© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Das große Geschäft mit der Angst
Pränataldiagnostik: Ein neues Buch über die dunkle Unterseite biomedizinischer Glücksversprechen
Stefanie Rühle

Zartbesaiteten Gemütern ist Monika Heys Buch über Pränataldiagnostik nur eingeschränkt zu empfehlen. Sie sollten vor allem die Seiten 119 bis 124 meiden, wo die Autorin den letzten Tag einer qualvollen Abtreibung schildert, samt der Momente, in denen sie und ihr Mann von dem in der 15. Schwangerschaftswoche getöteten Winzling Abschied nehmen, der nach seiner Geburt hätte Leon heißen sollen.

Aber selbst Leser mit stärkeren Nerven dürften diese Passagen an Grenzen des Aushaltbaren führen. Eine Empfindlichkeit, die damit zusammenhängt, daß Hey uns mit existentiellen Extremerfahrungen konfrontiert, die der Alltag einer technizistisch scheinbar perfektionierten, werterelativistischen Spaßgesellschaft beinahe rückstandslos verdrängt. Und die Dramatik von Heys Geschichte speist sich gerade aus dieser Spannung zwischen der offenbar beschränkten natürlichen Ausstattung des Mängelwesens Homo sapiens und enthemmten biotechnologischen Träumen von menschlicher Vollkommenheit.

Dabei begann für die heute mit „systemischer Beratung“ beschäftigte Kölner TV-Journalistin alles höchst privat, als man ihr 1998, mit 46 Jahren, eine lang ersehnte Schwangerschaft attestierte. Obwohl sie damit in die Gruppe der „Risikoschwangeren“ fiel, lehnte Hey eine Fruchtwasseruntersuchung, das seit 1976 als Kassenleistung abgerechnete Standardverfahren zur Vorsorge, ab. Sie wußte jedoch nicht, daß ihre Ärztin auch mit der nichtinvasiven Ultraschalluntersuchung, seit 1979 ein gynäkologisches Routineverfahren, Hinweise auf genetische Defekte suchte. Tatsächlich ergab dieses „Screening“ ein dorsonuchales Ödem, eine erhöhte Schwellung im Nackenbereich des Fötus. Eine derartige Auffälligkeit ist ein Indiz für Trisomie 21, eine Chromosomenstörung, früher bezeichnet als Mongolismus und heute als Down-Syndrom die häufigste Behinderung bei Neugeborenen.

Widerstrebend willigte die werdende Mutter zur weiteren „genetischen Abklärung“ dann doch in die gefürchtete Chorionzottenbiopsie ein, den Einstich in die Gebärmutter, um mittels einer Gewebeprobe der Plazenta den Trisomie-Verdacht zu überprüfen. Der Befund fiel in der befürchteten Weise positiv aus, und der Arzt stellte für das Kind „geringe Überlebenschancen“ in Aussicht.

Die pränatale Diagnostik stürzte Hey mit der Aufforderung, einem faktischen Todesurteil zuzustimmen, in eine Zwangslage, die sie traumatisierte und lange psychisch zu Boden drückte. Von ihren Ärzten unzureichend informiert, eingeschüchtert mit Horrorszenarien über die schrecklichen Behinderungen ihres Kindes, das sie noch als alte Frau wie ein Baby werde wickeln müssen, stimmte Hey schließlich der Schwangerschaftsunterbrechung zu, die nichts unterbrach, sondern für Leon alles beendete. Hey verteidigt als „Achtundsechzigerin“ allerdings weiterhin unerschütterlich die Abschaffung des Paragraphen 218 StGB als emanzipativen Zugewinn.

Als Supervisor ist sie zudem fest eingebunden in die ökonomistische Welt jenes auf „Prozeßoptimierungen“ versessenen Perfektionismus, dem auch die ihr zutiefst suspekten biotechnologischen Zukunftsplaner huldigen. Gleichwohl beherrscht sie seit der Abtreibung ihres behinderten Kindes ein Unbehagen gegenüber dem „modernen“ Menschenbild der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, in deren Mitte sich, wie Hildburg Wegener vom „Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik“ und die Gynäkologin Claudia Schumann kritisieren, eine „Allianz zur Selektion“ etabliert habe.

Hey treibt die kulturpessimistische Furcht vor medizinischen Fortschritts­utopien um, deren Faszinationsmacht auch mit staatlichen Einhegungen wie dem deutschen Gendiagnostikgesetz (2010) oder Enquetekommissionen zur medizinischen Ethik nicht beizukommen sei. Während das Gesetz Gynäkologen endlich eine Beratungspflicht zur pränatalen Diagnostik auferlege, öffnen sich unabsehbare Anwendungshorizonte für pränatale Gentests, die ohnehin bald jede Beratung obsolet machen könnten.

Hey weist dafür auf eine „Revolution der Familienplanung“ hin, die in US-Labors längst begonnen habe. In den neunziger Jahren entwickelte Verfahren, anhand der Blutprobe der Mutter Krankheiten des ungeborenen Kindes zu diagnostizieren, erlangten inzwischen Marktreife. Die Verbesserung dieser Tests erhöhe zukünftig den Druck auf Frauen, im Fall einer Schwangerschaft „grundsätzlich“ Pränataldiagnostik in Anspruch zu nehmen. Da heute bereits 3.300 der inzwischen 11.000 erforschten genetischen Erkrankungen mittels genetischer Tests aufzuspüren seien, stünden kommende Elterngenerationen vor Informationsfluten, die sie wohl dazu verleiten, ihre Entscheidung an Genetiker zu delegieren, womit der eben einsetzende Prozeß der „Entmündigung“ abschließe.

Welche totalitären politischen Konsequenzen sich deshalb aus vermeintlich wertneutraler naturwissenschaftlicher Forschung ergeben müssen, skizziert Heys warnender Hinweis auf die US-Humangenetikerin Lisa Shaffer, die an Tests arbeite, die pränatal Verhaltensauffälligkeiten markieren, um frühzeitig soziale „Störenfriede“ zu eliminieren. Angesichts des Kostenfaktors Depression, der das deutsche Gesundheitssystem mit jährlich etwa 20 Milliarden Euro belastet, biete sich ein weiteres lukratives Geschäftsfeld, wenn man Gene identifiziere, die ein erhöhtes Risiko anzeigen, dieser seelischen Krankheit zu erliegen. Entsprechend wirksamere Antidepressiva wären dann zu entwickeln. Auch solche, mit denen, wie Hey sarkastisch bemerkt, sich das Trauma einer Abtreibung nach Pränataldiagnostik bewältigen lasse.

Vielleicht ist der stark autobiographische und emotional berührende Einstieg Heys ein probates Mittel, um in der aktuellen Bioethik-Debatte auf die „dunkle Unterseite“ der „glänzenden Oberfläche“ biomedizinischer Glücksversprechen aufmerksam zu machen. Aber mit der „pränatalen Rasterfahndung“ komplementären Präimplantationsmedizin ist derzeit eine weitere Technik auf dem Marsch (JF 51/11), die aus der Angst des modernen Menschen vor dem „Schicksal“ und seinem Bedürfnis nach „Sicherheit“ in „perfekt“ funktionierenden Gesellschaften Kapital schlagen will. Heys aufwühlendes Buch bietet aber nicht den geringsten Anhalt dafür, der „riesige Markt“ der „Wachstumsindustrie Pränatalmedizin“ werde einen politisch induzierten Konjunktureinbruch erleben.

Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (BVKM) in Düsseldorf koordiniert das „Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik“:

www.netzwerk-praenataldiagnostik.de

Monika Hey: Mein gläserner Bauch. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2012, gebunden, 223 Seiten,19,99 Euro

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