© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/12 14. September 2012

CD: Katatonia
Verträumter Düster-Rock
Sebastian Rast

Ächzend schlängelt sich ein S-Bahnzug durch die heruntergekommene Vorstadt. In Strömen läuft der Regen die verdreckten Fenster der Waggons entlang, durch die Schlieren verschwimmen die Lichter der Hochhäuser in der Ferne zu einem milchig-gelben Brei. In dem von künstlichem Licht unangenehm erhellten Abteil sitzen nur einige einsame Seelen auf dem Weg nach Gott-weiß-wohin. Die Luft ist stickig, sie schnürt den Großstadtnomaden die Kehlen zu. Die meisten von ihnen verstecken sich hinter Zeitungen oder spielen lustlos mit ihren Mobiltelefonen herum. Nur der junge Mann mit dem schweren Rucksack und den zerzausten Haaren wirft von Zeit zu Zeit dem Mädchen schräg gegenüber einen verstohlenen Blick zu. Sie bemerkt ihn nicht. Ihre schönen, müden Augen hat sie in irgendeinem trivialen Roman vergraben, während die weißen Kopfhörer, die unter ihrem langen Haar aufblitzen, ihr Übriges tun, sie gegen seine stille Einladung abzuschotten.

Zu Szenarien wie diesem liefern die Depressiv-Rocker von Katatonia seit beinahe fünfzehn Jahren den düster-melancholischen Soundtrack. 1998 begründete die zuvor eher in Black-Metal-Gefilden beheimatete Band mit „Discouraged Ones“ ihren unverwechselbaren Stil irgendwo zwischen Gothic, Rock und Metal. Das 2003er Album „Viva Emptiness“ markierte einen weiteren Schritt in der Entwicklung der Schweden: Die bis dahin bei aller Tristesse immer noch von treibendem Rock dominierten Strukturen wurden aufgebrochen, um dem apathischen Gesang des Frontmannes Jonas Renkse mehr Raum zu geben, zugleich hielten elektronische Elemente Einzug.

Jetzt ist mit „Dead End Kings“ ihr neues Album erschienen. Die elf Stücke (die limitierte Version enthält ein weiteres) kommen beinahe schwerelos daher, oft untermalen sanfte Streicher oder subtile Elektronik-Einschübe die zerbrechlichen Strophen, bevor der Refrain mit schweren Gitarrenriffs wie ein Befreiungsschlag den Zuhörer daran erinnert, daß hier ein Metal-Album läuft. Beim Vorgänger „Night is the New Day“ von einigen Fans bemängelt, steht diese musikalische Rezeptur Katatonia gut zu Gesicht.

Gerade in den ruhigen Passagen finden Stücke wie das resignierte „Ambitions“ ihre besten Momente und laden dazu ein, Inhalt und Ästhetik im Beiheft näher zu studieren. Leider sind Katatonia offenbar wie viele andere Bands auch dem Trend der computergenerierten Illustrationen aufgesessen, was die Bilder von Raben vor Strommasten und verfallenem Mauerwerk etwas lieblos zusammengeschustert aussehen läßt.

Durch die Texte zieht sich als Motiv eine pessimistische Sicht auf die postmoderne Gesellschaft. So kündet der Opener „The Parting“, auf verschiedene Weise interpretierbar, vom Schmerz der Heimatlosigkeit und einer rastlosen Existenz. Texte und Musik verbindet zwar ein erdrückendes Gefühl des Unwohlseins, zudem kommt das Album etwas gleichförmiger daher als seine Vorgänger, und nicht jedes Stück besitzt auf Anhieb den Wiedererkennungswert von Klassikern wie „Evidence“ oder „Leaders“. Dennoch ist „Dead End Kings“ ein ausgezeichnetes Album einer Band, die es bislang zu vermeiden wußte, sich zu wiederholen und die auch Anno 2012 großartige Musik macht.

Katatonia: Dead End Kings Peaceville Records, 2012 www.katatonia.com

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