© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/12 28. September 2012

Millionen gegen Madrid
Spanien: Angesichts der Finanzkrise verschärft Katalonien seinen Ruf nach Unabhängigkeit / König Juan Carlos warnt vor Spaltung
Michael Ludwig

Als Sandro Rosell das Interview gab, strahlte er Optimismus und Entschlossenheit gleichermaßen aus. Der Präsident des Fußballclubs FC Barcelona räusperte sich kurz, und ein entspanntes Lächeln legte sich auf sein Gesicht, als er in das Mikrofon sagte: „Natürlich bin ich felsenfest davon überzeugt, daß Barca auch dann in der spanischen Liga Fußball spielen kann, sollte Katalonien unabhängig sein.“ Ein Satz, der Hunderttausenden von Fans wie eine Erlösung erschien, denn ein Ausschluß ihres Clubs aus der spanischen Primera Division war und ist für sie so gut wie unvorstellbar. Rosell fügte hinzu, es sei schließlich auch dem Fürstentum Monaco gestattet, in der französischen Fußball-Liga zu kicken.

Doch die Freude der Barca-Anhänger währte nicht lange. „Nach den geltenden Bestimmungen ist es unmöglich, daß der Wunsch von Sandro Rosell in Erfüllung geht“, urteilte Madrids Zeitung El Pais. „Nur Mannschaften, die der spanischen Fußball-Förderation FREF angehören, sind berechtigt, in der Primera Division zu spielen.“ Auch das Beispiel Monaco zerpflückten die Journalisten: „Es ist nicht mit unserer Situation zu vergleichen, denn das Fürstentum hat mit dem französischen Staat eine Reihe von Übereinkünften getroffen, die weit über das Sportliche hinausgehen.“ Ungeschrieben, aber dennoch zwischen den Zeilen lesbar, blieb, daß Katalonien, sollte es sich seine Unabhängigkeit ertrotzen, auf keine Zugeständnisse hoffen darf.

Das Interview des Sportfunktionärs wird nur dann verständlich, wenn man es in einen größeren politischen Zusammenhang stellt. Neben den aufmüpfigen Basken sind es vor allem die Katalanen, die am liebsten den spanischen Staatenbund verlassen und einen eigenen, souveränen Staat gründen wollen.

Eindrucksvoll demonstrierten sie das vor zwei Wochen, als über eine Million Demonstranten in Barcelona auf die Straße gingen, um dem Wunsch nach Unabhängigkeit Nachdruck zu verleihen. Ursache dafür ist nicht nur ein historisch gewachsenes Mißtrauen gegenüber der kastilischen Zentralgewalt, sondern auch die Überzeugung, beim Finanzausgleich übers Ohr gehauen zu werden.

Sechzehn Milliarden Euro würden aus katalanischen Kassen, so heißt es immer wieder, in die ärmeren Regionen fließen, ohne daß auch nur ein einziger Centimo zurückkäme. Das fleißige und sparsame Volk an der Nordostküste der Iberischen Halbinsel fühlt sich als Nettozahler ausgenommen wie eine Weihnachtsgans.

Die finanziellen und wirtschaftlichen Probleme verschärfen die Lage. Die strikten Sparauflagen, die Kataloniens Regierungschef Artur Mas von der bürgerlichen Conèrgencia i Unó (CiU) seiner Bevölkerung abverlangt, schneiden tief ins Fleisch. Kaum ein Tag, an dem Ärzte und Krankenschwestern nicht gegen das finanziell ausgeblutete Gesundheitswesen demonstrieren, in dem eine Klinikabteilung nach der anderen geschlossen wird und die Wartelisten für Operationen immer länger werden. Im neuen Schuljahr sind es 3.000 Lehrer weniger, dafür aber 30.000 Schüler mehr. Hinzu kommt eine Schuldenlast, die inzwischen 44 Milliarden Euro beträgt und deren Zinsen nicht mehr zu bezahlen sind.

Barcelona braucht von Madrid umgehend fünf Milliarden, sonst ist es am Jahresende pleite. „Wir wären nicht in dieser verzweifelten Lage, wenn Madrid uns fair behandeln würde“, heißt es in den Kreisen der führenden katalanischen Politiker. Um eine Lösung zu finden, suchte Mas das Gespräch mit Ministerpräsident Mariano Rajoy, um eine Änderung des geltenden Fiskalpakts zu erreichen. Doch Rajoy blieb unnachgiebig. Er lehnte die von Katalonien geforderte Steuerhoheit ab. Angesichts der gescheiterten Gespräche hat Mas angekündigt, vorgezogene Neuwahlen in seiner Provinz anzustreben. Sie könnten Ende November oder Anfang Dezember stattfinden.

51 Prozent der 7,5 Millionen Katalanen haben sich jüngsten Umfragen zufolge für die Loslösung von Madrid ausgesprochen. Es bestehe kein Zweifel, so El Pais, daß in den letzten Jahren der Nationalismus und die Bestrebungen nach einem eigenen Staat gewachsen seien und die ökonomische Krise, in der sich das gesamte Land seit 2008 befinde, für zusätzliche Fliehkräfte sorge.

Auch König Juan Carlos macht sich inzwischen Sorgen. Auf der Internetseite des Königshauses schrieb er mit ungewöhnlicher Offenheit: „Das Schlechteste, was wir unter diesen Umständen tun können, ist es, die Kräfte aufzusplittern, Uneinigkeit zu schüren, Hirngespinsten nachzujagen und Wunden aufzureißen.“ Und noch einen Ton schärfer formulierte der Monarch: „Diese Zeiten sind weder dazu geeignet, bis an die Grenzen zu gehen, noch darüber zu debattieren, ob es Windhunde oder Einfaltspinsel sind, die unser Modell des Zusammenlebens bedrohen.“

Foto: Über eine Million Katalanen protestierten Mitte September für ein Los von Spanien: Wir werden ausgenommen wie eine Weihnachtsgans

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