© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/12 14. September 2012

Konsens ist Nonsens
Die Tücke der Präsentation: Der marxistische slowenische Philosoph Slavoj Žižek provoziert gern
Felix Dirsch

Böse Zungen behaupten, bei keinem der zahlreichen Darstellungskünstler in unserer ästhetisierten Gegenwartskultur zeige sich so sehr die Abstammung des Menschen vom Tier wie bei Slavoj Žižek. Und in der Tat: Der hünenhafte, leicht unförmig gebaute, anläßlich öffentlicher Veranstaltungen oft wild gestikulierende und einem gebildeten deutschsprachigen Publikum durch einen harten osteuropäischen Akzent bekannte Slowene ist so etwas wie der buntschillernde Hund im philosophischen Betrieb des frühen 21. Jahrhunderts.

Jedoch ragt nicht nur sein Erscheinungsbild, sondern auch sein Œuvre hervor. Neben klassischen Themen der Philosophie (Hegel, Marx, Frankfurter Schule, Althusser und so weiter) und Psychoanalyse werden auch weite Bereiche von Kultur und Kulturkritik abgedeckt, darunter Oper, Literatur und Film. Stellt man ein Pult für einen von Žižeks vielen Vorträgen auf, so wissen die Einladenden nicht, ob der Redner daran stehenbleibt oder nicht doch lieber um dieses herumläuft. Bei YouTube sind Clips, die ihn zeigen, äußerst beliebt.

Der literarische Ausstoß des immens Produktiven ist beachtlich. Aufschlußreich ist ein kurzer Einblick in die viel rezipierte Studie „Die Tücke des Subjekts“ – eine wahrlich anspruchsvolle Lektüre, die neben dem magnum opus „Verweilen beim Negativen. Psychoanalyse und die Philosophie des deutschen Idealismus“ als sein Hauptwerk betrachtet werden kann. „Die Tücke“ beabsichtigt, den subversiven Kern des cartesianischen Cogito freizulegen – ein typisches Unterfangen für den Verfasser, der nicht einfach die längst banal klingende Phrase vom „Ende des Subjekts“ neu aufwärmt. Vornehmlich greift er auf Heidegger, auf die politische Philosophie der Gegenwart und auf feministisch-dekonstruktivistische Entwürfe zurück. Ziel ist es, radikales politisches Handeln zu fundieren und dem globalen Kapitalismus eine Alternative entgegenzustellen.

Zuletzt ist die Abhandlung „Die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert“ in deutscher Übersetzung erschienen. Es geht hauptsächlich um die zeitgemäße Reformulierung des Marxschen Denkens, das für die unmittelbare Gegenwart anschlußfähig gemacht werden soll. Der Grundakkord, den der Verfasser anschlägt, ist letztlich ein sehr alter: Wie finden wir den utopischen Kern einer besseren Gesellschaft?

Erfrischend ist, wie dezidiert er an einigen Stellen wider den Stachel der politischen Korrektheit löckt: Er deutet Heideggers (ohnehin nur kurzzeitiges) NS-Engagement als konsequent im Sinne des revolutionären Ansatzes des Autors von „Sein und Zeit“, wirft diesem aber vor, die falsche Richtung eingeschlagen zu haben. Daß man die Ordinarienuniversität auch „links herum“ bekämpfen könne, hätten schließlich die 1968er Jahre gezeigt. Dumm nur, daß Heidegger schon zu alt ist, als eine Studentenabordnung in dieser Zeit sein Freiburger Domizil aufsucht, um den alternd-legendären Professor um Rat zu fragen und er sich gern – auch mit Blick auf sein eigenes Agieren 1933/34! – solidarisch zeigt.

Rote Fäden und thematische Schwerpunkte gibt es etliche im Schrifttum des in Ex-Jugoslawien Aufgewachsenen, der unter kommunistischer Herrschaft in den siebziger und achtziger Jahren die Fundamente seines Werkes erarbeitet. Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan ist im Hintergrund ständig präsent. Ihm gelingt es vor allem, den Zusammenhang von Unbewußtem und Sprache herzustellen. Maßgebliche Grundlagen des Poststrukturalismus werden auf diese Weise geschaffen. Dank Lacans Vorarbeiten gelingt es Žižek immer wieder, Psychoanalyse, moderne Kultur und Philosophie kongenial zu verbinden.

Mit dem Christentum setzt sich Žižek intensiv auseinander, obwohl er sich kaum als fromm bezeichnen dürfte. Er plädiert dafür, das christliche Erbe zu verteidigen und widmet dieser Absicht sogar einen eigenen, etwas überdimensionierten Essay („Das fragile Absolute“). Plattes, in Theologenkreisen durchaus verbreitetes Geschwätz wie „JA zu Christus, NEIN zu Paulus“ lehnt er ab. Freilich geht es zu weit, wenn er die theologische Deutung Jesu durch Paulus in Analogie zu der Interpretation Marx’ durch Lenin setzt. Žižek will (unter anderem durch den Rekurs auf Paulus) die Evidenz einer universalen Wahrheit retten – allen postmodernen Anfeindungen zum Trotz. Wenig plausibel erscheint hingegen der Versuch, die alten marxistischen „Kirchenväter“, die mittlerweile ausgedient haben, durch Paulus zu ersetzen.

Žižek liebt die Provokation in Tat und Wort. Schmunzeln ruft sein Vergleich französischer und deutscher Toiletten hervor. Letztere zeichneten sich durch ein Loch vorne aus, durch das die „Kacke“ nur langsam verschwinde, um vorher noch untersucht werden zu können. Mittels solcher Sätze reiht sich das Enfant terrible in eine lange Tradition der Philosophiegeschichte ein. Seit Diogenes’, der gleichfalls Exkrementen in antibürgerlich-empörungserzeugender Intention philosophisches Leben einhaucht, wirkmächtigem Auftritt in der Tonne, seit Sokrates’ mit einer Was-Frage eingeleiteten, penetranten Happenings auf der Athener Agora dürfte sich kein Weisheitslehrer so sehr in Szene gesetzt haben wie das Urgestein aus Ljubljana. Martin Heidegger und sein um vierzig Jahre jüngerer Kritiker Jürgen Habermas machen (im Kontrast dazu) um Medien üblicherweise einen großen Bogen. Žižek ist, anders als Philosophen Meßkircher und Starnberger Provenienz, ein Denker auf der Weltbühne – eine Verkörperung der globalen „Humanities“ par excellence.

Das zeigte sich auch letztes Jahr. Als „Occupy“-Bewegte anläßlich der Besetzung des Zuccotti Parks in New York im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, ist der prominente, zur Zeit auch in London tätige Hochschullehrer selbstredend vor Ort und hält eine Ansprache. Aufsehen erregt er bereits vorher durch deutliche Stellungnahmen zum Nato-Angriff in Ex-Jugoslawien und zu den Anschlägen vom 11. September in New York.

Zu den zustimmungsfähigsten Passagen des vielfältigen Žižekschen Theoriegebäudes zählt seine Forderung an die politischen Denker, keine langweiligen Programme am Schreibtisch zu konzipieren, sondern ein Reflektieren in „Spaltungen“ zu bevorzugen. Dieses müsse sich an Gegensätzen orientieren und somit gegen die heute omnipräsente Entpolitisierung und Ökonomisierung gerichtet sein.

Für Žižek ist Konsens in der Tat Nonsens. Anders als die meisten Philosophen unserer Tage verspürt Žižek keine Notwendigkeit, sich vom schmittianischen Freund-Feind-Denken zu distanzieren, zieht ihn doch alles Radikal-Subversive magisch an. Es ist wohltuend, daß politisch-korrekte Eiertänze deshalb Fehlanzeige sind.

Foto: Slavoj Žižek: Er will radikales politisches Handeln fundieren und dem globalen Kapitalismus eine Alternative entgegenstellen

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