© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Alle sind glücklich
Euro-Rettung: Nach der ESM-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herrscht über die Parteigrenzen hinweg Erleichterung
Paul Rosen

Es ist das Kunststück gelungen, alle Beteiligten in jedweder Weise glücklich zu machen“, wunderte sich Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in seiner bekannt ironischen Art über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum ESM und die Reaktionen im Berliner Reichstag darauf. In der Tat ließen einige Stellungnahmen zum Gerichtsbeschluß, der die deutsche Haftung auf zunächst 190 Milliarden Euro begrenzt, erstaunen: „ESM sind die Zähne gezogen. Haftungssumme, Immunität und Dauerhaftigkeit waren unsere Hauptkritikpunkte“, verbreitete der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler per Twitter. Schäffler ist einer der namhaften Kritiker der Euro-Rettungspolitik.

Aber auch Kritiker aus dem Lager der Union rühmten den Urteilsspruch: „Noch nie hat das Bundesverfassungsgericht die Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrages davon abhängig gemacht, daß der Bundespräsident bei der Ratifikation völkerrechtliche Vorbehalte erklärt“, freute sich CSU-Eurorebell Peter Gauweiler – ignorierend, daß die regelmäßig Verträge brechenden europäischen Regierungen die Fußnoten aus deutschen Juristenstuben von vornherein ignorieren dürften.

Daß Reaktionen auf Karlsruher Urteile an den Zug der Lemminge erinnern, ist gerade bei Entscheidungen mit finanzpolitischem Hintergrund nicht neu. So rühmten stets alle Beteiligten die Entscheidungen zum Länderfinanzausgleich, um einige Zeit später festzustellen, daß Urteile keine Politik ersetzen, weil diese längst andere Wege geht. So auch hier. Schäffler rühmt zu der vom Gericht skizzierten Haftungsbegrenzung: „Zwar sind 190 Milliarden weg, doch der Schaden wird begrenzt.“ Die Argumentation blendet aber die Haftung Deutschlands an anderer Stelle aus. So haftet Berlin für den ersten Schirm EFSF mit 253 Milliarden, für den inzwischen vergessenen kleinen EU-Schirm EFSM mit zwölf Milliarden, für das erste Griechenland-Rettungspaket mit 17 Milliarden, für den IWF-Beitrag zu Rettungspaketen mit 15 Milliarden und für die Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) mit 57 Milliarden. Sollte ein europäischer Einlagensicherungsfonds zur Rettung spanischer, italienischer und griechischer Sparguthaben mit einem geschätzten Volumen von 197 Milliarden kommen, würde Deutschland mit 55 Milliarden in die Haftung genommen.

Die größte Lawine könnte sich bei der Deutschen Bundesbank lösen: Sie hat 751,4 Milliarden Target-2-Ausleihungen an Euro-Südländer in der Bilanz. Wenn diese Bürgschaften fällig würden, würde Deutschland in einen Zustand geraten, der früher Zinsknechtschaft genannt
wurde.

Vor diesem Hintergrund wundert nicht, daß selbst die linksliberale Süddeutsche Zeitung inzwischen ins Lager der Kritiker wechselte und „Ein Gericht gibt auf“ titelte. Ganz anders der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler, dessen Partei mit ihrer Zustimmung zur Rettungspolitik ihre letzte Chance, ernst genommen zu werden, verpaßte: Es sei ein guter Tag für Deutschland, und „es war immer das Ziel der FDP, die Haftung zu begrenzen“. Die „überparteiliche Erleichterung“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) über das Urteil nahm teilweise groteske Züge an. Als SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier die „Klarheit“ lobte, daß das Gericht der großen Mehrheit des Parlaments gefolgt sei, bekam er Beifall von vier der fünf Fraktionen. Von der Bundestagstribüne aus beobachtete dpa-Korrespondentin Kristina Dunz eine Szene kurz nach der Urteilsverkündung, als Kanzlerin Merkel auf Steinmeier, SPD-Chef Sigmar Gabriel und den SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann zuging. Sie schilderte: „Alle vier lachen, der Händedruck dauert lang. Man meint, sie beglückwünschen sich. Karlsruhe hat ein Urteil in ihrem Sinne gefällt. Für sie ist es ein gutes Urteil. Großer Druck fällt ab.“ Der Bericht hätte auch im Neuen Deutschland stehen können – vor einigen Jahrzehnten, als sich in der Volkskammer ebenfalls stets alle einig waren. Selbst Linksfraktionschef Gregor Gysi sah das Urteil positiv: „Wir haben die Haftung für die deutsche Bevölkerung begrenzt und wir haben für mehr Demokratie gesorgt.“ Daher könnten die anderen Fraktionen für die Klage der Linken eigentlich dankbar sein, scherzte er noch.

Während Merkel von einem guten Tag für Deutschland und Europa sprach, erkannte Klaus-Peter Willsch (CDU) ein schlechtes Urteil für Deutschland. Aber auch Schäffler war klar, daß das Rettungsspiel jetzt auf einem anderen Platz ausgetragen wird: „Deshalb nehmen die Rettungseuropäer billigend in Kauf, daß die EZB die Druckerpresse anwirft.“

Berliner Politiker versuchten sich bereits mit Einladungen an Europas neuen Platzhirsch, den EZB-Chef Mario Draghi, zu übertreffen. Nachdem Lammert Europhoriker in seiner Fraktion nur mit Mühe davon abhalten konnte, Draghi (wie zuletzt dem Papst) Rederecht im Plenum einzuräumen, soll der EZB-Chef, dessen Politik zur „Zerrüttung der Währung bei gleichzeitiger Enteignung der Sparer führen“ wird (Schäffler), jetzt im Europa-Ausschuß und im Haushaltsausschuß auftreten.

Foto: Bundeskanzlerin Merkel und SPD-Chef Gabriel: „Wir haben für mehr Demokratie gesorgt“

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