© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/12 14. September 2012

Gefangener der Gotteskrieger
Syrien: JF-Krisenreporter Billy Six geriet in die Fänge martialisch auftretender Krieger Allahs / „Nur fromme Muslime sind echte Menschen“
Billy Six

Seit knapp vier Wochen hält sich der JF-Krisenreporter Billy Six in Syrien auf. Wurde er zu Beginn noch an dem türkisch-syrischen Grenzübergang Yayladağı/Kasab trotz gültiger Papiere und Visum am Grenzübertritt gehindert (JF 34/12), gelang ihm wenige Tage später nahe der Stadt Reyhanli der Grenzübertritt durch ein Loch im Grenzzaun. Bereits im Vorfeld hatte Six nahe eines Flüchtlingslagers in der Türkei Aktivisten der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) kennengelernt, die er seitdem bei seinen Streifzügen im Umkreis der nordsyrischen Stadt Maarat al-Numan und des fünf Kilometer entfernten Ortes Talmenes begleitet (Syrisches Kriegstagebuch; www.jungefreiheit.de). Doch die Begleitung der Rebellen gegen die Assad-Regierung bietet keine Gewähr vor Überraschungen. Für 24 Stunden war Six nun Gefangener einer Gruppierung, die sich offen zur Terrororganisation al-Qaida bekennt. Seine Eindrücke unmittelbar nach der Freilassung:

 

Wenn wir zu dem Schluß kommen, daß du ein Spion bist, werde ich dich töten.“ In lupenreinem Englisch macht der schwarzbärtige Sitznachbar seine Absicht deutlich. Eine Flucht ist nicht mehr möglich. Vier Krieger Allahs haben mich in ihrer Gewalt – in einem Privatwagen, inmitten der fast menschenleeren Prärie Nordsyriens, wo sogleich eine Leibesvisitation durchgeführt wird.

Wie konnte es so weit kommen? Auf der Suche nach einem Netzanschluß in Maarat an-Numan hatte mich ein Bekannter, der selbst 18 Jahre lang in Deutschland gelebt hatte, zum Haus seines Schwagers gebracht. „Der weiß Bescheid“, sagte er noch und verschwand.

Doch eines hätte er eigentlich sofort sagen sollen: Der Gastgeber hat über drei Jahre im Gefängnis gesessen – und dabei eine mentale Veränderung erfahren. Als frommer Muslim wäre er gerne in die Moschee gegangen – und habe damit allein den Zorn der Herrschenden auf sich gezogen. Solche fast banalen Geschichten hört man oft aus den Mündern der hiesigen Gegner von Staatschef Assad.

Zwei Stunden später: Eine Gruppe junger Männer betritt den Raum – Freunde des Hausherrn. Das Funkeln in ihren Augen und die verkrampften Gesichtszüge verraten: Ärger ist im Anmarsch. Mit welchem Recht ich mich in diesem „geheimen“ Kellerraum aufhielte, möchten sie wissen – ohne sich allerdings für die Antwort zu interessieren. Es geht nach draußen zum eingehenden Gespräch. „Wenn uns eine Bombe trifft, dann hat es Allah bereits lange vorher so festgeschrieben“, erklärt mein Gegenüber.

Ähnlich einem Verhör beim Mubarak-Geheimdienst in Ägypten werden nun Fragen gestellt, die den Befragten in Widersprüche verwickeln sollen. Doch diesmal geht es nicht um Politik – sondern um die Religion. Das Ziel: Die „Enttarnung“ eines vermeintlichen Spions und Verräters.

„Wie kommen die Christen dazu, die Bibel zu verfälschen? Glaubst du, daß es einen oder drei Götter gibt? Wieso behauptet man im Westen, daß Isa (Jesus aus islamischer Sicht) am Kreuz gestorben wäre, wo doch Allah im glorreichen Koran eindeutig sagt, daß ein anderer an seiner Stelle aufgehängt worden ist?“

Eindeutig Position beziehen die Frager auch zu ihren eigenen Landsleuten, die bekunden, Juden und Christen wären „Brüder“. „Wer so etwas sagt, mißachtet die eindeutigen Aussagen des Propheten Mohammed sallallahu aleihi wa sallam, der sie als Ungläubige brandmarkt. Und ein Kafir kann weder unser Bruder noch unser Freund sein.“ Nach zwei Stunden: Die Chance, endlich diese Gesellschaft zu verlassen. Und hoffentlich nie wiederzusehen. Doch weit gefehlt!

Am nächsten Tag treffen drei Raketen die Schlafstätte der „Heiligen Krieger“ – und man braucht nur eins und eins zusammenzuzählen, um zu wissen, wer dafür nun zur Verantwortung zu ziehen ist. Das Auto erscheint am nächsten Morgen – so gut funktioniert die Kommunikation zwischen den Menschen dann doch, egal, ob es bis eben noch der beste Freund war, der einen zu schützen versprach. „Mach dir keine Sorgen, wir wollen dich nur zu dem Vorgang befragen, und deinen Rechner kontrollieren“, heißt es dann.

Zum vereinbarten Ort geht die Fahrt dann allerdings nicht mehr. Auch die Fahrer sind plötzlich ganz andere. Männer in schwarzen Kaftanen und islamischer Kopfbedeckung. Im Wagen: Die pechschwarze Flagge der Bewegung al-Qaida. Daß Osama bin Laden ihr großes Vorbild ist, daraus machen diese Männer keinen Hehl.

Zwei Stunden dauert die unfreiwillige Fahrt. In der Ferne ziehen dichte Rauchkegel in den Himmel – die Armee geht gegen Rebellen vor. In einem staubigen Ziegendorf findet die erste Tee-„Gesprächsrunde“ statt. Hat der Deutsche Koordinationsdaten an den Feind verraten oder nicht? Das beschlagnahmte Gepäck wird eingehend inspiziert. Zwei Reisefotos verschärfen das Problem: Israelische Soldaten an der Klagemauer und halbnackte Himba-Frauen in Namibia. Die Männerrunde ist sich einig: Der Verdächtige gehört festgesetzt.

Das Hauptquartier, zwei Gassen weiter: Einen Tag und eine Nacht werde ich in einen verstaubten Raum mit vergitterten Fenstern eingeschlossen. Inventar: Gummipeitschen, Elektroschocker und ein ominöser Haken an der Decke. Zweimal geht es zum Verhör. Am uralten Rechner sitzt der bullige Oberaufseher. „Weißt du, was das ist?“ Voller Stolz zeigt er auf seinen Sprengstoffgürtel: „Was denkst du über jene, denen nur das Jenseits etwas wert ist?“

Ein Übersetzer macht die Situation erträglicher. Seine Schlitzaugen verraten – dieser Kämpfer kommt nicht aus Syrien, sondern wohl eher aus den Uigurengebieten Westchinas. Jahrelang hat er in Flandern gelebt und übersetzt auf flämisch für einen weiteren arabischen Befrager: „Weißt du, wie alt Maria war, als sie mit Jesus schwanger gewesen ist? 12 Jahre! Heute aber sind die Mädchen verweichlicht.“ Im übrigen habe „der Prophet Isa“ niemals Liebe als Botschaft gepredigt. Im Gegenteil: Er habe seine Gefolgsleute aufgefordert, die Unwilligen festzunehmen und zu schlachten. Nur fromme Muslime, „so wie Isa“, wären echte Menschen – schließlich hätten diese einen Sinn im Leben. Die westliche Demokratie hingegen stelle nicht Allah, sondern den Menschen in den Mittelpunkt. Mit all seinen Fehlern. „Bei euch kommen die Gesetze von den Menschen – und sind gleichzeitig für den Menschen.“ Dekadenz und Beliebigkeit! „Du glaubst, wir sind hart, weil es für euch normal ist, Schwule und Lesben um euch herum zu haben. Schlafen und fressen – arbeiten und Spaß haben. Das ist alles, was im Leben der Ungläubigen zählt. Da gibt es keinen Unterschied zu den Tieren.“

Aus gleichem Grunde wäre auch die Teilnahme an allgemeinen Wahlen für eine neue Regierung zu verurteilen. „Man ist nicht frei im Islam!“ Nur der Beste wäre berufen, das klare Gesetz Allahs, die Scharia, umzusetzen. Ohne Kompromisse! Verantwortung auf Zeit – keine Erb-Dynastien wie bei den Assads. Und auch nicht mit Diplomatie, wie es der „Verräter“ Mohamed Mursi derzeit in Ägypten betreibe.

Markige Worte. Dennoch schien die Lage nicht ausweglos. Nach anfänglichem Zweifeln war ich mir zu 70 Prozent sicher, lebend aus der „Befragung“ herauszukommen. Denn eines offenbarte sich schnell: Die Gotteskrieger stehen in einer ständigen Rechtfertigung vor Allah. Und Allah findet es nicht gut, einen Unschuldigen zu töten. Das einzige Risiko hätte irgendein dummes Mißverständnis sein können.

Glück gehabt. Nachdem sie alle meine Sachen aufs gründlichste durchforstet hatten – ohne das vermutete CIA-Material zu finden – öffnete sich am nächsten Tag die Tür. Man setzte mich in ein Auto und brachte mich nach Talmenes.

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