© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Haßtiraden gegen den Westen
Islamische Welt: Den Unmut über ein Schmähvideo und Islamkritik nutzend, schüren Islamisten ihren Kampf gegen die Ungläubigen
Marc Zöllner

Nach der Publikation eines den muslimischen Propheten Mohammad beleidigenden Filmes reißt die Welle der Empörung in der islamischen Welt nicht ab. Hunderttausende Menschen demonstrieren in beinahe dreißig Ländern. Von Kapstadt bis Kabul, von Australien bis Aserbaidschan. Sie protestieren gegen den Filmemacher Sam Bacile, gegen den US-amerikanischen Präsidenten, auch gegen den Westen an sich. Doch während die meisten Demonstrationen friedlich verlaufen, eskaliert besonders an den politischen Brennpunkten die Gewalt.

Der wohl folgenschwerste Vorfall ereignete sich in der ostlibyschen Stadt Bengasi. Hunderte aufgebrachte Protestler versuchten, das dortige US-Konsulat zu erstürmen, um dessen Flagge einzuholen. Als die prekäre Sicherheitslage gebot, das Gebäude zu evakuieren, griffen mit Boden-Boden-Raketen und Panzerfäusten bewaffnete Militante den flüchtenden Konvoi an. Die Bilanz: vier tote US-Bürger, darunter auch Botschafter Christopher Stevens.

Für das Ausufern der Gewalt schoben Regierung und Protestler jegliche Verantwortung von sich. Tatsächlich präsentierte die Nachrichtenplattform LiveLeak Fotos, auf denen Demonstranten bemüht sind, Stevens’ reglosen Körper zu reanimieren und ihn in ein Krankenhaus zu tragen. Auch erste Verhaftungen zeigen: Von den bislang fünfzig des Anschlags Verdächtigen stammte ein Großteil aus Mali. Schnell kursierten Gerüchte, Gaddafis Getreue seien wieder in Bengazi, dem Ursprung der Revolution im Frühjahr 2011. Die Regierung dementiert später. „Der Angriff auf das US-Konsulat in Bengasi“, verkündete Mohammed Magarief, Präsident der libyschen Nationalversammlung, „wurde von al-Qaida nahestehenden Ausländern geplant.“

Auch in der sudanischen Hauptstadt Khartum eskalierte die Gewalt. Ziele der über fünftausend Protestler waren unter anderem die britische sowie die deutsche Botschaft, von denen letztere komplett verwüstet und niedergebrannt wurde. Erst als die Demonstranten mit Bussen zum US-Konsulat am Rande der Stadt gebracht werden sollten, konnten Sicherheitskräfte dem Mob unter Einsatz von Tränengas Einhalt gebieten. Der Schutz der US-amerikanischen Einrichtung gelang ihnen jedoch nicht. Dutzende Schwerverletzte soll es gegeben haben, berichtete die Sudan Tribune, auch zwei Tote unter den Demonstranten. Das Botschaftspersonal der betroffenen Konsulate selbst schwebte jedoch zu keiner Zeit in Lebensgefahr. Frühzeitige Warnungen veranlaßten bereits Stunden vorher zur Räumung der Gelände.

Daß die Demonstrationen im Sudan von Regierung und Islamisten instrumentalisiert wurden, darin sind sich die – zuweilen selbst an den Protesten beteiligten – wichtigsten Oppositionsgruppen einig. Schon seit Monaten stand Sudans autokratischer Präsident Umar al-Baschir innenpolitisch unter Druck. Der arabische Frühling fand auch am südlichen Nil großen Anhang (JF 32/12). Mehrere Monate andauernde Straßenschlachten zehntausender nach Demokratie strebender Studenten mit der Polizei bedrohten zeitweise gar die Stabilität des politischen Systems. Im Konflikt mit dem Südsudan um die Grenzprovinz Kordofan gerät al-Baschir mehr denn je in die Defensive, und im legislativen Diskurs drohte ihm nun selbst die wichtigste Stütze seiner Herrschaft offen mit Entmachtung – radikale Islamisten, vereint in der „Front für die islamische Verfassung“ (ICF), welche nach der Separation des christlichen Teils des Landes den Ersatz der Übergangsverfassung von 2005 durch eine auf der Sharia basierende fordern.

„Es existiert keine Rechtfertigung, die amerikanische Regierung oder westliche Bürger für etwas verantwortlich zu machen, was diese nicht begangen haben“, erklärte Nimir Mohammed Abdel Rahman, der Sprecher der „Sudanesischen Befreiungsbewegung“ (SLM). „Diese Länder sind weder Feinde des Islam noch Sudans und tragen intensiv zur Entwicklung von Demokratie, Wohlstand und Stabilität bei.“ Auch die islamistisch geprägte Volkskongreßpartei PCP urteilte, daß „Aggressionen wie diese“, die Erstürmung der deutschen und britischen Botschaft, „den Islam nur noch mehr beleidigten“. Schuld an der Welle der Gewalt, verkündete die studentische Demokratiebewegung „Sudan Change Now“ (SCN), seien überdies „die gezielten Falschmeldungen, die Propaganda sowie die Haßreden der Al-Intibaha“. Diese Zeitung berichtet seit Monaten plakativ über den Islam im Westen, über Angela Merkels Laudatio zur Medienpreisverleihung für Kurt Westergaard, über die Ausschreitungen am Rande der Provokationen der „Bürgerbewegung pro Deutschland“ mit Mohammed-Karikaturen. Ihr Herausgeber ist Mustafa Al-Tayyib, der Vorsitzende des Just Peace Forum, der einflußreichsten Fraktion innerhalb der ICF, und Onkel des sudanischen Präsidenten Umar al-Baschir.

Auch in Kairo drohte die Gewalt zeitweise zu eskalieren, auch hier wurden Botschaften gestürmt und US-amerikanische Flaggen verbrannt. Besonders brisant für Ägypten sind die Kontakte des Filmemachers Sam Bacile zu einer kleinen Gruppe koptischer Extremisten. Daß die ägyptischen Christen nun als Entität unter den Protesten zu leiden hätten, stimmt viele Kleriker besorgt. Der Bischof der Episkopalkirche Ägyptens und des Horns von Afrika, Mouneer Hanna Anis, forderte den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, zu einer Erklärung der Weltgemeinschaft auf, welche Blasphemie unter Strafe stellte. „Solch eine Erklärung“, so Anis in seinem Schreiben an die Uno, „wäre nicht gegen die Meinungsfreiheit selbst gerichtet, sondern unterbände lediglich, daß dieses Recht dazu benutzt würde, religiöse Heiligkeiten zu verletzen.“

In Afghanistan riß derweil ein Selbstmordattentäter zwölf Menschen, darunter neun Ausländer in den Tod. Im Süden des Landes starben zwei Soldaten bei einem Angriff radikaler Taliban auf ihre Kaserne. Indessen verstärkten die USA ihre Sicherheitsvorkehrungen im Nahen Osten. Sechs Botschaften wurden geschlossen, Marines in den Jemen und nach Libyen gesandt. Die Sicherheit seiner Bürger im Ausland hat für Barack Obama kurz vor der Präsidentschaftswahl oberste Priorität, und auch das Weiße Haus spricht von einer „anhaltenden Krise mit unvorhersehbaren diplomatischen und politischen Konsequenzen“.

Foto: Stürmung der deutschen Botschaft in Khartum (Sudan): „Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet“

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