter und spricht mit den Leuten. Aber das hat er sich vor den Deutschen nicht getraut. Sie sind immer so perfekt.“ Um so mehr hat ihn deswegen geärgert, daß er mit einer Handbewegung ein Wasserglas umgeworfen hat.

 

Familienbetrieb

Sun Myung Mun (auch San Myung Moon) wurde 1920 in Nordkorea geboren. 1954 gründete er seine Vereinigungskirche. 1963 begann er mit dem Aufbau seines Unternehmens. Mun war in zweiter Ehe mit  Hak Ja Han verheiratet und hatte insgesamt 16 Kinder, von denen bereits fünf verstorben sind. 2008 übergab Sun Mun die Leitung der Kirche seinem Sohn Hyun Jin Mun, genannt Preston. Der 43jährige tritt vermutlich auch das restliche Erbe an. Er spricht fließend Englisch, ist rhetorisch sehr begabt und wirkt wie ein evangelikaler Fernsehprediger. 

Universal Peace Federation www.upf.org

Vereinigungskirche www.tongilgyo.de

Foto: Massenhochzeit: Reverend Mun und seine Frau bei einer gemeinsamen Trauung von 4.000 Anhängern der Vereinigungskirche in New York (2002)

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen