© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Durch seine Rettung zum Tode verurteilt
Euro-Krise: Das Verfassungsgericht erlaubt den Start des ESM, doch damit wird wieder nur Zeit gekauft
Wilhelm Hankel

Die Bundesverfassungsrichter, den Ephoren des antiken Sparta vergleichbar, die dort die Letzt-Aufsicht über Könige und andere Staatsinstanzen innehatten, unterscheiden sich von diesen in einem wesentlichen Punkt: Sie strafen nicht, sie zeigen Wege auf, wie man diesen Strafen entgeht.

Das vom Bundesverfassungsgericht am 12. September gefällte Voraburteil über den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) und die anderen mit ihm verbundenen Rettungsmaßnahmen zum Schutze des Euro (Fiskalpakt, Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank/EZB) rügt nicht etwa die damit verbundenen und bereits begangenen Rechtsbrüche und Verletzungen des Europarechts (JF 38/12). Das Karlsruher Urteil zeigt auf, wie diese mit dem deutschen Grundgesetz in Einklang gebracht und damit ex post legalisiert werden können.

Das offizielle Europa hat darin zu Recht die Beseitigung der den Euro-Rettern aus Deutschland drohenden Einwände und Zahlungsverweigerungen gesehen – auch denjenigen der Deutschen Bundesbank. Fast die gesamte deutsche Medienlandschaft hat pflichtgemäß mitgejubelt und applaudiert. Doch was unterscheidet diese „Rechtshilfe“ des höchsten deutschen Gerichts von Tips an geübte Rechtsbrecher: Wenn ihr es etwas anders angeht und ein paar formale Dinge ausräumt, dann wird die Sache schon klappen. Von uns habt ihr dann nichts mehr zu befürchten!

Nicht nur sind die von den Verfassungsrichtern genannten „Bedingungen“ für Deutschlands Beteiligung am Euro-Rettungsprogramm leicht zu nehmende Hürden, es handelt sich um unter Vertragspartnern übliche Selbstverständlichkeiten. Die bislang unklaren Haftungsgrenzen für den Bundeshaushalt müssen präzisiert und von den Partnern respektiert werden. Die Manager im sogenannten dauerhaften Euro-Rettungsfonds ESM sind nicht der Pflicht enthoben, ihre Maßnahmen und Absichten vor dem deutschen Parlament zu rechtfertigen. Die deutschen Vertreter in diesem Gremium (sprich der Bundesfinanzminister) darf nicht so einfach und folgenlos von den Geldempfängern überstimmt werden wie zum Beispiel der Bundesbankpräsident in den entsprechenden Gremien der EZB.

Nein: Ein wirksamer Rechtschutz für Deutschlands Steuerzahler und Sparer sieht anders aus! Er hätte zu überprüfen, ob der Einsatz von 190 Milliarden Euro – etwa zwei Drittel von Deutschlands jährlicher Steuerkraft bei guter Konjunktur – und die sie begleitende Inflationsgefahr (nachdem sich die EZB im Zuge dieses Programmes statutenwidrig als Staatsfinanzierer betätigt) überhaupt gerechtfertigt werden kann.

Was wiegt denn schwerer: eine Europa-Währung mit permanenter Infarkt-Gefahr (sein Eintritt ist inzwischen berechenbar geworden) oder der Erhalt von Europas größten und für die Welt vorbildlichen Errungenschaften: Rechtsstaat, Parlamentarismus und einer bürgerlichen Gesellschaft, deren Kapitalismus inzwischen der weltweit sozialste geworden ist? Ein Verfassungsgericht hat den Auftrag, den Status quo und die Zukunft der Gesellschaft, ihrer Bürger sowie ihrer Kinder und Erben zu sichern.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts unter seinem Präsidenten Andreas Voßkuhle hat sich diesem Auftrag mit der salvatorischen (Pontius Pilatus)-Klausel konsequent verweigert – nach dem Motto: man sei für Inhalt und Folgen der Euro-Rettungspolitik „nicht zuständig“. Dafür, so führte Voßkuhle auch dieses Mal in seiner Urteilsbegründung aus, seien einzig und allein Bundestag und Bundesregierung „als gewählte Vertreter des Volkes“ verantwortlich, nicht das Bundesverfassungsgericht.

Wirklich? Der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider hatte dies schon früher als „Verweigerung des Rechts auf Recht“ kritisiert und beklagt. Aber jetzt kommt es weit schlimmer: Das Gericht verurteilt den Euro zur Rettung, obwohl es diese weder geben kann noch wird. Wieder einmal wird lediglich weiter „Zeit gekauft“ – doch für wie lange und wofür? Offenkundig – und auch den Richtern einsichtig – für eine weitere Periode der Rat- und Hilflosigkeit und des längst unberechenbar gewordenen Aufhäufens neuer Schäden zu den alten.

Was seit Phönizier Tagen jeder Kaufmann weiß, daß Verluste, die längst eingetreten sind, ausgebucht und abgeschrieben werden müssen, damit nicht neue entstehen, wird von den Regierungen der Euro-Zone und dem deutschen Präsidenten des Europaparlaments als „unpolitisches Ökonomen-Gewäsch“ abgetan und vom Bundesverfassungsgericht nach Korrektur einiger belangloser Formfehler für rechtens erklärt. Sieht so der im Grundgesetz verankerte Amtseid aus: „Schaden vom deutschen Volk abzuwenden“? Eine Frage, die auch ein allzu eilfertig unterschreibender Bundespräsident seinem Volk beantworten müßte.

Die Rettungspolitiker der Euro-Zone haben nur die Wahl zwischen Inflation und Schuldenschnitt („haircut“). Weil sie letzteres ausschließen, um Staaten und Banken zu schonen, deren Konkurse längst eingetreten sind, aber nicht öffentlich gemacht werden dürfen, vergiften sie mit ihrer Inflations-„Medizin“ (unter offenenem Beifall der größten deutschen Bank) den Euro tödlich. An diesem Gift muß der Euro sterben und wird er sterben. Und Deutschlands höchstes deutsches Gericht erklärt diesen Tod sogar für verfassungskonform.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war Leiter der Währungsabteilung des Wirtschaftsministeriums und Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Er klagte mit Fachkollegen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Griechenlandhilfe und die Euro-Rettungsschirme.

www.dr-hankel.de

 

Euro-Rettungsfonds ESM

Das Bundesverfassungsgericht hat am 12. September alle Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen die Ratifikation des Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) abgelehnt. Bundespräsident Joachim Gauck unterzeichnete einen Tag danach die Gesetze zum ESM und zum Fiskalpakt. Der unbefristete Euro-Rettungsschirm soll im Okober starten. Der befristete Euro-Rettungsfonds EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) wird zunächst parallel weitergeführt. Die ESM-Darlehenskapazität für überschuldete Euro-Länder und ihre Banken beträgt 500 Milliarden Euro. Um die höchste AAA-Bonität zu erreichen, hat der ESM ein Stammkapital von 700 Milliarden Euro. Dieses setzt sich zusammen aus 80 Milliarden Euro eingezahltem echtem Kapital und 620 Milliarden Euro aus abrufbarem Kapital und Bürgschaften. Der deutsche ESM-Anteil beträgt 190 Milliarden Euro (27,15 Prozent). Dieser setzt sich zusammen aus 22 Milliarden Euro eingezahltem und 168 Milliarden Euro abrufbarem Kapital. Deutschland hat in diesem Jahr bereits 8,7 Milliarden Euro in den ESM eingezahlt.

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