© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/12 28. September 2012

Talkshow-Studio statt Friedhof
Medienversagen: Investigativjournalisten, die mit dem Milieu vertraut sind, wiegeln beim Thema Rocker ab
Christian Schreiber

Für den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann war es ein gefundenes Fressen. Anfang Juni packte ein „Kronzeuge“ aus dem Umfeld der Hells Angels aus und belastete den Anführer des Clubs in Hannover, Frank Hanebuth, schwer. Dieser sei Kopf einer kriminellen Vereinigung und habe sogar einen Mord in Auftrag gegeben. „Wenn das stimmt“, jubelte Schünemann in der Bild, „dann wäre ein bundesweites Verbot der Hells Angels möglich.“

Medial löste der CDU-Politiker damit einen klassischen Sommerlochfüller aus. Frank Hanebuth wurde über Nacht zum Staatsfeind Nummer eins, Schünemann konnte sich im Vorfeld des aufziehenden Landtagswahlkampfs geschickt ins Szene setzen.

Vier Monate später ist der „Kronzeuge“ zwar zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt, doch seine Aussagen haben – so spektakulär sie auch sind – nicht für eine Anklage gegen Hanebuth ausgereicht. Der Rummel um den „Kronzeugen“ war heiße Luft. Stern-Reporter Kuno Kruse spricht in diesem Zusammenhang von „Pseudorecherchen“ und wirft seinem Berufsstand vor, sich zu oft für fremde Zwecke einspannen zu lassen. „Den generellen Fehler sehe ich darin, daß die meisten Journalisten die Tendenz der Strafverfolgungsbehörden unreflektiert übernehmen, die Verdächtigen kriminalisieren und zu Schuldigen machen, noch ehe überhaupt über eine Anklageerhebung entschieden worden ist“, sagte er der Branchenzeitung Message und unterstellt, daß Justiz und Politik stets auf der Suche nach Erfolgsmeldungen sind.

So entsteht im Doppelpaß mit Journalisten oftmals eine Mesalliance, die der Wahrheitsfindung nicht zuträglich ist: „Viele bringen diese Infos ohne Überprüfung, weil sie stolz sind, etwas Exklusives zu haben. Und oftmals auch, weil sie sich als investigativ feiern können“, sagt Kruse. Der Journalist recherchiert sei Jahren in den entsprechenden Kreisen und sagt: „Ich zeichne mittlerweile ein ganz anderes Bild der Hells Angels. Es sind einige gute Jungs darunter.“

Kruse differenziert im Gespräch mit Message exakt. So gebe es natürlich auch Kriminelle unter den Rockern. Dies werde von den Medien aber gerne dramatisiert und dabei verschwiegen, daß es sich bei einem Großteil der Mitglieder um bürgerliche Menschen mit ganz normalen Berufen handeln würde. In den Medien wird dagegen ein ganz anderes Bild gezeichnet. Von Zeit zu Zeit ist von „Bandenkriegen“ die Rede oder von „Organisierter Kriminalität“. Und das wiederum ruft Politiker auf den Plan, die sich mit Law-and-Order-Parolen geschickt positionieren.

Das Problem liegt offenkundig auch darin, daß die Rockergruppierungen klassische Männerbünde sind, die gerne unter sich bleiben. Sie scheuen die Öffentlichkeit. Das übt einerseits eine ungeheure Faszination aus, macht andererseits aber auch angreifbar.

So fragte Bild im Sommer den „Ober-Angel“ Hanebuth reißerisch: „Es heißt, wer gegen die Hells Angels aussagt, lebt nicht mehr lang.“ Einen Beweis für die These konnte das Boulevard-Blatt natürlich nicht erbringen, aber das Gerücht war im Raum. Da nutzte auch Hanebuths halbamüsiertes Statement nicht viel: „Quatsch. Hells-Angels-Aussteiger schreiben Bücher, setzen sich in Talkshows, reden schlecht über uns. Und alle leben noch.“

Der medial zum „Chef-Bösewicht“ hochgepuschte Hannoveraner hat übrigens eine sehr naheliegende Erklärung für die Kampagne gegen die Rocker. „Irgendwo sind immer Wahlen. Innenminister, die gegen die Hells Angels vorgehen, können sich als harte Politiker darstellen, die durchgreifen.“

Uwe Schünemann ist das beste Beispiel. Auch dafür, wie sich Medien für Politikerzwecke benutzen lassen. Wie gerufen kam es da, daß vor einiger Zeit öffentlich wurde, daß der ehemalige NPD-Vize Sascha Roßmüller Mitglied der Bandidos ist. „Rechts, Rocker, kriminell“, triumphierte die Süddeutsche Zeitung, Sicherheitsbehörden äußerten sich besorgt über eine „neue Qualität des Extremismus“. Heraus kam – nichts. Ein Einzelfall sagen Szenekenner, was auch Stern-Reporter Kruse bestätigt. Rocker sind per se unpolitisch. Dies ist nur ein Beispiel für den unprofessionellen Umgang mit der Szene. Nur wenige Journalisten haben wirklich das Gespräch gesucht. Und wenn, dann ist am Ende ein Veranstaltungsbericht herausgesprungen, der die Gruppierungen mystisch als „andere Welt“ darstellt.

Es gibt nur wenige Journalisten, die um Differenzierungen bemüht sind. Stefan Schölermann, Redakteur beim Norddeutschen Rundfunk zum Beispiel. Gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung versucht er klarzustellen, daß sich Rocker nicht etwa in rauhen Mengen gegenseitig umbringen wie die russischen Mafiosi der frühen Neunziger. In allen Clubs findet man unbescholtene Familienväter und Berufsleute. Eine Einschätzung, die Kollege Krause teilt. Er appelliert an seinen Berufsstand, sich eher „kritisch mit der Arbeit der Ermittlungsbehörden zu beschäftigen, statt es sich mit dem Auswerten von Ermittlungsakten bequem zu machen“.

Foto: Gefährlich: Die Kieler Polizei präsentiert der Presse die Fundstücke einer Razzia: ein Funkgerät und eine Weste

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