© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/12 14. September 2012

Melden macht frei
Baden-Württemberg: Über ein Internetportal der Polizei können Bürger tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten denunzieren
Felix Krautkrämer

Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall ist stolz. Sein Bundesland leiste bei der Bekämpfung rechtsextremer Kriminalität Pionierarbeit, ließ der SPD-Politiker in der vergangenen Woche die Presse wissen. Dieser Kampf sei ein wichtiger Teil des grün-roten Koalitionsvertrags, der auch in Zukunft intensiv fortgesetzt werde.

Anlaß für das Eigenlob ist ein neues, anonymes Meldesystem gegen Rechtsextremismus. Per Internet können Bürger damit seit Anfang des Monats ohne Angabe ihrer persönlichen Daten Hinweise über die rechtsextreme Szene an die Polizei liefern und Straftaten melden. Die IP-Adressen werden dabei laut Innenministerium nicht gespeichert. Gall begründete die Initiative damit, daß Hinweise auf potentielle rechtsmotivierte Gewalttäter häufig „aus Angst vor Repressalien oder innerfamiliären Gründen“ nicht weitergegeben würden. Von dem neuen System erhoffe er sich hier eine Veränderung. Denunziantentum, betonte der Innenminister, solle damit freilich nicht gefördert werden.

Betrieben wird das Portal vom Landeskriminalamt (LKA). Die anonymen Postfächer, über die die Meldungen erfolgen, bieten der Polizei auch die Möglichkeit, für Rückfragen mit dem Hinweisgeber in Kontakt zu treten. Dessen Anonymität soll dabei gewahrt bleiben.

Das LKA interessiert sich allerdings nicht nur für schwere Straftaten. Auf der Internetseite weist die Behörde darauf hin, daß auch Vorfälle von Bedeutung seien, „bei denen Menschen aufgrund ihrer Rasse oder Herkunft diskriminiert beziehungsweise ausgegrenzt werden“. Nur mit Hilfe der Bürger könnten rechtsextremistische Aktivitäten frühzeitig erkannt, Täter sowie Organisationen ermittelt und so die Entstehung weiterer Schäden verhindert werden.

„Vorrangig interessieren wir uns für Straftaten“, erläutert ein Sprecher das System auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT. „Aber natürlich sind auch andere Hinweise polizeirelevant, zum Beispiel, wenn jemand auf ein Skin-Konzert geht.“ Mit den Hinweisen aus dem Internet werde so verfahren, wie es bei anonymen Meldungen üblich sei, sagte der Sprecher. „Wir geben die Sache an die zuständige Polizeidienststelle weiter und dort wird dann geprüft, ob etwas an den Vorwürfen dran ist.“ Die Gefahr, daß das Meldeportal dazu mißbraucht werden könnte, Personen ungerechtfertigt anzuschwärzen, sieht man beim LKA dagegen nicht. Dies sei auch früher schon möglich gewesen, per Post oder Telefon.

Der Leiter des Unabhängigen Landesinstituts für Datenschutz in Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, sieht den Einsatz von anonymen Hinweisportalen dagegen kritisch. „Ich halte nichts von solchen Angeboten“, sagte Weichert der JF. Es habe vor einigen Jahren in Niedersachsen einen ähnlichen Versuch gegeben, mit einer anonymen Telefonhotline. Diese sei jedoch abgeschafft worden, da der Anteil der Falschverdächtigungen zu hoch war. „Ich habe Zweifel, daß das in diesem Fall anders ist“, zeigte sich der Datenschutzexperte skeptisch. Vielmehr geht er davon aus, daß bis zu 95 Prozent der Hinweise unbrauchbar oder falsch seien und so letztlich zu nichts führten. Das Ganze sei daher eher „eine Beschäftigungstherapie für die Polizei“.

Positiver äußerte sich Weichert dagegen zum zweiten Hinweisportal, das Anfang September in Baden-Württemberg gestartet wurde. Mit ihm sollen Wirtschaftskriminalität und Korruption bekämpft werden. Hier könne der Einsatz eines solchen Meldesystems durchaus sinnvoll sein. Durch den Schutz der Anonymität fiele es Mitarbeitern möglicherweise leichter, die Behörden auf illegale Vorgänge wie Bestechung oder Bilanzfälschung in ihrem Unternehmen aufmerksam zu machen.

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