© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/12 14. September 2012

Grüße aus Jerusalem
Störende Gesichter
Philipp Gracht

Man nennt das wohl eine salomonische Lösung: Um die wachsende ultra-orthodoxe Bevölkerung Jerusalems nicht weiter gegen sich aufzubringen, gleichzeitig dem säkularen Teil der Heiligen Stadt keine weitere Angriffsfläche zu bieten, hat die staatliche Busgesellschaft „Egged“ kürzlich für Jerusalem jede Buswerbung mit menschlichem Antlitz untersagt, gleich ob männlich oder weiblich.

Jerusalems Busse sind seit Jahren Schauplatz eines Kulturkampfes zwischen den Haredim und der säkularen oder gemäßigt religiösen Bevölkerung. Immer wieder wollten Ultra-Orthodoxe Geschlechtertrennung in den Bussen eingeführt sehen.

Die liberale Bürgerrechtsbewegung „Jerusalemites Movement“ versuchte daraufhin im November 2011, eine Gegenkampagne an den Bussen durchzuführen: „Frauen von Jerusalem, schön, euch zu treffen.“ Abgebildet waren Frauen verschiedenen Alters, für die Begriffe der Auftraggeber züchtig gekleidet. Die für die Buswerbung zuständige Firma „Canaan Media“ fürchtete dennoch die ultra-orthodoxe Reaktion und bat, den Abgebildeten die Ärmel über die Ellenbogen zu ziehen. Die Bürgerrechtler lehnten ab und reichten Klage ein, um die Werbung zu erzwingen.

Weil Ultra-Orthodoxe aber immer wieder Busse, die aus ihrer Sicht mit unsittlicher Reklame versehen waren, mit Farbe beschmiert und mit Steinen beworfen hatten, beschloß „Canaan“, Werbung mit abgebildeten Frauen grundsätzlich abzulehnen. Als daraufhin aber das Transportministerium drohte, es werde die Zusammenarbeit einstellen, sollte eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts stattfinden, empfahlen findige Firmenjuristen, dann künftig eben ganz auf Werbung mit menschlichen Gesichtern zu verzichten. Für die Ultra-Orthodoxen war das ein Sieg auf Umwegen.

Die andere, die säkulare Seite läßt derweil nicht locker und eröffnet ein neues Schlachtfeld. Meretz, Israels Linksaußen-Partei, fordert, den öffentlichen Nahverkehr am Sabbat nicht einzustellen. Das sei religiöser Zwang. Tatsächlich setzen in Israel Bus und Tram am Freitagnachmittag aus und fahren erst nach Ende des Sabbats am Samstagabend wieder. Das Transportministerium hat entsprechende Eingaben von Meretz abgelehnt. Die Partei rief daraufhin die Gerichte an, die Entscheidung aufzuheben. Die brüten jetzt über der Frage: „Fahren oder nicht fahren?“ Wie da wohl ein König Salomo entscheiden würde?

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