© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Massenmorde für eine gute Sache
Der Kirchenhistoriker Horst Gebhard erinnert an die genozidalen Auswüchse, die sich in Frankreich nach der Revolution 1789 abspielten
Wolfgang Kaufmann

Liberté, Égalité, Fraternité!“ – noch heute berauschen sich Menschenrechtsapostel und Verfassungshistoriker mit Tunnelblick an diesem hehren Motto aus der Zeit der Französischen Revolution. Dabei übersehen sie freilich zwei entscheidende Dinge: Zum ersten wurde das moderne Staats- und Verfassungsdenken beziehungsweise die Idee von den unveräußerlichen Rechten eines jeden Einzelnen bereits 1776 in den USA geboren und zum zweiten lautete die bewußte Formel zunächst „Liberté, Égalité, Fraternité ou la mort!“ Die Alternative zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit war also der Tod! Und der hielt zwischen 1789 und 1794 wahrlich reiche Ernte, während Maximilien Marie de Robespierre, ein maßgeblicher Verantwortlicher für den revolutionären Terror, lauthals verkündete, Frankreich sei der übrigen Welt nun um 2.000 Jahre voraus.

Am Anfang der Blutorgie, welche die „Ideen von 1789“ genauso nachhaltig diskreditiert wie spätere Mordtaten dies mit anderen „fortschrittlichen“ Ideologien taten, stand der legendäre Sturm auf die Bastille am 14. Juli des ersten Jahres der Revolution. In diesem angeblichen Symbol absolutistischer Tyrannei saß allerdings nicht ein einziger politischer Gefangener ein. Vielmehr hatte man hier vier Wechselfälscher, zwei Geisteskranke und einen Grafen mit dubiosem Privatleben weggesperrt. Trotzdem massakrierte die blutrünstige Menge das Wachpersonal und verstümmelte die Leichen dann auch noch aufs übelste. Heute feiert Frankreich die Wiederkehr dieses Tages mit pompösen Paraden – ohne daß die versammelte politische Elite die Sinnlosigkeit der Aktion thematisiert oder den Umstand erwähnt, daß der seinerzeitige Zündfunke eine ausweglose Schuldenkrise des Staates war, unter der insbesondere die Nichtbegüterten litten.

Ein zweiter Exzeß fand am 10. August 1792 statt. Nun stürmte der Pariser Mob die königliche Residenz, den Tui-lerienpalast, und metzelte dabei zahlreiche Angehörige der Schweizergarde nieder, welche König Ludwig den XVI. bewachte. Mit dieser Aktion ging die „gemäßigte“ erste Phase der Revolution zu Ende. Es folgten die Septembermorde, begangen unter dem unmittelbaren Eindruck einer drohenden Niederlage im selbst angezettelten Krieg gegen Preußen und Österreich: Wahllos wurden über 1.500 Insassen der Pariser Gefängnisse gelyncht, darunter nicht wenige Kinder und Jugendliche sowie 300 katholische Priester, deren einziges Vergehen darin bestand, keinen Eid auf die neue, republikanische Verfassung geleistet zu haben.

Am 21. Januar 1793 starb dann Ludwig XVI. auf dem heutigen Place de la Concorde – geköpft durch die Guillotine, welche zum Symbol der nachfolgenden Zeit des „Großen Terrors“ gegen alle tatsächlichen oder vermeintlichen Konterrevolutionäre werden sollte. Dieser Hinrichtungsmaschine, welche übrigens nicht von Joseph-Ignace Guillotin konstruiert worden war, sondern von einem deutschen Klavierbauer, fielen bis Ende Juli 1794 mindestens 16.594 Menschen zum Opfer. Darüber hinaus erfolgten freilich auch noch zahlreiche andersartige Exekutionen.

So wurden im Süden und Westen Frankreichs, wo der Widerstand gegen die Pariser Diktatur der „Tugend“ am größten war, Hunderte, in fließbandartigen Schauprozessen nach Stalinscher Manier zum Tode verurteilte Delinquenten durch Kanonenschüsse aus nächster Nähe füsiliert. Noch schlimmer trieb es der sadistische Prokonsul Jean-Baptiste Carrier, der in Nantes 20.000 Menschen ermorden ließ – nicht wenige davon im Rahmen von Massenertränkungen, den sogenannten „vertikalen Deportationen“ beziehungsweise „republikanischen Taufen“. Solch zynische Wortschöpfungen erinnern genauso an das Dritte Reich wie die antiklerikale Politik von Robespierre und Konsorten, der um die 8.000 Priester, Nonnen und Mönche zum Opfer fielen.

Und manchmal lassen sich sogar ganz explizite Parallelen zum Vorgehen der SS ziehen: So erinnerte die französische Tageszeitung Le Monde 1989 inmitten der Jubelfeiern anläßlich des 200jährigen Jubiläums des Sturms auf die Bastille an ein „Oradour-sur-Glane in der Vendée“. Damit gemeint war das Massaker an über 500 Menschen, darunter 110 Kindern unter sieben Jahren, in der Kirche von Lucs-sur-Boulogne am 28. Februar 1794. Verantwortlich hierfür zeichneten die sogenannten „Colonnes infernales“, welche plündernd und vergewaltigend durch das Département Vendée zogen und dabei jeden sechsten Einwohner töteten. Mit dem Einsatz dieser Mordbrigaden revanchierte sich der Pariser „Wohlfahrtsausschuß“ für den Aufstand der Armée Catholique et Royale, der zum einen durch die zwangsweisen Massenaushebungen für die Revolutionsarmee und zum anderen durch die Verfolgung des Klerus ausgelöst worden war.

Allerdings scheut man in Frankreich heute noch davor zurück, den republikanischen Rachefeldzug gegen die Zivilbevölkerung in der Vendée als eiskalt geplanten Genozid zu bezeichnen, wohingegen es seit 2006 strafbar ist, den türkischen Völkermord an den Armeniern zu leugnen. Dabei sprechen die quellenmäßig bezeugten Erfolgsmeldungen wie die des Revolutionsgenerals Westermann eine mehr als deutliche Sprache: „Es gibt keine Vendée mehr, Bürger der Republik. Sie ist unter unseren Säbeln gestorben mit ihren Frauen und Kindern. Ich habe die Befehle befolgt, die Ihr mir gegeben habt. Ich habe die Kinder unter den Hufen der Pferde zermalmt, die Frauen niedergeschlachtet, damit sie keine weiteren Banditen mehr gebären können. Ich kann mir nicht vorwerfen, einen einzigen Gefangenen gemacht zu haben. Ich habe alles ausgerottet.“

Horst Gebhard, seines Zeichens Pfarrer und Kirchenhistoriker im Ruhestand, berichtet über diese und andere Gewaltexzesse während der Französischen Revolution detailliert und cum ira et studio, was angesichts der Sachlage auch völlig berechtigt ist. Weniger nachvollziehbar sind dagegen die Redundanzen in seiner Darstellung: „Liberté, Égalité, Brutalité“ enthält einfach zu viele sinngemäße oder gar wörtliche Wiederholungen von Textpassagen, so daß sich beim konzentrierten Lesen doch zuweilen Frustration einstellt.

Horst Gebhard: Liberté, Égalité, Brutalité. Gewaltgeschichte der Französischen Revolution. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2011, gebunden, 304 Seiten, 22 Euro

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